Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Schwedische Politik im Lichte der einheimischen Antik

Von diesen Fragen sei die erste von größter Bedeutung. Rußland habe
ja nichts mehr gewünscht, als der schwedischen Neutralität sicher zu sein, um
seine Truppen aus Finnland zurückziehen zu können. Schweden aber hatte
davon gar keinen Vorteil, weil ja diese Truppen zu jeder Zeit zurückgesandt
werden konnten. Für Deutschland bedeutete diese Maßnahme der schwedischen
Regierung 200000 Feinde mehr an der Ostfront.

Über den Transport von Kriegsmaterial nach Rußland erfährt man aus
dem Artikel, daß dieser bis zum Zufrieren der Ostsee von den schwedischen
Häfen am Bodenlöcher Meerbusen nach Kenn, Gamla Karleby, Vasa, Mäntyluoto
und Raumo, und nachher über Sundswall, Gefle und Stockholm nach den
zwei letztgenannten finnischen Städten ging. Die Empfänger waren russische
Waffenfabriken in Se. Petersburg, Tula, Peru usw. -- vor allem aber die
Franco - Russo ° Gesellschaft in Se. Petersburg. Die transportierten Waren
bestanden aus: Maschinen zur Herstellung von Schrapnells usw., Schrapnell¬
bestandteile, wie: Böden, Zündrohre, Salpeter usw. Einen Begriff von dem
Umfang dieser Transporte gibt die Tatsache, daß allein während einer Woche
im Februar 1915 an eine einzige Firma 200 Wagenladungen von Raumo nach
Se. Petersburg gingen. Da die Häfen von Archangelsk und Wladiwostok
während des Winters zugefroren find, muß also Rußland einen erheblichen
Teil von seinem Kriegsbedarf über Schweden erhalten haben. Die Schuld an
den Kriegsbedarftransporten nach Rußland scheint Deutschland der mangelhaften
Aufsicht der schwedischen Regierung zuzuschreiben, ja vielleicht bezweifelt man
sogar den guten Willen. Das Holzexportverbot und die Minierung vor
Mäntyluoto seien ohne Zweifel als Repressalien aufzufassen.

Die öffentliche Diskusston der Möglichkeit für Schweden, unter Benutzung
der Notlage Deutschlands den russischen Markt zu erobern, zeugt, nach Mölln,
von ebensoviel ökonomischer Kindlichkeit als von politischem Unverstand. Während
die Söhne Deutschlands auf den Schlachtfeldern Galtziens und Polens mit dem
russischen Riesen, dessen Sieg auch den Untergang Schwedens bedeuten könnte,
auf Leben und Tod ringen, geniert Schweden sich nicht, seinen Profitgeiz auf
Kosten Deutschlands offen zu zeigen. Dieses muß aber jeden Schweden, der
fühlt, was der Kampf Deutschlands auch für Schweden bedeutet, tief verletzen,
und erst recht die Deutschen. Übrigens wird sich Deutschland, wie auch der
Krieg enden mag, nicht aus Rußland verdrängen lassen. Deshalb können die
kindischen schwedischen Ratschläge ihm keine Angst einflößen, sondern sie werden
nur Erbitterung gegen diese Art schwedischen Unternehmungsgeistes erwecken.
Die linksstehende Presse sagt unverhüllt, der Sieg Deutschlands würde eine
ökonomische Gefahr für Schweden bedeuten. Bor der aus einer deutschen
Niederlage entstehenden politischen Gefahr macht man aber die Augen zu.

