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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Sollen die Dramatiker schweigen?

von dramatischen Seichtheiten aufhört," Georg Stollberg erwartet einen
günstigen Einfluß auf die dramatische Produktion ("wir waren nahe an der
Versumpfung"). Wolzogens Gattin wünscht, daß sich in blühender Schaffens¬
kraft "ein persönlich-nationaler Geschmack herausdestilliere aus dem Pulverdampf
des Krieges, aus dem Strudel des Völkerblutbades", Max Pategg verspricht,
daß sich "modernen Dichtern, soweit sie die Zeitereignisse mittelbar oder
unmittelbar in packender Form widerzuspiegeln wissen, gern die Theaterpforten
öffnen", auch Ernst Wachler fordert, daß "die Bühnenleiter soviel als
möglich neue Dichtungen" aufführen sollen. Richard Leiner seufzt gar nach
Dichtern, die ältere Ideen in sich haben ausreifen lassen, weil ihm die
gegenwärtigen so sehr zu versagen scheinen. Gut meint es auch Alfred Halm
mit den modernen Dramatikern: "Es brauchen ja nicht gleich Meister¬
werke geschaffen zu werden, aber wir haben soviel künstlerisch - empfindende
Schriftsteller, die das Handwerk der Bühne kennen und hier gern einspringen
würden." Maximilian Bötticher, der eine schlimme Zeit für die Künste nach
dem Krieg Heraufziehen sieht, meint es noch herzlicher: "Jetzt schon sollten die
Theaterdirektoren auf die Suche gehen nach jungen deutschen Dichtern, und die
noch Unsicheren stützen und fördern." Auch Hermann Kienzls innerste Wünsche
gehen auf das Erstehen von Dichtern -- wenn sie erstehen, so wird "ihre
von der neuen Zeit befruchtete Dichtung die Wesensmerkmale dieser Zeit,
wird ihr heroisches Drama die Züge des stillen, in innerer Not ausharrenden
Heldentums tragen." Und wenn auch Heinrich Senate die Auserwählten dünn
gesät sieht, so geht doch auch seine Sehnsucht nach neuen Dramen. Karl
Ettlinger endlich rät: "Neue Stücke von neuen jungen Autoren geben!" --
Der Krieg lehrte, daß viele unerkannte Heldennaturen unter uns leben, so leben
auch viele unerkannte Talente unter uns! "Sie jetzt ans Licht zu bringen,
das wäre nicht nur die künstlerische Aufgabe der Theaterleiter, sondern auch
ihr bestes Geschäft."

Man sieht, es haben sich doch eine erkleckliche Anzahl von Gewaltigen der
Bühne und von angesehenen Schriftstellern in der Bekundung ihrer Sympathien
und ihres Optimismus für die kommende neue Dichtung zusammengefunden.
Freilich, die Dramatiker selbst sind auch in dieser Umfrage stumm geblieben.
Eine sehr gewichtige Stimme aber hat sich ausdrücklich für die Fortdauer des
bestehenden Zustandes ausgesprochen. Geheimrat Zeiß, dessen Spielplan sicherlich
seinem Wahlspruch "Anständig durchhalten" ganz hervorragend entspricht, stellt
zwar fest, daß "unsere Dichter heute in Ergriffenheit vor den ungeheuren
Ereignissen noch schweigen," wie er in dem Liebesgabenheft der österreichischen
Rundschau ausführt, aber er begleitet dies zugleich mit dem Ausruf:
"Sie seien dafür gepriesen!" Für die Zukunft läßt Zeiß zwar gleichfalls alle
Hoffnungen gelten, er sieht, daß sich "da draußen im Anblick jener über¬
menschlichen Heldennaturen" Dichter formen und vorbereiten, ja das Schweigen
der Dichter, "die unser modernes Drama so verfeinert, künstlerisch so reich und


Sollen die Dramatiker schweigen?

von dramatischen Seichtheiten aufhört," Georg Stollberg erwartet einen
günstigen Einfluß auf die dramatische Produktion („wir waren nahe an der
Versumpfung"). Wolzogens Gattin wünscht, daß sich in blühender Schaffens¬
kraft „ein persönlich-nationaler Geschmack herausdestilliere aus dem Pulverdampf
des Krieges, aus dem Strudel des Völkerblutbades", Max Pategg verspricht,
daß sich „modernen Dichtern, soweit sie die Zeitereignisse mittelbar oder
unmittelbar in packender Form widerzuspiegeln wissen, gern die Theaterpforten
öffnen", auch Ernst Wachler fordert, daß „die Bühnenleiter soviel als
möglich neue Dichtungen" aufführen sollen. Richard Leiner seufzt gar nach
Dichtern, die ältere Ideen in sich haben ausreifen lassen, weil ihm die
gegenwärtigen so sehr zu versagen scheinen. Gut meint es auch Alfred Halm
mit den modernen Dramatikern: „Es brauchen ja nicht gleich Meister¬
werke geschaffen zu werden, aber wir haben soviel künstlerisch - empfindende
Schriftsteller, die das Handwerk der Bühne kennen und hier gern einspringen
würden." Maximilian Bötticher, der eine schlimme Zeit für die Künste nach
dem Krieg Heraufziehen sieht, meint es noch herzlicher: „Jetzt schon sollten die
Theaterdirektoren auf die Suche gehen nach jungen deutschen Dichtern, und die
noch Unsicheren stützen und fördern." Auch Hermann Kienzls innerste Wünsche
gehen auf das Erstehen von Dichtern — wenn sie erstehen, so wird „ihre
von der neuen Zeit befruchtete Dichtung die Wesensmerkmale dieser Zeit,
wird ihr heroisches Drama die Züge des stillen, in innerer Not ausharrenden
Heldentums tragen." Und wenn auch Heinrich Senate die Auserwählten dünn
gesät sieht, so geht doch auch seine Sehnsucht nach neuen Dramen. Karl
Ettlinger endlich rät: „Neue Stücke von neuen jungen Autoren geben!" —
Der Krieg lehrte, daß viele unerkannte Heldennaturen unter uns leben, so leben
auch viele unerkannte Talente unter uns! „Sie jetzt ans Licht zu bringen,
das wäre nicht nur die künstlerische Aufgabe der Theaterleiter, sondern auch
ihr bestes Geschäft."

Man sieht, es haben sich doch eine erkleckliche Anzahl von Gewaltigen der
Bühne und von angesehenen Schriftstellern in der Bekundung ihrer Sympathien
und ihres Optimismus für die kommende neue Dichtung zusammengefunden.
Freilich, die Dramatiker selbst sind auch in dieser Umfrage stumm geblieben.
Eine sehr gewichtige Stimme aber hat sich ausdrücklich für die Fortdauer des
bestehenden Zustandes ausgesprochen. Geheimrat Zeiß, dessen Spielplan sicherlich
seinem Wahlspruch „Anständig durchhalten" ganz hervorragend entspricht, stellt
zwar fest, daß „unsere Dichter heute in Ergriffenheit vor den ungeheuren
Ereignissen noch schweigen," wie er in dem Liebesgabenheft der österreichischen
Rundschau ausführt, aber er begleitet dies zugleich mit dem Ausruf:
„Sie seien dafür gepriesen!" Für die Zukunft läßt Zeiß zwar gleichfalls alle
Hoffnungen gelten, er sieht, daß sich „da draußen im Anblick jener über¬
menschlichen Heldennaturen" Dichter formen und vorbereiten, ja das Schweigen
der Dichter, „die unser modernes Drama so verfeinert, künstlerisch so reich und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/324>, abgerufen am 24.08.2024.