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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Die Friedensziele von

tretern der europäischen Mächte vorübergegangen. Statt das Gute, das der
Mann der Revolution geschaffen, einzufügen in das Reich des geschichtlich
Gewordenen, hatte man in der Angst vor dieser Revolution wahllos alles
vernichtet, was an sie erinnerte, hatte man die edelsten und feinsten Gefühle
der Völker verletzt, indem man sinnlos Nationen und Stämme geteilt, wesens¬
fremdes vereinigt und "in Bezug auf Ländergier und Willkür nicht hinter dem
Erzfeind zurückgeblieben war." Alle kühnen Wünsche und Hoffnungen hatte
so der Kongreß getäuscht. Dennoch war die alte Vertrauensseligkeit nicht ge¬
schwunden, und was in Wien nicht erreicht worden war, hoffte man mit der gleichen
Zuversicht nun in Paris zu erhalten. Besonders Deutschland befand sich in
einem Zustand tiefster Erregung. War es doch etwas anderes um den Frieden,
der jetzt in Paris geschlossen werden sollte, als um alle früheren Friedens¬
schlüsse, wie es etwas anderes um diesen Krieg gewesen war, als um alle Kriege
bisher. Nicht die Kabinette hatten ihn entfesselt wie sonst, sondern ein lange
Jahre niedergedrücktes, der Fremdherrschaft müdes, gedemütigtes, ausgesogenes
Volk hatte, geläutert in der Schule des Leidens, entschlossen und mutig die
Fesseln abgeworfen und sich allein durchgerungen zur freien Bestimmung seines
Geschickes. Darum wurde jetzt dieser Friedensschluß als eine Sache empfunden,
an der jeder Deutsche Anteil habe, darum zitterte in der Seele des Volkes
ein tiefes, heiliges, zorniges, nationales Empfinden. Noch ist es anspruchslos
und bescheiden, noch fehlt es den Forderungen an "der Klarheit der nationalen
Ziele und an der Form, diese als Ausdruck des Volkswillens zur Geltung zu
bringen." Aber doch welch ein Unterschied zwischen der Volksstimmung dieser
Zeit und der von 1807! Damals hatte man noch gleichgültig zugehört,
was der Tilsiter Friede an Demütigung und Schmach dem Preußenstaate
auferlegte. Der Krieg war eben damals für das Volk nur eine Sache der
Fürsten gewesen, die Bürger und Bauersmann nichts anging, wie die
Soldaten nur das Heer des Königs waren, das bei Jena und Auerstedt
unterlegen war.

Die kosmopolitische Stimmung des achtzehnten Jahrhunderts hatte damals
noch überwogen. Das Hunumitätsideal, das die Großen der klassischen Zeit
geprägt, das Versenken in die Persönlichkeit, die Ausbildung und Vervoll¬
kommnung dieser Persönlichkeit zu einer eigenen, wunderbaren, feingeglieoerteu
Welt hatte den Blick weit weg über die Grenzen des engen Vaterlandes in
das Unbegrenzte, Weite, rein Menschliche gezogen.

Der siebenjährige Krieg freilich hatte einst das Volk aufs tiefste erregt,
hatte es stolz emporblicken lassen zu der leuchtenden Gestalt des großen Königs,
der einsam und mutig das kleine Schifflein seines Staates durch eine wild¬
bewegte See gesteuert, furchtlos, ob auch überallher von demi User die Kugeln
blitzten, die ihn zu durchbohren drohten. Aber es war hier doch mehr die
Bewunderung für den einzigen großen Mann gewesen, die fortgerissen hatte,
nicht ein tieferes nationales Gefühl. Wenn auch schon einzelne große Geister


Die Friedensziele von

tretern der europäischen Mächte vorübergegangen. Statt das Gute, das der
Mann der Revolution geschaffen, einzufügen in das Reich des geschichtlich
Gewordenen, hatte man in der Angst vor dieser Revolution wahllos alles
vernichtet, was an sie erinnerte, hatte man die edelsten und feinsten Gefühle
der Völker verletzt, indem man sinnlos Nationen und Stämme geteilt, wesens¬
fremdes vereinigt und „in Bezug auf Ländergier und Willkür nicht hinter dem
Erzfeind zurückgeblieben war." Alle kühnen Wünsche und Hoffnungen hatte
so der Kongreß getäuscht. Dennoch war die alte Vertrauensseligkeit nicht ge¬
schwunden, und was in Wien nicht erreicht worden war, hoffte man mit der gleichen
Zuversicht nun in Paris zu erhalten. Besonders Deutschland befand sich in
einem Zustand tiefster Erregung. War es doch etwas anderes um den Frieden,
der jetzt in Paris geschlossen werden sollte, als um alle früheren Friedens¬
schlüsse, wie es etwas anderes um diesen Krieg gewesen war, als um alle Kriege
bisher. Nicht die Kabinette hatten ihn entfesselt wie sonst, sondern ein lange
Jahre niedergedrücktes, der Fremdherrschaft müdes, gedemütigtes, ausgesogenes
Volk hatte, geläutert in der Schule des Leidens, entschlossen und mutig die
Fesseln abgeworfen und sich allein durchgerungen zur freien Bestimmung seines
Geschickes. Darum wurde jetzt dieser Friedensschluß als eine Sache empfunden,
an der jeder Deutsche Anteil habe, darum zitterte in der Seele des Volkes
ein tiefes, heiliges, zorniges, nationales Empfinden. Noch ist es anspruchslos
und bescheiden, noch fehlt es den Forderungen an „der Klarheit der nationalen
Ziele und an der Form, diese als Ausdruck des Volkswillens zur Geltung zu
bringen." Aber doch welch ein Unterschied zwischen der Volksstimmung dieser
Zeit und der von 1807! Damals hatte man noch gleichgültig zugehört,
was der Tilsiter Friede an Demütigung und Schmach dem Preußenstaate
auferlegte. Der Krieg war eben damals für das Volk nur eine Sache der
Fürsten gewesen, die Bürger und Bauersmann nichts anging, wie die
Soldaten nur das Heer des Königs waren, das bei Jena und Auerstedt
unterlegen war.