Als Gegensatz hierzu schildert Mölln dann die sonderbar nachgiebige und
rücksichtsvolle Haltung des Auswärtigen Amtes England gegenüber. Keine
Macht habe Schweden so brutal und rücksichtslos behandelt wie England. Die


Schwedische Politik im Lichte der einheimischen Antik

Von diesen Fragen sei die erste von größter Bedeutung. Rußland habe
ja nichts mehr gewünscht, als der schwedischen Neutralität sicher zu sein, um
seine Truppen aus Finnland zurückziehen zu können. Schweden aber hatte
davon gar keinen Vorteil, weil ja diese Truppen zu jeder Zeit zurückgesandt
werden konnten. Für Deutschland bedeutete diese Maßnahme der schwedischen
Regierung 200000 Feinde mehr an der Ostfront.

Über den Transport von Kriegsmaterial nach Rußland erfährt man aus
dem Artikel, daß dieser bis zum Zufrieren der Ostsee von den schwedischen
Häfen am Bodenlöcher Meerbusen nach Kenn, Gamla Karleby, Vasa, Mäntyluoto
und Raumo, und nachher über Sundswall, Gefle und Stockholm nach den
zwei letztgenannten finnischen Städten ging. Die Empfänger waren russische
Waffenfabriken in Se. Petersburg, Tula, Peru usw. — vor allem aber die
Franco - Russo ° Gesellschaft in Se. Petersburg. Die transportierten Waren
bestanden aus: Maschinen zur Herstellung von Schrapnells usw., Schrapnell¬
bestandteile, wie: Böden, Zündrohre, Salpeter usw. Einen Begriff von dem
Umfang dieser Transporte gibt die Tatsache, daß allein während einer Woche
im Februar 1915 an eine einzige Firma 200 Wagenladungen von Raumo nach
Se. Petersburg gingen. Da die Häfen von Archangelsk und Wladiwostok
während des Winters zugefroren find, muß also Rußland einen erheblichen
Teil von seinem Kriegsbedarf über Schweden erhalten haben. Die Schuld an
den Kriegsbedarftransporten nach Rußland scheint Deutschland der mangelhaften
Aufsicht der schwedischen Regierung zuzuschreiben, ja vielleicht bezweifelt man
sogar den guten Willen. Das Holzexportverbot und die Minierung vor
Mäntyluoto seien ohne Zweifel als Repressalien aufzufassen.

Die öffentliche Diskusston der Möglichkeit für Schweden, unter Benutzung
der Notlage Deutschlands den russischen Markt zu erobern, zeugt, nach Mölln,
von ebensoviel ökonomischer Kindlichkeit als von politischem Unverstand. Während
die Söhne Deutschlands auf den Schlachtfeldern Galtziens und Polens mit dem
russischen Riesen, dessen Sieg auch den Untergang Schwedens bedeuten könnte,
auf Leben und Tod ringen, geniert Schweden sich nicht, seinen Profitgeiz auf
Kosten Deutschlands offen zu zeigen. Dieses muß aber jeden Schweden, der
fühlt, was der Kampf Deutschlands auch für Schweden bedeutet, tief verletzen,
und erst recht die Deutschen. Übrigens wird sich Deutschland, wie auch der
Krieg enden mag, nicht aus Rußland verdrängen lassen. Deshalb können die
kindischen schwedischen Ratschläge ihm keine Angst einflößen, sondern sie werden
nur Erbitterung gegen diese Art schwedischen Unternehmungsgeistes erwecken.
Die linksstehende Presse sagt unverhüllt, der Sieg Deutschlands würde eine
ökonomische Gefahr für Schweden bedeuten. Bor der aus einer deutschen
Niederlage entstehenden politischen Gefahr macht man aber die Augen zu.

