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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Der katholische Priester unter russischer Herrschaft
v Dr. Paul Roth on

Wur ein gründliches Studium der wirtschaftlichen, sozialen und
politischen Entwicklung des Polentums berechtigt dazu, das
Problem der "Zukunft Polens" kritisch zu erörtern und Richt¬
linien für seine Behandlung zu geben. Nicht einmal in ma߬
gebenden polnischen Kreisen ist diese Bedingung allenthalben
erfüllt, am wenigsten bei den Polen des Zartums, wo Roman Dmowski und
seine Gefolgschaft sich Rußland rückhaltlos in die Arme warfen und damit
einmal mehr Hegels Wort wahrmachten: "Aus der Geschichte lernen wir, daß
wir aus ihr nichts lernen!" Immerhin läßt sich bis zu einem gewissen Grade
begreiflich machen, was polnische Politiker auf diesen Irrweg führen konnte.
Aber von einer Seite sollte man eine restlose und unbedingte Abneigung
gegen die russische Herrschaft erwarten, nämlich von der römisch-katholischen
Geistlichkeit.

Der Gegensatz der Orthodoxie zum Katholizismus mußte bei der untrenn¬
baren Verbindung von Staat und Kirche in Rußland stets zur politischen
Bedrückung des Katholizismus führen, wo dieser seiner Verbreitung zufolge
einen Machtfaktor darstellte, zumal in Polen, wo die Träger der national¬
polnischen Bestrebungen und des römischen Glaubens vielfach dieselben waren.
Mit welcher Brutalität in Russisch-Polen, insbesondere im Gebiet der Umladen,
unter fanatischen Oberprokuroren des Heiligen Snnods, wie Dmitrij Tolstoi
und Pobjedonoszew "bekehrt" wurde, läßt sich etwa im zweiten Band der
"Zukunft Polens" von Cleinow nachlesen.

Trotzdem gibt es unter der katholischen Geistlichkeit Polens russophile
Elemente, was sich gerade jetzt in der Kriegszeit im Okkupationsgebiet gelegentlich
dadurch gezeigt hat, daß höhere Würdenträger aus der ihrem Einfluß unter¬
liegenden Presse Antirussisches fernzuhalten suchten. Dies berührt um so sonder-
barer, wenn man weiß, daß die katholische Geistlichkeit in Polen bis in die jüngste


Grenzboten III 1915 9


Der katholische Priester unter russischer Herrschaft
v Dr. Paul Roth on

Wur ein gründliches Studium der wirtschaftlichen, sozialen und
politischen Entwicklung des Polentums berechtigt dazu, das
Problem der „Zukunft Polens" kritisch zu erörtern und Richt¬
linien für seine Behandlung zu geben. Nicht einmal in ma߬
gebenden polnischen Kreisen ist diese Bedingung allenthalben
erfüllt, am wenigsten bei den Polen des Zartums, wo Roman Dmowski und
seine Gefolgschaft sich Rußland rückhaltlos in die Arme warfen und damit
einmal mehr Hegels Wort wahrmachten: „Aus der Geschichte lernen wir, daß
wir aus ihr nichts lernen!" Immerhin läßt sich bis zu einem gewissen Grade
begreiflich machen, was polnische Politiker auf diesen Irrweg führen konnte.
Aber von einer Seite sollte man eine restlose und unbedingte Abneigung
gegen die russische Herrschaft erwarten, nämlich von der römisch-katholischen
Geistlichkeit.

Der Gegensatz der Orthodoxie zum Katholizismus mußte bei der untrenn¬
baren Verbindung von Staat und Kirche in Rußland stets zur politischen
Bedrückung des Katholizismus führen, wo dieser seiner Verbreitung zufolge
einen Machtfaktor darstellte, zumal in Polen, wo die Träger der national¬
polnischen Bestrebungen und des römischen Glaubens vielfach dieselben waren.
Mit welcher Brutalität in Russisch-Polen, insbesondere im Gebiet der Umladen,
unter fanatischen Oberprokuroren des Heiligen Snnods, wie Dmitrij Tolstoi
und Pobjedonoszew „bekehrt" wurde, läßt sich etwa im zweiten Band der
„Zukunft Polens" von Cleinow nachlesen.

Trotzdem gibt es unter der katholischen Geistlichkeit Polens russophile
Elemente, was sich gerade jetzt in der Kriegszeit im Okkupationsgebiet gelegentlich
dadurch gezeigt hat, daß höhere Würdenträger aus der ihrem Einfluß unter¬
liegenden Presse Antirussisches fernzuhalten suchten. Dies berührt um so sonder-
barer, wenn man weiß, daß die katholische Geistlichkeit in Polen bis in die jüngste


Grenzboten III 1915 9
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[0141] [Abbildung] Der katholische Priester unter russischer Herrschaft v Dr. Paul Roth on Wur ein gründliches Studium der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Entwicklung des Polentums berechtigt dazu, das Problem der „Zukunft Polens" kritisch zu erörtern und Richt¬ linien für seine Behandlung zu geben. Nicht einmal in ma߬ gebenden polnischen Kreisen ist diese Bedingung allenthalben erfüllt, am wenigsten bei den Polen des Zartums, wo Roman Dmowski und seine Gefolgschaft sich Rußland rückhaltlos in die Arme warfen und damit einmal mehr Hegels Wort wahrmachten: „Aus der Geschichte lernen wir, daß wir aus ihr nichts lernen!" Immerhin läßt sich bis zu einem gewissen Grade begreiflich machen, was polnische Politiker auf diesen Irrweg führen konnte. Aber von einer Seite sollte man eine restlose und unbedingte Abneigung gegen die russische Herrschaft erwarten, nämlich von der römisch-katholischen Geistlichkeit. Der Gegensatz der Orthodoxie zum Katholizismus mußte bei der untrenn¬ baren Verbindung von Staat und Kirche in Rußland stets zur politischen Bedrückung des Katholizismus führen, wo dieser seiner Verbreitung zufolge einen Machtfaktor darstellte, zumal in Polen, wo die Träger der national¬ polnischen Bestrebungen und des römischen Glaubens vielfach dieselben waren. Mit welcher Brutalität in Russisch-Polen, insbesondere im Gebiet der Umladen, unter fanatischen Oberprokuroren des Heiligen Snnods, wie Dmitrij Tolstoi und Pobjedonoszew „bekehrt" wurde, läßt sich etwa im zweiten Band der „Zukunft Polens" von Cleinow nachlesen. Trotzdem gibt es unter der katholischen Geistlichkeit Polens russophile Elemente, was sich gerade jetzt in der Kriegszeit im Okkupationsgebiet gelegentlich dadurch gezeigt hat, daß höhere Würdenträger aus der ihrem Einfluß unter¬ liegenden Presse Antirussisches fernzuhalten suchten. Dies berührt um so sonder- barer, wenn man weiß, daß die katholische Geistlichkeit in Polen bis in die jüngste Grenzboten III 1915 9

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/141>, abgerufen am 23.07.2024.