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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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willens unter dem der Gesamtheit bestehen kann. In Parteien zersplittert
waren wir der Raub jeder Macht, vereint trotzen wir einer Welt."

Aus dieser Geistesrichtung ging die Bewegung der Urburschenschaft hervor,
aber der eigenartige akademische Boden, auf dem sie sich entfaltete, gab ihr
soviel des Besonderen, daß sie tatsächlich eine selbständige, ihrem inneren Wesen
nach fein verästelte Bewegung darstellt, der bei allem nebelhaften und Unerfüll¬
baren doch ein gesunder Kern innewohnte. Die neue Organisationsform, welche
man für den Studentenstaat gefunden hatte, wollte, wie die Burschenschafts¬
verfassung von 1818 zeigt, "die freie und natürliche Vereinigung der gesamten
auf den Hochschulen wissenschaftlich sich bildenden deutschen Jugend zu einem
Ganzen sein, gegründet auf das Verhältnis der deutschen Jugend zur werdenden
Einheit des deutschen Volkes." Mit jugendlich-kühner Begeisterung stellte so
die Urburschenschaft ihrer Nation in dem streng einheitlich geschlossenen Burschen¬
staat ein Ideal vor Augen, sie schuf für ihre Sehnsucht auf akademischen Boden
eine feste Form ohne partikularistische Überbleibsel. Ihr Verdienst war es, daß
sie nicht bloß von ihren Wünschen redete, sondern zum ersten Male von allen
Teilen des deutschen Volkes die befreiende organisatorische Tat fand. Und zu¬
gleich sollte die neue Form des Studcntenstaates ein bedeutungsvolles Sinnbild
für den politischen Staat sein, dessen Einheit die Burschenschaft erträumte, "ein
Bild ihres in Gleichheit und Freiheit blühenden Volkes". Gewiß war die
Urburschenschaft keine politische Schöpfung und sie wollte, wenn man von dem
kleinen Kreise der um Karl Follen gescharten "Unbedingten" absieht, eine solche
auch gar nicht sein, aber in ihrer Wirkung war sie doch politisch, indem sie ihr
Erziehungsideal einer großen, über ganz Deutschland verbreiteten Schicht von
Gebildeten einprägte; die Geschlechter, die durch ihre Schule gingen, konnten
nicht Träger des alten, im Deutschen Bunde verkörperten Systems sein, das
alle Hoffnungen der Vaterlandsfreunde vernichtet hatte. In dieser erzieherischen
Beeinflussung des Volkes, die durch tausend Kanäle oft ungeahnt und unauf¬
fällig in die weitesten Kreise sich verteilte, liegt ein guter Teil der entwicklungs-
geschichtlichen Bedeutung der Urburschenschaft; sie hielt den Gedanken der deutschen
Einheit in treuer Hut. sie winterte ihn in ihren Epigonen während der politisch
^o dürren Jahre zwischen 1820 und 1830 durch und ließ die nationale Sehn¬
sucht nicht ersterben.

Damit war ihre Bedeutung aber keineswegs erschöpft. Sie griff vielmehr
durch das Wartburgfest geradezu bestimmend in den geschichtlichen Werdegang
des deutschen Volkes ein. "Es war etwas tief Eindrucksvolles, daß über all
die neuverstachelten Eifersuchtsgrenzen der deutschen BinnemVaterländer hinweg
diese Jünglinge aus Nord und Süd unter dem Zeichen eines gemeinsamen
Deutschgedankens sich zu versammeln wagten. Wenn damals der badische und
der Schleswig-holsteinische Student sich die Hand reichten, so waren das Völker¬
schaften, die bisher kaum etwas Genaues voneinander gewußt hatten, war das
ganz etwas anderes, als wenn heute Heidelberg und Kiel, Freiburg und


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Zur Hundertjahrfeier der Deutschen Burschenschaft am ^2. Juni <s;5

willens unter dem der Gesamtheit bestehen kann. In Parteien zersplittert
waren wir der Raub jeder Macht, vereint trotzen wir einer Welt."

Aus dieser Geistesrichtung ging die Bewegung der Urburschenschaft hervor,
aber der eigenartige akademische Boden, auf dem sie sich entfaltete, gab ihr
soviel des Besonderen, daß sie tatsächlich eine selbständige, ihrem inneren Wesen
nach fein verästelte Bewegung darstellt, der bei allem nebelhaften und Unerfüll¬
baren doch ein gesunder Kern innewohnte. Die neue Organisationsform, welche
man für den Studentenstaat gefunden hatte, wollte, wie die Burschenschafts¬
verfassung von 1818 zeigt, „die freie und natürliche Vereinigung der gesamten
auf den Hochschulen wissenschaftlich sich bildenden deutschen Jugend zu einem
Ganzen sein, gegründet auf das Verhältnis der deutschen Jugend zur werdenden
Einheit des deutschen Volkes." Mit jugendlich-kühner Begeisterung stellte so
die Urburschenschaft ihrer Nation in dem streng einheitlich geschlossenen Burschen¬
staat ein Ideal vor Augen, sie schuf für ihre Sehnsucht auf akademischen Boden
eine feste Form ohne partikularistische Überbleibsel. Ihr Verdienst war es, daß
sie nicht bloß von ihren Wünschen redete, sondern zum ersten Male von allen
Teilen des deutschen Volkes die befreiende organisatorische Tat fand. Und zu¬
gleich sollte die neue Form des Studcntenstaates ein bedeutungsvolles Sinnbild
für den politischen Staat sein, dessen Einheit die Burschenschaft erträumte, „ein
Bild ihres in Gleichheit und Freiheit blühenden Volkes". Gewiß war die
Urburschenschaft keine politische Schöpfung und sie wollte, wenn man von dem
kleinen Kreise der um Karl Follen gescharten „Unbedingten" absieht, eine solche
auch gar nicht sein, aber in ihrer Wirkung war sie doch politisch, indem sie ihr
Erziehungsideal einer großen, über ganz Deutschland verbreiteten Schicht von
Gebildeten einprägte; die Geschlechter, die durch ihre Schule gingen, konnten
nicht Träger des alten, im Deutschen Bunde verkörperten Systems sein, das
alle Hoffnungen der Vaterlandsfreunde vernichtet hatte. In dieser erzieherischen
Beeinflussung des Volkes, die durch tausend Kanäle oft ungeahnt und unauf¬
fällig in die weitesten Kreise sich verteilte, liegt ein guter Teil der entwicklungs-
geschichtlichen Bedeutung der Urburschenschaft; sie hielt den Gedanken der deutschen
Einheit in treuer Hut. sie winterte ihn in ihren Epigonen während der politisch
^o dürren Jahre zwischen 1820 und 1830 durch und ließ die nationale Sehn¬
sucht nicht ersterben.

Damit war ihre Bedeutung aber keineswegs erschöpft. Sie griff vielmehr
durch das Wartburgfest geradezu bestimmend in den geschichtlichen Werdegang
des deutschen Volkes ein. „Es war etwas tief Eindrucksvolles, daß über all
die neuverstachelten Eifersuchtsgrenzen der deutschen BinnemVaterländer hinweg
diese Jünglinge aus Nord und Süd unter dem Zeichen eines gemeinsamen
Deutschgedankens sich zu versammeln wagten. Wenn damals der badische und
der Schleswig-holsteinische Student sich die Hand reichten, so waren das Völker¬
schaften, die bisher kaum etwas Genaues voneinander gewußt hatten, war das
ganz etwas anderes, als wenn heute Heidelberg und Kiel, Freiburg und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/303>, abgerufen am 24.08.2024.