Als Gegensatz hierzu schildert Mölln dann die sonderbar nachgiebige und
rücksichtsvolle Haltung des Auswärtigen Amtes England gegenüber. Keine
Macht habe Schweden so brutal und rücksichtslos behandelt wie England. Die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0356" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/323895"/>
          <fw type="header" place="top"> Schwedische Politik im Lichte der einheimischen Antik</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1167"> Von diesen Fragen sei die erste von größter Bedeutung. Rußland habe<lb/>
ja nichts mehr gewünscht, als der schwedischen Neutralität sicher zu sein, um<lb/>
seine Truppen aus Finnland zurückziehen zu können. Schweden aber hatte<lb/>
davon gar keinen Vorteil, weil ja diese Truppen zu jeder Zeit zurückgesandt<lb/>
werden konnten. Für Deutschland bedeutete diese Maßnahme der schwedischen<lb/>
Regierung 200000 Feinde mehr an der Ostfront.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1168"> Über den Transport von Kriegsmaterial nach Rußland erfährt man aus<lb/>
dem Artikel, daß dieser bis zum Zufrieren der Ostsee von den schwedischen<lb/>
Häfen am Bodenlöcher Meerbusen nach Kenn, Gamla Karleby, Vasa, Mäntyluoto<lb/>
und Raumo, und nachher über Sundswall, Gefle und Stockholm nach den<lb/>
zwei letztgenannten finnischen Städten ging. Die Empfänger waren russische<lb/>
Waffenfabriken in Se. Petersburg, Tula, Peru usw. &#x2014; vor allem aber die<lb/>
Franco - Russo ° Gesellschaft in Se. Petersburg. Die transportierten Waren<lb/>
bestanden aus: Maschinen zur Herstellung von Schrapnells usw., Schrapnell¬<lb/>
bestandteile, wie: Böden, Zündrohre, Salpeter usw. Einen Begriff von dem<lb/>
Umfang dieser Transporte gibt die Tatsache, daß allein während einer Woche<lb/>
im Februar 1915 an eine einzige Firma 200 Wagenladungen von Raumo nach<lb/>
Se. Petersburg gingen. Da die Häfen von Archangelsk und Wladiwostok<lb/>
während des Winters zugefroren find, muß also Rußland einen erheblichen<lb/>
Teil von seinem Kriegsbedarf über Schweden erhalten haben. Die Schuld an<lb/>
den Kriegsbedarftransporten nach Rußland scheint Deutschland der mangelhaften<lb/>
Aufsicht der schwedischen Regierung zuzuschreiben, ja vielleicht bezweifelt man<lb/>
sogar den guten Willen. Das Holzexportverbot und die Minierung vor<lb/>
Mäntyluoto seien ohne Zweifel als Repressalien aufzufassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1169"> Die öffentliche Diskusston der Möglichkeit für Schweden, unter Benutzung<lb/>
der Notlage Deutschlands den russischen Markt zu erobern, zeugt, nach Mölln,<lb/>
von ebensoviel ökonomischer Kindlichkeit als von politischem Unverstand. Während<lb/>
die Söhne Deutschlands auf den Schlachtfeldern Galtziens und Polens mit dem<lb/>
russischen Riesen, dessen Sieg auch den Untergang Schwedens bedeuten könnte,<lb/>
auf Leben und Tod ringen, geniert Schweden sich nicht, seinen Profitgeiz auf<lb/>
Kosten Deutschlands offen zu zeigen. Dieses muß aber jeden Schweden, der<lb/>
fühlt, was der Kampf Deutschlands auch für Schweden bedeutet, tief verletzen,<lb/>
und erst recht die Deutschen. Übrigens wird sich Deutschland, wie auch der<lb/>
Krieg enden mag, nicht aus Rußland verdrängen lassen. Deshalb können die<lb/>
kindischen schwedischen Ratschläge ihm keine Angst einflößen, sondern sie werden<lb/>
nur Erbitterung gegen diese Art schwedischen Unternehmungsgeistes erwecken.<lb/>
Die linksstehende Presse sagt unverhüllt, der Sieg Deutschlands würde eine<lb/>
ökonomische Gefahr für Schweden bedeuten. Bor der aus einer deutschen<lb/>
