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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Zur Hundertjahrfeier der Deutschen Burschenschaft am ^2. Juni 5955

ihre Auflösung durch die Behörde an allen Universitäten, folgen sollte. Wenn
es nun auch der Burschenschaft gelang, bald nachher als Geheimverbindung zu
neuem Leben zu erstehen, so besaß diese epigonenhafte Neugründung nicht mehr
die Ideenfülle und die elementare Kraft der Urburschenschaft und erhielt bis
zu ihrer zweiten Katastrophe nach dem Frankfurter Wachensturm (1833) die
allgemeine Bedeutung ihrer Vorgängerin nicht wieder, obwohl sie bei weitem
mehr als diese in das politische Treiben der Zeit verstrickt war*).

Die Zeit nach den Freiheitskriegen befand sich in krankhafter Erregung;
das aufstrebende Neue stand in schroffem, unüberbrückbarem Gegensatze zum
überlebten Alten, und die allgemeine Enttäuschung im deutschen Volk über die
Gestaltung seines Schicksals war tief und berechtigt. "Man muß es gestehen."
sagt Heinrich von Sybel, "niemals ist einem großen, mit frischem Siegeslorbeer
gekrönten Volke eine kümmerlichere Unverfassung auferlegt worden als es damals
dem deutschen durch die Bundesakte geschah. Die mächtigen Gedanken, welche
Preußens Wiedergeburt und damit Deutschlands Befreiung vorbereitet hatten,
waren hier in ihr Gegenteil verwandelt." Ganz besonders tief mußte dieser
mächtige Zwiespalt im Volk auf seine Jugend wirken, zumal auf die, welche
selbst auf den Schlachtfeldern Europas angekämpft und für die Freiheit des
deutschen Landes ihr Blut verspritzt hatte. In ihr lebten große und schöne
Gedanken. So sagt die Verfassung der Halleschen Teutonia, welche eine Vor¬
läuferin der Burschenschaft war und durch ihren Kampf mit Immermann
bekannt geworden ist: "Darum müssen wir es (das heißt das Vaterland) ehren
und lieben, jetzt und immerdar; darum wir Blut und Leben gering achten,
wenn seine Freiheit gefährdet und seine Ehre angetastet wird, müssen kommen
und männlich kämpfen, wenn unsere angestammten Fürsten zu seiner Ver¬
teidigung rufen, denn wer sein Vaterland nicht achtet und liebt, ist selber der
Achtung nicht wert, und wer es feige verlassen kann in der Not, der hat sich
selbst verlassen." Auch war sich die Jugend bewußt, was man in dem
"heiligen" Kriege gegen den korsischen Eroberer gewonnen hatte. "Etwa bloß
ein paar Streifen totes Land," ruft ein damaliger Student Haupt in einer
Broschüre aus, "Befreiung von den Bedrückungen der Herrscher und unsere
verlorenen Städte und Festungen? -- Nein. Brüder, wir haben mehr gewonnen
als das alles wert ist. Wir haben ein Land gewonnen, ein herrliches, großes,
blühendes Land, ein Vaterland; wir haben den innern Zerstörer und Eroberer
aller Völker, die Parteisucht, und ihre Mutter, die Selbstsucht, aus dem Lande
gejagt; wir haben ewige Städte und Festungen gewonnen in dem Einklange
der Herzen aller Stämme Deutschlands; wir haben erkennen lernen, daß wir
ein Volk sind, daß wir ein Vaterland haben, und daß das Heil desselben einzig
in der Einigkeit und Liebe, in dem Verschmelzen und Unterordnen jedes Einzel-



*) Ausführlicheres über die Entwicklung der Burschenschaft findet sich unter anderen bei
Schulze und Ssymank: Das deutsche Studententum von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart.
(Leipzig, R. Boigtländer, 1910.) S. 176 ff.
Zur Hundertjahrfeier der Deutschen Burschenschaft am ^2. Juni 5955

ihre Auflösung durch die Behörde an allen Universitäten, folgen sollte. Wenn
es nun auch der Burschenschaft gelang, bald nachher als Geheimverbindung zu
neuem Leben zu erstehen, so besaß diese epigonenhafte Neugründung nicht mehr
die Ideenfülle und die elementare Kraft der Urburschenschaft und erhielt bis
zu ihrer zweiten Katastrophe nach dem Frankfurter Wachensturm (1833) die
allgemeine Bedeutung ihrer Vorgängerin nicht wieder, obwohl sie bei weitem
mehr als diese in das politische Treiben der Zeit verstrickt war*).

