Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die europäischen Sprachen und der Rrieg

Doch deuten solche Einzelwörter die geistige Abhängigkeit zwischen den
europäischen Völkern nur ganz grob an, so wie die flüchtigsten Reihstiche eine
später mit der Maschine ausgeführte Naht vorzeichnen. Unmerklich schlingen
sich neben ihnen von Sprache zu Sprache noch zahllose andere, feinere Bänder,
bei denen die entlehnende Gegend ihre Selbständigkeit äußerlich weniger aufgibt,
und die gerade deshalb um so fester knüpfen. Sie schließen den ganzen Westen
unseres Erdteils, Romanentum und Germanentum, teilweise auch noch das
Slawentum, zusammen zu einer Einheit, deren ganzes Denken und Sprechen,
in Wortschatz und Satzbau, der Geist des Lateins beherrscht.

Aber diese Verknüpfung mag noch so eng sein, einigen Spielraum bewahren
sich die Glieder dieser Einheit doch noch zum eigenen Atmen und Leben. Das
Wasser, das über die Grenze der großen Sprachgebiete flutet, verheert nur
zeitweilig einzelne Felder, im ganzen dient es eher ihrer gleichmäßigen
Befruchtung. Reißt die Welle dem Grenzdamm einmal eine größere Lücke, so
sorgt die Zeit meist auch gleich wieder für ihre Schließung: man wird seiner
Eigenart bewußt und stößt das Fremde aus, im großen und kleinen. Der
Germane fegt bei sich das Romanentum aus, in Deutschland und Holland, in
Dänemark und Schweden; der Russe wehrt sich gegen das Altbulgarische, wie
der Skandinavier und Holländer gegen das Deutsche, und wie der Deutsche
gegen das Englische; und so verdammt in Frankreich Malherbe auch die aus-
ländernden Bestrebungen der plejaäe.

Die Führer bei solchen Bewegungen treibt in der Regel das Gefühl für
die Würde ihres Volkes, manchmal auch die Rücksicht auf den guten Geschmack.
Unbewußt arbeiten sie aber auch für die Größe und die Stärkung ihres Volks-
tums: denn alles Ausländische in der Sprache richtet eine Scheidewand auf
zwischen Gebildeten und Ungebildeten und ebnet dem Sieg und der Allein¬
herrschaft der fremden Sprache und eines fremden Volkes nur zu sehr den
Weg. lahmt in einem Staate, wie uns Elsaß-Lothringen gezeigt hat, der
Regierung auch vielleicht den Arm bei ihren Gegenmaßregeln.

Ein Staat vollends empfindet das Dasein fremder Sprachen noch viel
mehr, zumal wenn er es mit einem jenseits der Grenzen gar herrschenden
Volksteil zu tun hat.

Darum streben selbstbewußte Reiche, wie Nußland, Ungarn, auch Deutsch¬
land, in ihrem Innern möglichst nach sprachlicher Einheit; Frankreich dagegen
schiebt langsam, aber bewußt und planmäßig durch viele stille Kanäle seine
Sprache vor gegen Norden, in Belgien, wie es für sie wirbt in Rumänien.

Freilich kann das Ausland uns in diesen Dingen für die Zukunft über¬
haupt nur ein recht bedingtes Vorbild sein. Denn daß wir unsere germanischen
Vettern noch enger an uns schließen, ist wegen der geographischen und der
staatlichen Verhältnisse, und wie der Stand und der Lauf der Kultur gegen¬
wärtig nun einmal ist, kaum möglich, wenn wir dem Norden und dem nächsten
Westen sprachlich auch mehr Teilnahme zuwenden könnten. Um so mehr müssen


Die europäischen Sprachen und der Rrieg

Doch deuten solche Einzelwörter die geistige Abhängigkeit zwischen den
europäischen Völkern nur ganz grob an, so wie die flüchtigsten Reihstiche eine
später mit der Maschine ausgeführte Naht vorzeichnen. Unmerklich schlingen
sich neben ihnen von Sprache zu Sprache noch zahllose andere, feinere Bänder,
bei denen die entlehnende Gegend ihre Selbständigkeit äußerlich weniger aufgibt,
und die gerade deshalb um so fester knüpfen. Sie schließen den ganzen Westen
unseres Erdteils, Romanentum und Germanentum, teilweise auch noch das
Slawentum, zusammen zu einer Einheit, deren ganzes Denken und Sprechen,
in Wortschatz und Satzbau, der Geist des Lateins beherrscht.

Aber diese Verknüpfung mag noch so eng sein, einigen Spielraum bewahren
sich die Glieder dieser Einheit doch noch zum eigenen Atmen und Leben. Das
Wasser, das über die Grenze der großen Sprachgebiete flutet, verheert nur
zeitweilig einzelne Felder, im ganzen dient es eher ihrer gleichmäßigen
Befruchtung. Reißt die Welle dem Grenzdamm einmal eine größere Lücke, so
sorgt die Zeit meist auch gleich wieder für ihre Schließung: man wird seiner
Eigenart bewußt und stößt das Fremde aus, im großen und kleinen. Der
Germane fegt bei sich das Romanentum aus, in Deutschland und Holland, in
Dänemark und Schweden; der Russe wehrt sich gegen das Altbulgarische, wie
der Skandinavier und Holländer gegen das Deutsche, und wie der Deutsche
gegen das Englische; und so verdammt in Frankreich Malherbe auch die aus-
ländernden Bestrebungen der plejaäe.