Niederlage entstehenden politischen Gefahr macht man aber die Augen zu.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1170" next="#ID_1171"> Als Gegensatz hierzu schildert Mölln dann die sonderbar nachgiebige und<lb/>
rücksichtsvolle Haltung des Auswärtigen Amtes England gegenüber. Keine<lb/>
Macht habe Schweden so brutal und rücksichtslos behandelt wie England. Die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0356] Schwedische Politik im Lichte der einheimischen Antik Von diesen Fragen sei die erste von größter Bedeutung. Rußland habe ja nichts mehr gewünscht, als der schwedischen Neutralität sicher zu sein, um seine Truppen aus Finnland zurückziehen zu können. Schweden aber hatte davon gar keinen Vorteil, weil ja diese Truppen zu jeder Zeit zurückgesandt werden konnten. Für Deutschland bedeutete diese Maßnahme der schwedischen Regierung 200000 Feinde mehr an der Ostfront. Über den Transport von Kriegsmaterial nach Rußland erfährt man aus dem Artikel, daß dieser bis zum Zufrieren der Ostsee von den schwedischen Häfen am Bodenlöcher Meerbusen nach Kenn, Gamla Karleby, Vasa, Mäntyluoto und Raumo, und nachher über Sundswall, Gefle und Stockholm nach den zwei letztgenannten finnischen Städten ging. Die Empfänger waren russische Waffenfabriken in Se. Petersburg, Tula, Peru usw. — vor allem aber die Franco - Russo ° Gesellschaft in Se. Petersburg. Die transportierten Waren bestanden aus: Maschinen zur Herstellung von Schrapnells usw., Schrapnell¬ bestandteile, wie: Böden, Zündrohre, Salpeter usw. Einen Begriff von dem Umfang dieser Transporte gibt die Tatsache, daß allein während einer Woche im Februar 1915 an eine einzige Firma 200 Wagenladungen von Raumo nach Se. Petersburg gingen. Da die Häfen von Archangelsk und Wladiwostok während des Winters zugefroren find, muß also Rußland einen erheblichen Teil von seinem Kriegsbedarf über Schweden erhalten haben. Die Schuld an den Kriegsbedarftransporten nach Rußland scheint Deutschland der mangelhaften Aufsicht der schwedischen Regierung zuzuschreiben, ja vielleicht bezweifelt man sogar den guten Willen. Das Holzexportverbot und die Minierung vor Mäntyluoto seien ohne Zweifel als Repressalien aufzufassen. Die öffentliche Diskusston der Möglichkeit für Schweden, unter Benutzung der Notlage Deutschlands den russischen Markt zu erobern, zeugt, nach Mölln, von ebensoviel ökonomischer Kindlichkeit als von politischem Unverstand. Während die Söhne Deutschlands auf den Schlachtfeldern Galtziens und Polens mit dem russischen Riesen, dessen Sieg auch den Untergang Schwedens bedeuten könnte, auf Leben und Tod ringen, geniert Schweden sich nicht, seinen Profitgeiz auf Kosten Deutschlands offen zu zeigen. Dieses muß aber jeden Schweden, der fühlt, was der Kampf Deutschlands auch für Schweden bedeutet, tief verletzen, und erst recht die Deutschen. Übrigens wird sich Deutschland, wie auch der Krieg enden mag, nicht aus Rußland verdrängen lassen. Deshalb können die kindischen schwedischen Ratschläge ihm keine Angst einflößen, sondern sie werden nur Erbitterung gegen diese Art schwedischen Unternehmungsgeistes erwecken. Die linksstehende Presse sagt unverhüllt, der Sieg Deutschlands würde eine ökonomische Gefahr für Schweden bedeuten. Bor der aus einer deutschen Niederlage entstehenden politischen Gefahr macht man aber die Augen zu. Als Gegensatz hierzu schildert Mölln dann die sonderbar nachgiebige und rücksichtsvolle Haltung des Auswärtigen Amtes England gegenüber. Keine Macht habe Schweden so brutal und rücksichtslos behandelt wie England. Die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/356
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/356>, abgerufen am 22.07.2024.