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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Gobineau über Deutsche und Franzosen

anderes, ja umgekehrtes Ansehen zu geben, zurückzuweisen. Schwer ist dies
nicht, wenn auch zunächst der Umstand, daß die eigene Tochter Gobineaus es
ist, welche ihren Vater von uns loszureißen unternimmt, deren Worten in den
Augen Unbelehrter einen gewissen Nimbus verleihen dürfte.

Jahrelang habe ich mich bei meinen biographischen und sonstigen Arbeiten
über Gobineau der wohlwollendsten und nutzbringendsten Förderung durch die
Genannte, Frau Baronin von Guldencrone, zu erfreuen gehabt. Da kam der
Krieg, der ihr, wie den meisten nichtdeutschen Zeitgenossen, nur in der uns
allen ja bekannten Beleuchtung dargestellt wurde, und unsere angeblich durch
die "Zerstörung Löwens" begangenen Wandalismen boten ihr den Anlaß, sich
von dem Geisteswerke, das vor einundzwanzig Jahren sich in der Gobineau-
Vereinigung verkörpert und seitdem den Ruhm des Schöpfers des Versuches
über die Ungleichheit der Menschenrassen und der Renaissance weithin ausge¬
breitet hat, entrüstet zurückzuziehen. Jetzt will sie in einem offenen Brief an
den Temps*) dartun, daß die enge Verkettung Gobineaus mit Deutschland
überhaupt zu Unrecht stattgefunden habe, nur auf einem Mißverstehen beruhe;
daß Gobineau eine sehr geringe Meinung von den Deutschen gehabt, und daß
eine Bewunderung vielmehr Eng land gegolten habe, "woraus ihm das heutige
Frankreich keinen Vorwurf werde machen können."

Um letzteren Punkt beiläufig abzutun, so ist durchaus zuzugeben, daß
Gobineau, im Banne seiner anthropologischen -- germanischen -- Geschichts¬
auffassung, die Engländer sehr hoch geschätzt hat. Das viele Große, das die
englische Geschichte in jedem Falle einschließt, hat ihm -- und wie vielen mit
ihm! -- vielleicht etwas zu einseitig, Eindruck gemacht. Wenn es aber in dem
erwähnten Briefe heißt, er habe in den Angelsachsen "das Ideal der germanischen
Rasse, deren edelsten und besterhaltenen Bestandteil" gesehen, so ist das ent¬
schieden unrichtig. Den besterhaltenen, ja! den edelsten, nein! Band IV, Seite 201
des "l283al sur I'ineMlite ach raLes liumaines" (Deutsche Ausgabe Band 4,
Seite 199) sagt er gerade umgekehrt: "Das britische Reich sei weder das
glänzendste noch das menschlichste noch das edelste der europäischen Reiche ge¬
wesen", und unmittelbar darauf schränkt er sogar das Prädikat verhältnismäßig
reinen Germanentums durch Aufzählung vieler entgermanisierender Momente,
welche schon damals, vor sechzig Jahren, wirksam waren und seitdem stetig zu¬
genommen haben, zum mindesten stark ein.

Wie wenig blind Gobineau im übrigen für die dunklen Seiten des Briten-
tums war, klang schon in den soeben zitierten Worten von ferne an. Deut¬
licher erhellt es zum Beispiel aus seiner scharfen Beurteilung der Jrenpolitik
Englands (im Wortlaut mitgeteilt "Quellen und Untersuchungen" usw., Band I.



*) Dieses französische Blatt, das früher wiederholt Gutes über Gobineau gebracht hat,
ist mir zurzeit aus begreiflichen Gründen nicht zugänglich. So ist mir auch der in Frage
stehende Brief nur in italienischer Übersetzung (im Marzocco vom 17. Januar), die aber
einen durchaus zuverlässigen Eindruck macht, bekannt geworden.
Gobineau über Deutsche und Franzosen

anderes, ja umgekehrtes Ansehen zu geben, zurückzuweisen. Schwer ist dies
nicht, wenn auch zunächst der Umstand, daß die eigene Tochter Gobineaus es
ist, welche ihren Vater von uns loszureißen unternimmt, deren Worten in den
Augen Unbelehrter einen gewissen Nimbus verleihen dürfte.

Jahrelang habe ich mich bei meinen biographischen und sonstigen Arbeiten
über Gobineau der wohlwollendsten und nutzbringendsten Förderung durch die
Genannte, Frau Baronin von Guldencrone, zu erfreuen gehabt. Da kam der
Krieg, der ihr, wie den meisten nichtdeutschen Zeitgenossen, nur in der uns
allen ja bekannten Beleuchtung dargestellt wurde, und unsere angeblich durch
die „Zerstörung Löwens" begangenen Wandalismen boten ihr den Anlaß, sich
von dem Geisteswerke, das vor einundzwanzig Jahren sich in der Gobineau-
Vereinigung verkörpert und seitdem den Ruhm des Schöpfers des Versuches
über die Ungleichheit der Menschenrassen und der Renaissance weithin ausge¬
breitet hat, entrüstet zurückzuziehen. Jetzt will sie in einem offenen Brief an
den Temps*) dartun, daß die enge Verkettung Gobineaus mit Deutschland
überhaupt zu Unrecht stattgefunden habe, nur auf einem Mißverstehen beruhe;
daß Gobineau eine sehr geringe Meinung von den Deutschen gehabt, und daß
eine Bewunderung vielmehr Eng land gegolten habe, „woraus ihm das heutige
Frankreich keinen Vorwurf werde machen können."

Um letzteren Punkt beiläufig abzutun, so ist durchaus zuzugeben, daß
Gobineau, im Banne seiner anthropologischen — germanischen — Geschichts¬
auffassung, die Engländer sehr hoch geschätzt hat. Das viele Große, das die
englische Geschichte in jedem Falle einschließt, hat ihm — und wie vielen mit
ihm! — vielleicht etwas zu einseitig, Eindruck gemacht. Wenn es aber in dem
erwähnten Briefe heißt, er habe in den Angelsachsen „das Ideal der germanischen
Rasse, deren edelsten und besterhaltenen Bestandteil" gesehen, so ist das ent¬
schieden unrichtig. Den besterhaltenen, ja! den edelsten, nein! Band IV, Seite 201
des „l283al sur I'ineMlite ach raLes liumaines" (Deutsche Ausgabe Band 4,
Seite 199) sagt er gerade umgekehrt: „Das britische Reich sei weder das
glänzendste noch das menschlichste noch das edelste der europäischen Reiche ge¬
wesen", und unmittelbar darauf schränkt er sogar das Prädikat verhältnismäßig
reinen Germanentums durch Aufzählung vieler entgermanisierender Momente,
welche schon damals, vor sechzig Jahren, wirksam waren und seitdem stetig zu¬
genommen haben, zum mindesten stark ein.

Wie wenig blind Gobineau im übrigen für die dunklen Seiten des Briten-
tums war, klang schon in den soeben zitierten Worten von ferne an. Deut¬
licher erhellt es zum Beispiel aus seiner scharfen Beurteilung der Jrenpolitik
Englands (im Wortlaut mitgeteilt „Quellen und Untersuchungen" usw., Band I.



*) Dieses französische Blatt, das früher wiederholt Gutes über Gobineau gebracht hat,
ist mir zurzeit aus begreiflichen Gründen nicht zugänglich. So ist mir auch der in Frage
stehende Brief nur in italienischer Übersetzung (im Marzocco vom 17. Januar), die aber
einen durchaus zuverlässigen Eindruck macht, bekannt geworden.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/66>, abgerufen am 22.07.2024.