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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Die Friedensziele von

ohne Schuld. Es stand allein und konnte, erschöpft an Menschen und Mitteln,
die Sache nicht gegen ganz Europa durchsetzen. Es mußte der höheren Rücksicht
der Einigkeit mit seinen Verbündeten, der Ruhe seiner Völker, sei sie auch
weniger dauernd, die bessere Überzeugung aufopfern."

So kam nach vielem Hin und Her endlich am 20. November 1815 der
zweite Pariser Friede zustande, in dem von allen Forderungen und Wünschen
der deutschen Mächte und des deutschen Volkes wenig mehr zu merken ist.
Nur oaß Preußen Saarlouis und Saarbrücken erhielt, daß von den verlangten
Festungen das Festungsviereck zwischen Maubeuge und Glock an Belgien ab¬
getreten wurde und das viel umstrittene Landau an die Rheinpfalz kam. Freilich
ein wenig strenger als 1314 wurde Frankreich schon behandelt, wenn man auch
dem verzogenen Schoßkind nicht allzu wehe tat. Es mußte den französisch
gewordenen Teil von Savoyen an Piemont wieder geben, sich auf fünf Jahre
die Besatzung von 150000 Mann gefallen lassen und eine Kriegsentschädigung
von 700 Millionen Franken zahlen.

Auch in der Museumsfrage hatte es sich wohl oder übel fügen müssen,
das heißt Blücher hatte gleich bei seinem Einzug in Paris, ohne zu warten,
was die Diplomatie bestimmte, im gesunden Soldatengefühl den Franzosen
einfach genommen, was sie einst an Kunstwerken den Deutschen geraubt hatten, ohne
sich um die Drohungen, Schmähbriefe, Beleidigungen und Menschenansammlungen
der Pariser zu kümmern, die plötzlich "ihr eigenes Kriegsrecht unerträglich
fanden, als es auf sie selbst angewendet wurde." Blüchers ruhiges und
energisches Vorgehen hatte Nachahmung gefunden, auch die anderen Mächte
nahmen wieder, was von Rechts wegen ihnen gehörte: "Der Apoll kehrte ins
Belvedere, die Venus in das Haus der Medici, der Löwe nach Venedig, das
Viergespann auf die Markuskirche zurück; die Archive des Vatikans, Turins,
Spaniens, Hollands, die Tausende kostbarer Handschriften der deutschen, nieder¬
ländischen, italienischen Bibliotheken wanderten in ihre Heimat; und der lebhaften
Verwendung der preußischen Staatsmänner, besonders Humboldts und Eichhorns,
verdankte es Deutschland, daß ein kostbarer Teil der pfälzischen Bibliothek,
welche durch Tilly und Maximilian von Bayern nach Rom gekommen war.
der Universität Heidelberg zurückgegeben wurde."

Aber was bedeutete dies alles gegenüber den heißen Wünschen und
Träumen der deutschen Patrioten? Was bedeutete diesen gegenüber die "Heilige
Allianz", die Alexander in einer mystisch-romantischen Stunde mit den verbündeten
Monarchen schloß, um aus den Völkern Europas eine einzige, große in Liebe
und Frömmigkeit geeinte Familie zu machen?

Das einzige, was Deutschland aus diesen Verhandlungen und Demütigungen
rettete war, wie Pertz sagt, "die teuer erkaufte Lehre, daß keine der großen
europäischen Mächte aufrichtig sein Heil, seine Sicherheit und Kraft wünschte,
daß jede derselben unter allen Umständen bereit ist, mit deutschem Blut und
deutschen Waffen ihre Kriege zu führen, daß deutsche Mächte, die großen wie


Die Friedensziele von

ohne Schuld. Es stand allein und konnte, erschöpft an Menschen und Mitteln,
die Sache nicht gegen ganz Europa durchsetzen. Es mußte der höheren Rücksicht
der Einigkeit mit seinen Verbündeten, der Ruhe seiner Völker, sei sie auch
weniger dauernd, die bessere Überzeugung aufopfern."

So kam nach vielem Hin und Her endlich am 20. November 1815 der
zweite Pariser Friede zustande, in dem von allen Forderungen und Wünschen
der deutschen Mächte und des deutschen Volkes wenig mehr zu merken ist.
Nur oaß Preußen Saarlouis und Saarbrücken erhielt, daß von den verlangten
Festungen das Festungsviereck zwischen Maubeuge und Glock an Belgien ab¬
getreten wurde und das viel umstrittene Landau an die Rheinpfalz kam. Freilich
ein wenig strenger als 1314 wurde Frankreich schon behandelt, wenn man auch
dem verzogenen Schoßkind nicht allzu wehe tat. Es mußte den französisch
gewordenen Teil von Savoyen an Piemont wieder geben, sich auf fünf Jahre
die Besatzung von 150000 Mann gefallen lassen und eine Kriegsentschädigung
von 700 Millionen Franken zahlen.

