Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Friedensziele von ^8<S

wie Herder von einer "Autonomie der Nation" träumten, "Deutsche zu sein
auf eigenem Grund und Boden", wenn wie bei Friedrich Karl Moser schon
die Idee vom "deutschen Nationalgeist" auftauchte, so waren diese Gedanken
doch alle mehr Probleme, die den Verstand angenehm beschäftigten, nicht der
mächtige Strom des Gefühls, der eine ganze Masse aufrüttelt in dem einzigen
Bewußtsein der unbedingten Zusammengehörigkeit.

Erst das alles nivellierende, jede völkische Eigenart unterdrückende napoleonische
Imperium hat dann das nationale Gewissen geweckt, hat jene romantische
Stimmung erzeugt, die in liebevoller Versenkung in die Schätze der Vergangenheit
das Individuelle der Einzelvölker entdeckte und endlich jene heilige Glut der Freiheits¬
kriege entflammte, die aus den kosmopolitisch gestimmten, von Freundschaft,
Verbrüderung und Weltrepubliken träumenden Völkern die scharf abgegrenzten,
selbstbewußten Nationen schuf.

War, was damals emporloderte, auch noch nicht unser heutiges Empfinden
vom Staat, sah doch selbst ein Stein in jenen Jahren die politische Befreiung
Deutschlands nicht als eine "rein deutsche Angelegenheit an, sondern als eine
europäische, mit europäischer Hilfe durchzuführende", schaute er auch noch nicht
"den autonomen Nationalstaat, sondern den durch universale Prinzipien ge¬
bundenen", so war doch jene Zeit die festliche Geburtsstunde des neuen
Deutschen Reiches.

Der erste Pariser Friede freilich hatte die Erwartung des Volkes aufs
schmählichste betrogen. Die Hoffnung, die man damals weithin gehegt, als
Lohn für alle Opfer das Elsaß zu bekommen, war bitter getäuscht worden.
Der Stimme der Nation gegenüber hatte die Diplomatie erklärt, man habe
nur mit Napoleon, nicht mit den Franzosen Krieg geführt und müsse demgemäß
das Land schonen. Ja, die Schonung war soweit gegangen, daß man Frank¬
reich, statt es zu strafen für alles Leid, das es seit Jahren über die Völker
gebracht, noch mehr Land zusprach, als es vor der Revolution besessen, mehr:
Amgnon und Venaissin noch die deutsche Grafschaft Mömpelgard, die deutsche
Festung Landau, die deutschen Städte Saarbrücken und Saarlouis. Daß es
die Bibliotheken geplündert, die Museen beraubt, hatte man ihm großmütig
verziehen und von diesen Schätzen nichts wieder zurückverlangt. Nur den
Degen Friedrichs des Großen und die Siegesgöttin vom Brandenburger Tor,
wie einige Pergamente der Kasseler Bibliothek hatten die Deutschen gerettet.
Von einer Kontribution aber, von einer Bezahlung der Kriegskosten, um die
Völker, die Hunderte von Millionen hatten hergeben müssen, die bis aufs Blut
ausgesogen worden waren, zu entschädigen, war keine Rede. Man hatte es so
den Franzosen gleichsam bestätigt, sie seien "ein Volk höherer Ordnung", "man
hatte sie in dem Wahn gelassen, sie besäßen ein natürliches Anrecht darauf,
sich fremden Gutes ohne Ersatzpflicht bemächtigen zu dürfen", und hatte auf
diese Weise, "ihre das gewöhnliche Maß nationalen Stolzes weitüberbietende
Selbstüberhebung" unklug und unpolitisch noch gesteigert.


Die Friedensziele von ^8<S

wie Herder von einer „Autonomie der Nation" träumten, „Deutsche zu sein
auf eigenem Grund und Boden", wenn wie bei Friedrich Karl Moser schon
die Idee vom „deutschen Nationalgeist" auftauchte, so waren diese Gedanken
doch alle mehr Probleme, die den Verstand angenehm beschäftigten, nicht der
mächtige Strom des Gefühls, der eine ganze Masse aufrüttelt in dem einzigen
Bewußtsein der unbedingten Zusammengehörigkeit.

Erst das alles nivellierende, jede völkische Eigenart unterdrückende napoleonische
Imperium hat dann das nationale Gewissen geweckt, hat jene romantische
Stimmung erzeugt, die in liebevoller Versenkung in die Schätze der Vergangenheit
das Individuelle der Einzelvölker entdeckte und endlich jene heilige Glut der Freiheits¬
kriege entflammte, die aus den kosmopolitisch gestimmten, von Freundschaft,
Verbrüderung und Weltrepubliken träumenden Völkern die scharf abgegrenzten,
selbstbewußten Nationen schuf.

War, was damals emporloderte, auch noch nicht unser heutiges Empfinden
vom Staat, sah doch selbst ein Stein in jenen Jahren die politische Befreiung
Deutschlands nicht als eine „rein deutsche Angelegenheit an, sondern als eine
europäische, mit europäischer Hilfe durchzuführende", schaute er auch noch nicht
„den autonomen Nationalstaat, sondern den durch universale Prinzipien ge¬
bundenen", so war doch jene Zeit die festliche Geburtsstunde des neuen
Deutschen Reiches.