Die Zeit nach den Freiheitskriegen befand sich in krankhafter Erregung;
das aufstrebende Neue stand in schroffem, unüberbrückbarem Gegensatze zum
überlebten Alten, und die allgemeine Enttäuschung im deutschen Volk über die
Gestaltung seines Schicksals war tief und berechtigt. „Man muß es gestehen."
sagt Heinrich von Sybel, „niemals ist einem großen, mit frischem Siegeslorbeer
gekrönten Volke eine kümmerlichere Unverfassung auferlegt worden als es damals
dem deutschen durch die Bundesakte geschah. Die mächtigen Gedanken, welche
Preußens Wiedergeburt und damit Deutschlands Befreiung vorbereitet hatten,
waren hier in ihr Gegenteil verwandelt." Ganz besonders tief mußte dieser
mächtige Zwiespalt im Volk auf seine Jugend wirken, zumal auf die, welche
selbst auf den Schlachtfeldern Europas angekämpft und für die Freiheit des
deutschen Landes ihr Blut verspritzt hatte. In ihr lebten große und schöne
Gedanken. So sagt die Verfassung der Halleschen Teutonia, welche eine Vor¬
läuferin der Burschenschaft war und durch ihren Kampf mit Immermann
bekannt geworden ist: „Darum müssen wir es (das heißt das Vaterland) ehren
und lieben, jetzt und immerdar; darum wir Blut und Leben gering achten,
wenn seine Freiheit gefährdet und seine Ehre angetastet wird, müssen kommen
und männlich kämpfen, wenn unsere angestammten Fürsten zu seiner Ver¬
teidigung rufen, denn wer sein Vaterland nicht achtet und liebt, ist selber der
Achtung nicht wert, und wer es feige verlassen kann in der Not, der hat sich
selbst verlassen." Auch war sich die Jugend bewußt, was man in dem
„heiligen" Kriege gegen den korsischen Eroberer gewonnen hatte. „Etwa bloß
ein paar Streifen totes Land," ruft ein damaliger Student Haupt in einer
Broschüre aus, „Befreiung von den Bedrückungen der Herrscher und unsere
verlorenen Städte und Festungen? — Nein. Brüder, wir haben mehr gewonnen
als das alles wert ist. Wir haben ein Land gewonnen, ein herrliches, großes,
blühendes Land, ein Vaterland; wir haben den innern Zerstörer und Eroberer
aller Völker, die Parteisucht, und ihre Mutter, die Selbstsucht, aus dem Lande
gejagt; wir haben ewige Städte und Festungen gewonnen in dem Einklange
der Herzen aller Stämme Deutschlands; wir haben erkennen lernen, daß wir
ein Volk sind, daß wir ein Vaterland haben, und daß das Heil desselben einzig
in der Einigkeit und Liebe, in dem Verschmelzen und Unterordnen jedes Einzel-



*) Ausführlicheres über die Entwicklung der Burschenschaft findet sich unter anderen bei
Schulze und Ssymank: Das deutsche Studententum von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart.
(Leipzig, R. Boigtländer, 1910.) S. 176 ff.
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[0302] Zur Hundertjahrfeier der Deutschen Burschenschaft am ^2. Juni 5955 ihre Auflösung durch die Behörde an allen Universitäten, folgen sollte. Wenn es nun auch der Burschenschaft gelang, bald nachher als Geheimverbindung zu neuem Leben zu erstehen, so besaß diese epigonenhafte Neugründung nicht mehr die Ideenfülle und die elementare Kraft der Urburschenschaft und erhielt bis zu ihrer zweiten Katastrophe nach dem Frankfurter Wachensturm (1833) die allgemeine Bedeutung ihrer Vorgängerin nicht wieder, obwohl sie bei weitem mehr als diese in das politische Treiben der Zeit verstrickt war*). Die Zeit nach den Freiheitskriegen befand sich in krankhafter Erregung; das aufstrebende Neue stand in schroffem, unüberbrückbarem Gegensatze zum überlebten Alten, und die allgemeine Enttäuschung im deutschen Volk über die Gestaltung seines Schicksals war tief und berechtigt. „Man muß es gestehen." sagt Heinrich von Sybel, „niemals ist einem großen, mit frischem Siegeslorbeer gekrönten Volke eine kümmerlichere Unverfassung auferlegt worden als es damals dem deutschen durch die Bundesakte geschah. Die mächtigen Gedanken, welche Preußens Wiedergeburt und damit Deutschlands Befreiung vorbereitet hatten, waren hier in ihr Gegenteil verwandelt." Ganz besonders tief mußte dieser mächtige Zwiespalt im Volk auf seine Jugend wirken, zumal auf die, welche selbst auf den Schlachtfeldern Europas angekämpft und für die Freiheit des deutschen Landes ihr Blut verspritzt hatte. In ihr lebten große und schöne Gedanken. So sagt die Verfassung der Halleschen Teutonia, welche eine Vor¬ läuferin der Burschenschaft war und durch ihren Kampf mit Immermann bekannt geworden ist: „Darum müssen wir es (das heißt das Vaterland) ehren und lieben, jetzt und immerdar; darum wir Blut und Leben gering achten, wenn seine Freiheit gefährdet und seine Ehre angetastet wird, müssen kommen und männlich kämpfen, wenn unsere angestammten Fürsten zu seiner Ver¬ teidigung rufen, denn wer sein Vaterland nicht achtet und liebt, ist selber der Achtung nicht wert, und wer es feige verlassen kann in der Not, der hat sich selbst verlassen." Auch war sich die Jugend bewußt, was man in dem „heiligen" Kriege gegen den korsischen Eroberer gewonnen hatte. „Etwa bloß ein paar Streifen totes Land," ruft ein damaliger Student Haupt in einer Broschüre aus, „Befreiung von den Bedrückungen der Herrscher und unsere verlorenen Städte und Festungen? — Nein. Brüder, wir haben mehr gewonnen als das alles wert ist. Wir haben ein Land gewonnen, ein herrliches, großes, blühendes Land, ein Vaterland; wir haben den innern Zerstörer und Eroberer aller Völker, die Parteisucht, und ihre Mutter, die Selbstsucht, aus dem Lande gejagt; wir haben ewige Städte und Festungen gewonnen in dem Einklange der Herzen aller Stämme Deutschlands; wir haben erkennen lernen, daß wir ein Volk sind, daß wir ein Vaterland haben, und daß das Heil desselben einzig in der Einigkeit und Liebe, in dem Verschmelzen und Unterordnen jedes Einzel- *) Ausführlicheres über die Entwicklung der Burschenschaft findet sich unter anderen bei Schulze und Ssymank: Das deutsche Studententum von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart. (Leipzig, R. Boigtländer, 1910.) S. 176 ff.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/302>, abgerufen am 24.08.2024.