Auch in der Museumsfrage hatte es sich wohl oder übel fügen müssen,
das heißt Blücher hatte gleich bei seinem Einzug in Paris, ohne zu warten,
was die Diplomatie bestimmte, im gesunden Soldatengefühl den Franzosen
einfach genommen, was sie einst an Kunstwerken den Deutschen geraubt hatten, ohne
sich um die Drohungen, Schmähbriefe, Beleidigungen und Menschenansammlungen
der Pariser zu kümmern, die plötzlich „ihr eigenes Kriegsrecht unerträglich
fanden, als es auf sie selbst angewendet wurde." Blüchers ruhiges und
energisches Vorgehen hatte Nachahmung gefunden, auch die anderen Mächte
nahmen wieder, was von Rechts wegen ihnen gehörte: „Der Apoll kehrte ins
Belvedere, die Venus in das Haus der Medici, der Löwe nach Venedig, das
Viergespann auf die Markuskirche zurück; die Archive des Vatikans, Turins,
Spaniens, Hollands, die Tausende kostbarer Handschriften der deutschen, nieder¬
ländischen, italienischen Bibliotheken wanderten in ihre Heimat; und der lebhaften
Verwendung der preußischen Staatsmänner, besonders Humboldts und Eichhorns,
verdankte es Deutschland, daß ein kostbarer Teil der pfälzischen Bibliothek,
welche durch Tilly und Maximilian von Bayern nach Rom gekommen war.
der Universität Heidelberg zurückgegeben wurde."

Aber was bedeutete dies alles gegenüber den heißen Wünschen und
Träumen der deutschen Patrioten? Was bedeutete diesen gegenüber die „Heilige
Allianz", die Alexander in einer mystisch-romantischen Stunde mit den verbündeten
Monarchen schloß, um aus den Völkern Europas eine einzige, große in Liebe
und Frömmigkeit geeinte Familie zu machen?

Das einzige, was Deutschland aus diesen Verhandlungen und Demütigungen
rettete war, wie Pertz sagt, „die teuer erkaufte Lehre, daß keine der großen
europäischen Mächte aufrichtig sein Heil, seine Sicherheit und Kraft wünschte,
daß jede derselben unter allen Umständen bereit ist, mit deutschem Blut und
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[0126] Die Friedensziele von ohne Schuld. Es stand allein und konnte, erschöpft an Menschen und Mitteln, die Sache nicht gegen ganz Europa durchsetzen. Es mußte der höheren Rücksicht der Einigkeit mit seinen Verbündeten, der Ruhe seiner Völker, sei sie auch weniger dauernd, die bessere Überzeugung aufopfern." So kam nach vielem Hin und Her endlich am 20. November 1815 der zweite Pariser Friede zustande, in dem von allen Forderungen und Wünschen der deutschen Mächte und des deutschen Volkes wenig mehr zu merken ist. Nur oaß Preußen Saarlouis und Saarbrücken erhielt, daß von den verlangten Festungen das Festungsviereck zwischen Maubeuge und Glock an Belgien ab¬ getreten wurde und das viel umstrittene Landau an die Rheinpfalz kam. Freilich ein wenig strenger als 1314 wurde Frankreich schon behandelt, wenn man auch dem verzogenen Schoßkind nicht allzu wehe tat. Es mußte den französisch gewordenen Teil von Savoyen an Piemont wieder geben, sich auf fünf Jahre die Besatzung von 150000 Mann gefallen lassen und eine Kriegsentschädigung von 700 Millionen Franken zahlen. Auch in der Museumsfrage hatte es sich wohl oder übel fügen müssen, das heißt Blücher hatte gleich bei seinem Einzug in Paris, ohne zu warten, was die Diplomatie bestimmte, im gesunden Soldatengefühl den Franzosen einfach genommen, was sie einst an Kunstwerken den Deutschen geraubt hatten, ohne sich um die Drohungen, Schmähbriefe, Beleidigungen und Menschenansammlungen der Pariser zu kümmern, die plötzlich „ihr eigenes Kriegsrecht unerträglich fanden, als es auf sie selbst angewendet wurde." Blüchers ruhiges und energisches Vorgehen hatte Nachahmung gefunden, auch die anderen Mächte nahmen wieder, was von Rechts wegen ihnen gehörte: „Der Apoll kehrte ins Belvedere, die Venus in das Haus der Medici, der Löwe nach Venedig, das Viergespann auf die Markuskirche zurück; die Archive des Vatikans, Turins, Spaniens, Hollands, die Tausende kostbarer Handschriften der deutschen, nieder¬ ländischen, italienischen Bibliotheken wanderten in ihre Heimat; und der lebhaften Verwendung der preußischen Staatsmänner, besonders Humboldts und Eichhorns, verdankte es Deutschland, daß ein kostbarer Teil der pfälzischen Bibliothek, welche durch Tilly und Maximilian von Bayern nach Rom gekommen war. der Universität Heidelberg zurückgegeben wurde." Aber was bedeutete dies alles gegenüber den heißen Wünschen und Träumen der deutschen Patrioten? Was bedeutete diesen gegenüber die „Heilige Allianz", die Alexander in einer mystisch-romantischen Stunde mit den verbündeten Monarchen schloß, um aus den Völkern Europas eine einzige, große in Liebe und Frömmigkeit geeinte Familie zu machen? Das einzige, was Deutschland aus diesen Verhandlungen und Demütigungen rettete war, wie Pertz sagt, „die teuer erkaufte Lehre, daß keine der großen europäischen Mächte aufrichtig sein Heil, seine Sicherheit und Kraft wünschte, daß jede derselben unter allen Umständen bereit ist, mit deutschem Blut und deutschen Waffen ihre Kriege zu führen, daß deutsche Mächte, die großen wie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/126>, abgerufen am 23.07.2024.