Der erste Pariser Friede freilich hatte die Erwartung des Volkes aufs
schmählichste betrogen. Die Hoffnung, die man damals weithin gehegt, als
Lohn für alle Opfer das Elsaß zu bekommen, war bitter getäuscht worden.
Der Stimme der Nation gegenüber hatte die Diplomatie erklärt, man habe
nur mit Napoleon, nicht mit den Franzosen Krieg geführt und müsse demgemäß
das Land schonen. Ja, die Schonung war soweit gegangen, daß man Frank¬
reich, statt es zu strafen für alles Leid, das es seit Jahren über die Völker
gebracht, noch mehr Land zusprach, als es vor der Revolution besessen, mehr:
Amgnon und Venaissin noch die deutsche Grafschaft Mömpelgard, die deutsche
Festung Landau, die deutschen Städte Saarbrücken und Saarlouis. Daß es
die Bibliotheken geplündert, die Museen beraubt, hatte man ihm großmütig
verziehen und von diesen Schätzen nichts wieder zurückverlangt. Nur den
Degen Friedrichs des Großen und die Siegesgöttin vom Brandenburger Tor,
wie einige Pergamente der Kasseler Bibliothek hatten die Deutschen gerettet.
Von einer Kontribution aber, von einer Bezahlung der Kriegskosten, um die
Völker, die Hunderte von Millionen hatten hergeben müssen, die bis aufs Blut
ausgesogen worden waren, zu entschädigen, war keine Rede. Man hatte es so
den Franzosen gleichsam bestätigt, sie seien „ein Volk höherer Ordnung", „man
hatte sie in dem Wahn gelassen, sie besäßen ein natürliches Anrecht darauf,
sich fremden Gutes ohne Ersatzpflicht bemächtigen zu dürfen", und hatte auf
diese Weise, „ihre das gewöhnliche Maß nationalen Stolzes weitüberbietende
Selbstüberhebung" unklug und unpolitisch noch gesteigert.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0118" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/324091"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Friedensziele von ^8&lt;S</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_310" prev="#ID_309"> wie Herder von einer &#x201E;Autonomie der Nation" träumten, &#x201E;Deutsche zu sein<lb/>
auf eigenem Grund und Boden", wenn wie bei Friedrich Karl Moser schon<lb/>
die Idee vom &#x201E;deutschen Nationalgeist" auftauchte, so waren diese Gedanken<lb/>
doch alle mehr Probleme, die den Verstand angenehm beschäftigten, nicht der<lb/>
mächtige Strom des Gefühls, der eine ganze Masse aufrüttelt in dem einzigen<lb/>
Bewußtsein der unbedingten Zusammengehörigkeit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_311"> Erst das alles nivellierende, jede völkische Eigenart unterdrückende napoleonische<lb/>
Imperium hat dann das nationale Gewissen geweckt, hat jene romantische<lb/>
Stimmung erzeugt, die in liebevoller Versenkung in die Schätze der Vergangenheit<lb/>
das Individuelle der Einzelvölker entdeckte und endlich jene heilige Glut der Freiheits¬<lb/>
kriege entflammte, die aus den kosmopolitisch gestimmten, von Freundschaft,<lb/>
Verbrüderung und Weltrepubliken träumenden Völkern die scharf abgegrenzten,<lb/>
selbstbewußten Nationen schuf.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_312"> War, was damals emporloderte, auch noch nicht unser heutiges Empfinden<lb/>
vom Staat, sah doch selbst ein Stein in jenen Jahren die politische Befreiung<lb/>
Deutschlands nicht als eine &#x201E;rein deutsche Angelegenheit an, sondern als eine<lb/>
europäische, mit europäischer Hilfe durchzuführende", schaute er auch noch nicht<lb/>
&#x201E;den autonomen Nationalstaat, sondern den durch universale Prinzipien ge¬<lb/>
bundenen", so war doch jene Zeit die festliche Geburtsstunde des neuen<lb/>
Deutschen Reiches.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_313"> Der erste Pariser Friede freilich hatte die Erwartung des Volkes aufs<lb/>
schmählichste betrogen. Die Hoffnung, die man damals weithin gehegt, als<lb/>
Lohn für alle Opfer das Elsaß zu bekommen, war bitter getäuscht worden.<lb/>
Der Stimme der Nation gegenüber hatte die Diplomatie erklärt, man habe<lb/>
nur mit Napoleon, nicht mit den Franzosen Krieg geführt und müsse demgemäß<lb/>
das Land schonen. Ja, die Schonung war soweit gegangen, daß man Frank¬<lb/>
reich, statt es zu strafen für alles Leid, das es seit Jahren über die Völker<lb/>
gebracht, noch mehr Land zusprach, als es vor der Revolution besessen, mehr:<lb/>
Amgnon und Venaissin noch die deutsche Grafschaft Mömpelgard, die deutsche<lb/>