Die Führer bei solchen Bewegungen treibt in der Regel das Gefühl für
die Würde ihres Volkes, manchmal auch die Rücksicht auf den guten Geschmack.
Unbewußt arbeiten sie aber auch für die Größe und die Stärkung ihres Volks-
tums: denn alles Ausländische in der Sprache richtet eine Scheidewand auf
zwischen Gebildeten und Ungebildeten und ebnet dem Sieg und der Allein¬
herrschaft der fremden Sprache und eines fremden Volkes nur zu sehr den
Weg. lahmt in einem Staate, wie uns Elsaß-Lothringen gezeigt hat, der
Regierung auch vielleicht den Arm bei ihren Gegenmaßregeln.

Ein Staat vollends empfindet das Dasein fremder Sprachen noch viel
mehr, zumal wenn er es mit einem jenseits der Grenzen gar herrschenden
Volksteil zu tun hat.

Darum streben selbstbewußte Reiche, wie Nußland, Ungarn, auch Deutsch¬
land, in ihrem Innern möglichst nach sprachlicher Einheit; Frankreich dagegen
schiebt langsam, aber bewußt und planmäßig durch viele stille Kanäle seine
Sprache vor gegen Norden, in Belgien, wie es für sie wirbt in Rumänien.

Freilich kann das Ausland uns in diesen Dingen für die Zukunft über¬
haupt nur ein recht bedingtes Vorbild sein. Denn daß wir unsere germanischen
Vettern noch enger an uns schließen, ist wegen der geographischen und der
staatlichen Verhältnisse, und wie der Stand und der Lauf der Kultur gegen¬
wärtig nun einmal ist, kaum möglich, wenn wir dem Norden und dem nächsten
Westen sprachlich auch mehr Teilnahme zuwenden könnten. Um so mehr müssen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0297" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/323836"/>
          <fw type="header" place="top"> Die europäischen Sprachen und der Rrieg</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_981"> Doch deuten solche Einzelwörter die geistige Abhängigkeit zwischen den<lb/>
europäischen Völkern nur ganz grob an, so wie die flüchtigsten Reihstiche eine<lb/>
später mit der Maschine ausgeführte Naht vorzeichnen. Unmerklich schlingen<lb/>
sich neben ihnen von Sprache zu Sprache noch zahllose andere, feinere Bänder,<lb/>
bei denen die entlehnende Gegend ihre Selbständigkeit äußerlich weniger aufgibt,<lb/>
und die gerade deshalb um so fester knüpfen. Sie schließen den ganzen Westen<lb/>
unseres Erdteils, Romanentum und Germanentum, teilweise auch noch das<lb/>
Slawentum, zusammen zu einer Einheit, deren ganzes Denken und Sprechen,<lb/>
in Wortschatz und Satzbau, der Geist des Lateins beherrscht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_982"> Aber diese Verknüpfung mag noch so eng sein, einigen Spielraum bewahren<lb/>
sich die Glieder dieser Einheit doch noch zum eigenen Atmen und Leben. Das<lb/>
Wasser, das über die Grenze der großen Sprachgebiete flutet, verheert nur<lb/>
zeitweilig einzelne Felder, im ganzen dient es eher ihrer gleichmäßigen<lb/>
Befruchtung. Reißt die Welle dem Grenzdamm einmal eine größere Lücke, so<lb/>
sorgt die Zeit meist auch gleich wieder für ihre Schließung: man wird seiner<lb/>
Eigenart bewußt und stößt das Fremde aus, im großen und kleinen. Der<lb/>
Germane fegt bei sich das Romanentum aus, in Deutschland und Holland, in<lb/>
Dänemark und Schweden; der Russe wehrt sich gegen das Altbulgarische, wie<lb/>
der Skandinavier und Holländer gegen das Deutsche, und wie der Deutsche<lb/>
gegen das Englische; und so verdammt in Frankreich Malherbe auch die aus-<lb/>
ländernden Bestrebungen der plejaäe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_983"> Die Führer bei solchen Bewegungen treibt in der Regel das Gefühl für<lb/>
die Würde ihres Volkes, manchmal auch die Rücksicht auf den guten Geschmack.<lb/>
Unbewußt arbeiten sie aber auch für die Größe und die Stärkung ihres Volks-<lb/>
tums: denn alles Ausländische in der Sprache richtet eine Scheidewand auf<lb/>
zwischen Gebildeten und Ungebildeten und ebnet dem Sieg und der Allein¬<lb/>
herrschaft der fremden Sprache und eines fremden Volkes nur zu sehr den<lb/>
Weg. lahmt in einem Staate, wie uns Elsaß-Lothringen gezeigt hat, der<lb/>
Regierung auch vielleicht den Arm bei ihren Gegenmaßregeln.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_984"> Ein Staat vollends empfindet das Dasein fremder Sprachen noch viel<lb/>
