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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Gobineau über Deutsche und Franzosen

Genußmöglichkeiten zu verschaffen, wie sie sie bisher nicht gekannt. Napoleon der
Dritte ordnete den Umbau von Paris an. Die Hauptstadt Frankreichs sollte die
Hauptstadt Europas werden. Mit allen erdenkbaren Mitteln suchte man alle
Welt dahin zu locken, und nur zu viele Pariser bekamen diesem großartigen
Aufschwung den entsprechenden ihrer eigenen materiellen Lebenslage zu danken.
Diejenigen freilich, auf die es in erster Linie abgesehen war, vermochte man
dennoch nicht zufriedenzustellen: mit der Aufbesserung ihres Looses wuchs zugleich
die Begehrlichkeit der Arbeiterschaft, und Dank und Liebe, wo wären die von
feiten eines Volkes je zu finden, es sei denn als Ausfluß jahrhundertelanger
Tradition, innigen Zusammenwachsens von Regierungen und Regierten, wovon
in Frankreich seit langem keine Rede mehr sein kann.

Und doch ist die Bedeutung des Arbeiters gerade in diesem Lande eine
ganz außergewöhnliche, ja man kann es in gewissem Sinne als ein Land von
Arbeitern bezeichnen. Handwerk, Kunsthandwerk, Jndustriekunst sind im modernen
Frankreich in der Tat auf vorbildliche Höhe gebracht worden. Freilich ein
magerer Triumph, über welchem noch dazu die höheren Anliegen eines Volkes
völlig außer acht gelassen wurden. Die Befriedigung des bescheidenen Ehr¬
geizes, Kapitalien nach Paris zu ziehen, das Land zu bereichern, das Leben
darin immer bequemer und eleganter zu gestalten, hat in keiner Weise dazu
beigetragen, diesem letzteren nun auch Ruhe und Frieden einzuflößen, es weiser
einzurichten, oder gar zu veredeln. Solange aber der Mann des Handwerks
-- hier im weitesten Sinne genommen -- nicht wieder dem Beispiele seiner
Väter folgt und fich auf die Arbeit zurückzieht, wird keine Sicherheit, keine
Würde für ein Volk denkbar fein, das beider so dringend bedürfte.

Der allgewaltigen französischen Verwaltung ist es also nicht gelungen, ihre
Bauern aufzuklären, ihre Arbeiter zu bilden, die Intelligenz ihrer Werkzeuge,
der Beamten, zu entwickeln. Sie hat lediglich das materielle Dasein dieser
drei Klassen verbessert, sie von allerlei Verantwortungen entlastet, ihre gemeinen
und groben Instinkte gepflegt, jederlei moralische Einwirkung, jederlei höhere
Ideen aber ihnen so systematisch ferngehalten, daß irgendwelche Kundgebung
solchen Geistes aus diesen Kreisen wie eine romantische Anwandlung erscheinen
könnte, welche den, von welchem sie ausginge, um den Ruf des gesunden
Menschenverstandes und praktischen Sinnes bringen müßte. Dabei ist es diesem
System nicht einmal gelungen, mittels des ihm beigemischten weichlichen Zuges
die gehässigen Leidenschaften abzudämpfen, die alte Wildheit auszugleichen, die
vielmehr in den Tiefen der Volksseele unvermindert fortwuchert.

In der Musterung der einzelnen Volkskreise fortfahrend, kommt Gobineau
sodann auf die eigentlichen oberen Klassen zu sprechen, die nicht weniger als
die unteren dem Kultus der Materie verfallen, ohne Wärme, ohne Begeisterung,
ihre Pflicht nicht mehr kennen und das Recht und die Fähigkeit verwirkt haben,
dem Volke als Leiter und Führer zu dienen. Und doch ist ein Hochhalten
eines Volkes und Staates einzig von diesen von der Natur gegebenen Sphären


Gobineau über Deutsche und Franzosen

Genußmöglichkeiten zu verschaffen, wie sie sie bisher nicht gekannt. Napoleon der
Dritte ordnete den Umbau von Paris an. Die Hauptstadt Frankreichs sollte die
Hauptstadt Europas werden. Mit allen erdenkbaren Mitteln suchte man alle
Welt dahin zu locken, und nur zu viele Pariser bekamen diesem großartigen
Aufschwung den entsprechenden ihrer eigenen materiellen Lebenslage zu danken.
Diejenigen freilich, auf die es in erster Linie abgesehen war, vermochte man
dennoch nicht zufriedenzustellen: mit der Aufbesserung ihres Looses wuchs zugleich
die Begehrlichkeit der Arbeiterschaft, und Dank und Liebe, wo wären die von
feiten eines Volkes je zu finden, es sei denn als Ausfluß jahrhundertelanger
Tradition, innigen Zusammenwachsens von Regierungen und Regierten, wovon
in Frankreich seit langem keine Rede mehr sein kann.

Und doch ist die Bedeutung des Arbeiters gerade in diesem Lande eine
ganz außergewöhnliche, ja man kann es in gewissem Sinne als ein Land von
Arbeitern bezeichnen. Handwerk, Kunsthandwerk, Jndustriekunst sind im modernen
Frankreich in der Tat auf vorbildliche Höhe gebracht worden. Freilich ein
magerer Triumph, über welchem noch dazu die höheren Anliegen eines Volkes
völlig außer acht gelassen wurden. Die Befriedigung des bescheidenen Ehr¬
geizes, Kapitalien nach Paris zu ziehen, das Land zu bereichern, das Leben
darin immer bequemer und eleganter zu gestalten, hat in keiner Weise dazu
beigetragen, diesem letzteren nun auch Ruhe und Frieden einzuflößen, es weiser
einzurichten, oder gar zu veredeln. Solange aber der Mann des Handwerks
— hier im weitesten Sinne genommen — nicht wieder dem Beispiele seiner
Väter folgt und fich auf die Arbeit zurückzieht, wird keine Sicherheit, keine
Würde für ein Volk denkbar fein, das beider so dringend bedürfte.

Der allgewaltigen französischen Verwaltung ist es also nicht gelungen, ihre
Bauern aufzuklären, ihre Arbeiter zu bilden, die Intelligenz ihrer Werkzeuge,
der Beamten, zu entwickeln. Sie hat lediglich das materielle Dasein dieser
drei Klassen verbessert, sie von allerlei Verantwortungen entlastet, ihre gemeinen
und groben Instinkte gepflegt, jederlei moralische Einwirkung, jederlei höhere
Ideen aber ihnen so systematisch ferngehalten, daß irgendwelche Kundgebung
solchen Geistes aus diesen Kreisen wie eine romantische Anwandlung erscheinen
könnte, welche den, von welchem sie ausginge, um den Ruf des gesunden
Menschenverstandes und praktischen Sinnes bringen müßte. Dabei ist es diesem
System nicht einmal gelungen, mittels des ihm beigemischten weichlichen Zuges
die gehässigen Leidenschaften abzudämpfen, die alte Wildheit auszugleichen, die
vielmehr in den Tiefen der Volksseele unvermindert fortwuchert.

In der Musterung der einzelnen Volkskreise fortfahrend, kommt Gobineau
sodann auf die eigentlichen oberen Klassen zu sprechen, die nicht weniger als
die unteren dem Kultus der Materie verfallen, ohne Wärme, ohne Begeisterung,
ihre Pflicht nicht mehr kennen und das Recht und die Fähigkeit verwirkt haben,
dem Volke als Leiter und Führer zu dienen. Und doch ist ein Hochhalten
eines Volkes und Staates einzig von diesen von der Natur gegebenen Sphären


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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/96>, abgerufen am 22.07.2024.