Festung Landau, die deutschen Städte Saarbrücken und Saarlouis. Daß es<lb/>
die Bibliotheken geplündert, die Museen beraubt, hatte man ihm großmütig<lb/>
verziehen und von diesen Schätzen nichts wieder zurückverlangt. Nur den<lb/>
Degen Friedrichs des Großen und die Siegesgöttin vom Brandenburger Tor,<lb/>
wie einige Pergamente der Kasseler Bibliothek hatten die Deutschen gerettet.<lb/>
Von einer Kontribution aber, von einer Bezahlung der Kriegskosten, um die<lb/>
Völker, die Hunderte von Millionen hatten hergeben müssen, die bis aufs Blut<lb/>
ausgesogen worden waren, zu entschädigen, war keine Rede. Man hatte es so<lb/>
den Franzosen gleichsam bestätigt, sie seien &#x201E;ein Volk höherer Ordnung", &#x201E;man<lb/>
hatte sie in dem Wahn gelassen, sie besäßen ein natürliches Anrecht darauf,<lb/>
sich fremden Gutes ohne Ersatzpflicht bemächtigen zu dürfen", und hatte auf<lb/>
diese Weise, &#x201E;ihre das gewöhnliche Maß nationalen Stolzes weitüberbietende<lb/>
Selbstüberhebung" unklug und unpolitisch noch gesteigert.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0118] Die Friedensziele von ^8<S wie Herder von einer „Autonomie der Nation" träumten, „Deutsche zu sein auf eigenem Grund und Boden", wenn wie bei Friedrich Karl Moser schon die Idee vom „deutschen Nationalgeist" auftauchte, so waren diese Gedanken doch alle mehr Probleme, die den Verstand angenehm beschäftigten, nicht der mächtige Strom des Gefühls, der eine ganze Masse aufrüttelt in dem einzigen Bewußtsein der unbedingten Zusammengehörigkeit. Erst das alles nivellierende, jede völkische Eigenart unterdrückende napoleonische Imperium hat dann das nationale Gewissen geweckt, hat jene romantische Stimmung erzeugt, die in liebevoller Versenkung in die Schätze der Vergangenheit das Individuelle der Einzelvölker entdeckte und endlich jene heilige Glut der Freiheits¬ kriege entflammte, die aus den kosmopolitisch gestimmten, von Freundschaft, Verbrüderung und Weltrepubliken träumenden Völkern die scharf abgegrenzten, selbstbewußten Nationen schuf. War, was damals emporloderte, auch noch nicht unser heutiges Empfinden vom Staat, sah doch selbst ein Stein in jenen Jahren die politische Befreiung Deutschlands nicht als eine „rein deutsche Angelegenheit an, sondern als eine europäische, mit europäischer Hilfe durchzuführende", schaute er auch noch nicht „den autonomen Nationalstaat, sondern den durch universale Prinzipien ge¬ bundenen", so war doch jene Zeit die festliche Geburtsstunde des neuen Deutschen Reiches. Der erste Pariser Friede freilich hatte die Erwartung des Volkes aufs schmählichste betrogen. Die Hoffnung, die man damals weithin gehegt, als Lohn für alle Opfer das Elsaß zu bekommen, war bitter getäuscht worden. Der Stimme der Nation gegenüber hatte die Diplomatie erklärt, man habe nur mit Napoleon, nicht mit den Franzosen Krieg geführt und müsse demgemäß das Land schonen. Ja, die Schonung war soweit gegangen, daß man Frank¬ reich, statt es zu strafen für alles Leid, das es seit Jahren über die Völker gebracht, noch mehr Land zusprach, als es vor der Revolution besessen, mehr: Amgnon und Venaissin noch die deutsche Grafschaft Mömpelgard, die deutsche Festung Landau, die deutschen Städte Saarbrücken und Saarlouis. Daß es die Bibliotheken geplündert, die Museen beraubt, hatte man ihm großmütig verziehen und von diesen Schätzen nichts wieder zurückverlangt. Nur den Degen Friedrichs des Großen und die Siegesgöttin vom Brandenburger Tor, wie einige Pergamente der Kasseler Bibliothek hatten die Deutschen gerettet. Von einer Kontribution aber, von einer Bezahlung der Kriegskosten, um die Völker, die Hunderte von Millionen hatten hergeben müssen, die bis aufs Blut ausgesogen worden waren, zu entschädigen, war keine Rede. Man hatte es so den Franzosen gleichsam bestätigt, sie seien „ein Volk höherer Ordnung", „man hatte sie in dem Wahn gelassen, sie besäßen ein natürliches Anrecht darauf, sich fremden Gutes ohne Ersatzpflicht bemächtigen zu dürfen", und hatte auf diese Weise, „ihre das gewöhnliche Maß nationalen Stolzes weitüberbietende Selbstüberhebung" unklug und unpolitisch noch gesteigert.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/118
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/118>, abgerufen am 23.07.2024.