mehr, zumal wenn er es mit einem jenseits der Grenzen gar herrschenden<lb/>
Volksteil zu tun hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_985"> Darum streben selbstbewußte Reiche, wie Nußland, Ungarn, auch Deutsch¬<lb/>
land, in ihrem Innern möglichst nach sprachlicher Einheit; Frankreich dagegen<lb/>
schiebt langsam, aber bewußt und planmäßig durch viele stille Kanäle seine<lb/>
Sprache vor gegen Norden, in Belgien, wie es für sie wirbt in Rumänien.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_986" next="#ID_987"> Freilich kann das Ausland uns in diesen Dingen für die Zukunft über¬<lb/>
haupt nur ein recht bedingtes Vorbild sein. Denn daß wir unsere germanischen<lb/>
Vettern noch enger an uns schließen, ist wegen der geographischen und der<lb/>
staatlichen Verhältnisse, und wie der Stand und der Lauf der Kultur gegen¬<lb/>
wärtig nun einmal ist, kaum möglich, wenn wir dem Norden und dem nächsten<lb/>
Westen sprachlich auch mehr Teilnahme zuwenden könnten. Um so mehr müssen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0297] Die europäischen Sprachen und der Rrieg Doch deuten solche Einzelwörter die geistige Abhängigkeit zwischen den europäischen Völkern nur ganz grob an, so wie die flüchtigsten Reihstiche eine später mit der Maschine ausgeführte Naht vorzeichnen. Unmerklich schlingen sich neben ihnen von Sprache zu Sprache noch zahllose andere, feinere Bänder, bei denen die entlehnende Gegend ihre Selbständigkeit äußerlich weniger aufgibt, und die gerade deshalb um so fester knüpfen. Sie schließen den ganzen Westen unseres Erdteils, Romanentum und Germanentum, teilweise auch noch das Slawentum, zusammen zu einer Einheit, deren ganzes Denken und Sprechen, in Wortschatz und Satzbau, der Geist des Lateins beherrscht. Aber diese Verknüpfung mag noch so eng sein, einigen Spielraum bewahren sich die Glieder dieser Einheit doch noch zum eigenen Atmen und Leben. Das Wasser, das über die Grenze der großen Sprachgebiete flutet, verheert nur zeitweilig einzelne Felder, im ganzen dient es eher ihrer gleichmäßigen Befruchtung. Reißt die Welle dem Grenzdamm einmal eine größere Lücke, so sorgt die Zeit meist auch gleich wieder für ihre Schließung: man wird seiner Eigenart bewußt und stößt das Fremde aus, im großen und kleinen. Der Germane fegt bei sich das Romanentum aus, in Deutschland und Holland, in Dänemark und Schweden; der Russe wehrt sich gegen das Altbulgarische, wie der Skandinavier und Holländer gegen das Deutsche, und wie der Deutsche gegen das Englische; und so verdammt in Frankreich Malherbe auch die aus- ländernden Bestrebungen der plejaäe. Die Führer bei solchen Bewegungen treibt in der Regel das Gefühl für die Würde ihres Volkes, manchmal auch die Rücksicht auf den guten Geschmack. Unbewußt arbeiten sie aber auch für die Größe und die Stärkung ihres Volks- tums: denn alles Ausländische in der Sprache richtet eine Scheidewand auf zwischen Gebildeten und Ungebildeten und ebnet dem Sieg und der Allein¬ herrschaft der fremden Sprache und eines fremden Volkes nur zu sehr den Weg. lahmt in einem Staate, wie uns Elsaß-Lothringen gezeigt hat, der Regierung auch vielleicht den Arm bei ihren Gegenmaßregeln. Ein Staat vollends empfindet das Dasein fremder Sprachen noch viel mehr, zumal wenn er es mit einem jenseits der Grenzen gar herrschenden Volksteil zu tun hat. Darum streben selbstbewußte Reiche, wie Nußland, Ungarn, auch Deutsch¬ land, in ihrem Innern möglichst nach sprachlicher Einheit; Frankreich dagegen schiebt langsam, aber bewußt und planmäßig durch viele stille Kanäle seine Sprache vor gegen Norden, in Belgien, wie es für sie wirbt in Rumänien. Freilich kann das Ausland uns in diesen Dingen für die Zukunft über¬ haupt nur ein recht bedingtes Vorbild sein. Denn daß wir unsere germanischen Vettern noch enger an uns schließen, ist wegen der geographischen und der staatlichen Verhältnisse, und wie der Stand und der Lauf der Kultur gegen¬ wärtig nun einmal ist, kaum möglich, wenn wir dem Norden und dem nächsten Westen sprachlich auch mehr Teilnahme zuwenden könnten. Um so mehr müssen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/297
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/297>, abgerufen am 22.07.2024.