Die kosmopolitische Stimmung des achtzehnten Jahrhunderts hatte damals
noch überwogen. Das Hunumitätsideal, das die Großen der klassischen Zeit
geprägt, das Versenken in die Persönlichkeit, die Ausbildung und Vervoll¬
kommnung dieser Persönlichkeit zu einer eigenen, wunderbaren, feingeglieoerteu
Welt hatte den Blick weit weg über die Grenzen des engen Vaterlandes in
das Unbegrenzte, Weite, rein Menschliche gezogen.

Der siebenjährige Krieg freilich hatte einst das Volk aufs tiefste erregt,
hatte es stolz emporblicken lassen zu der leuchtenden Gestalt des großen Königs,
der einsam und mutig das kleine Schifflein seines Staates durch eine wild¬
bewegte See gesteuert, furchtlos, ob auch überallher von demi User die Kugeln
blitzten, die ihn zu durchbohren drohten. Aber es war hier doch mehr die
Bewunderung für den einzigen großen Mann gewesen, die fortgerissen hatte,
nicht ein tieferes nationales Gefühl. Wenn auch schon einzelne große Geister


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[0117] Die Friedensziele von tretern der europäischen Mächte vorübergegangen. Statt das Gute, das der Mann der Revolution geschaffen, einzufügen in das Reich des geschichtlich Gewordenen, hatte man in der Angst vor dieser Revolution wahllos alles vernichtet, was an sie erinnerte, hatte man die edelsten und feinsten Gefühle der Völker verletzt, indem man sinnlos Nationen und Stämme geteilt, wesens¬ fremdes vereinigt und „in Bezug auf Ländergier und Willkür nicht hinter dem Erzfeind zurückgeblieben war." Alle kühnen Wünsche und Hoffnungen hatte so der Kongreß getäuscht. Dennoch war die alte Vertrauensseligkeit nicht ge¬ schwunden, und was in Wien nicht erreicht worden war, hoffte man mit der gleichen Zuversicht nun in Paris zu erhalten. Besonders Deutschland befand sich in einem Zustand tiefster Erregung. War es doch etwas anderes um den Frieden, der jetzt in Paris geschlossen werden sollte, als um alle früheren Friedens¬ schlüsse, wie es etwas anderes um diesen Krieg gewesen war, als um alle Kriege bisher. Nicht die Kabinette hatten ihn entfesselt wie sonst, sondern ein lange Jahre niedergedrücktes, der Fremdherrschaft müdes, gedemütigtes, ausgesogenes Volk hatte, geläutert in der Schule des Leidens, entschlossen und mutig die Fesseln abgeworfen und sich allein durchgerungen zur freien Bestimmung seines Geschickes. Darum wurde jetzt dieser Friedensschluß als eine Sache empfunden, an der jeder Deutsche Anteil habe, darum zitterte in der Seele des Volkes ein tiefes, heiliges, zorniges, nationales Empfinden. Noch ist es anspruchslos und bescheiden, noch fehlt es den Forderungen an „der Klarheit der nationalen Ziele und an der Form, diese als Ausdruck des Volkswillens zur Geltung zu bringen." Aber doch welch ein Unterschied zwischen der Volksstimmung dieser Zeit und der von 1807! Damals hatte man noch gleichgültig zugehört, was der Tilsiter Friede an Demütigung und Schmach dem Preußenstaate auferlegte. Der Krieg war eben damals für das Volk nur eine Sache der Fürsten gewesen, die Bürger und Bauersmann nichts anging, wie die Soldaten nur das Heer des Königs waren, das bei Jena und Auerstedt unterlegen war. Die kosmopolitische Stimmung des achtzehnten Jahrhunderts hatte damals noch überwogen. Das Hunumitätsideal, das die Großen der klassischen Zeit geprägt, das Versenken in die Persönlichkeit, die Ausbildung und Vervoll¬ kommnung dieser Persönlichkeit zu einer eigenen, wunderbaren, feingeglieoerteu Welt hatte den Blick weit weg über die Grenzen des engen Vaterlandes in das Unbegrenzte, Weite, rein Menschliche gezogen. Der siebenjährige Krieg freilich hatte einst das Volk aufs tiefste erregt, hatte es stolz emporblicken lassen zu der leuchtenden Gestalt des großen Königs, der einsam und mutig das kleine Schifflein seines Staates durch eine wild¬ bewegte See gesteuert, furchtlos, ob auch überallher von demi User die Kugeln blitzten, die ihn zu durchbohren drohten. Aber es war hier doch mehr die Bewunderung für den einzigen großen Mann gewesen, die fortgerissen hatte, nicht ein tieferes nationales Gefühl. Wenn auch schon einzelne große Geister

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/117>, abgerufen am 23.07.2024.