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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Die europäischen Sprachen und der Krieg

hastig, offen-bar, Dieb-erei, Falsch-Heit, Fürst°in, bös-isch). und so viele deutsche
Einzelwörter, daß es im Dänischen davon geradezu wimmelte: vor allem
niederdeutsche im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert, hochdeutsche erst im
sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert. Solche deutschen Eindringlinge leben
noch heute im Norden üppig fort, so bei den Dänen: achten, Angst, arbeiten,
Bild, bleiben. Fastelabend, doch, je-je "je desto", dazu unverfälscht hochdeutsche
wie Kranz, plötzlich, treffen; bei den Schweden nicht nur brauchen. Bürger,
frei, fremd, Edelstein, Schwertfeger, Schuhmacher, sondern auch wieder hoch¬
deutsche wie kratzen.

Das staatliche Zerwürfnis zwischen Dänemark und Deutschand hat hier
zwar gewirkt wie ein hoher Schutzzoll. Aber abgesehen davon, kommen uns
die Nordländer doch auch heute sprachlich in weitem Maß entgegen, so daß
besonders das geschäftige Kopenhagen den Reisenden anmutet wie eine halb¬
deutsche Stadt.

Leider können wir dem Norden dieses freundliche Wohlwollen nur unvoll¬
kommen vergelten, in Dänemark wegen der Schwierigkeit der gerade hier ma߬
gebenden seeländischen Aussprache, in Schweden nicht so recht wegen der Eigenart
seiner klangvollen Tonführung; kaum auch in Norwegen, nicht nur, weil
das hier Schriftsprache gewordene Dänisch nicht in das Volk dringt, sondern
auch, weil dem gerade im Volk der Einfluß des Englischen entgegensteht: weniger
dank den hier bei billiger Unterkunft im Sommer Lachse angelnden Briten als
infolge der gewinnbringenden Beziehungen der norwegischen Arbeiterklassen zu
nordamerikanischen Häfen, Bergwerken und Fabriken.

Holland und das belgische Flandern endlich, mit denen sich der germanische
Sprachkreis um uns herum schließt, find gutes, deutsches Urland; abgesehen
von dem friesischen Nordrand und den niedersächsischen Landschaften um die
Assel, ein Stammstück des fränkischen Gebiets, zu dem auch Köln gehört und die
Pfalz, und die sprachlich wie nach der Art der Bewohner mit diesen Gegenden
enger verwandt sind als der Badener in Heidelberg mit dem Badener in Freiburg.
Aber sie sind ihrer Herkunft nicht so unentwegt treu geblieben, wie wir es
gern erwarteten. Auch sprachlich hat diese Nordwestecke von Deutschland nicht
mehr viel wissen wollen, nachdem sie seit dem Jahre 1200 ihre fränkische
Mundart zur Schriftsprache erhoben hatte, und darum auch nur wenigen echt¬
deutschen Wörtern nachträglich noch Gastrecht gewährt, wie ätzen, Harz. Kurz¬
weil, Kranz, Spieß, verzagen, zerren, Zierat, zittern, zollen.

Viel mehr Gnade hat bei ihr das Französische gefunden, da diesem --
außer anderem -- im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert die hochstnnige
Gunst der burgundischen Herzöge Vorschub leistete, später die Verbindung mit
dem Reiche Napoleons.

So ist das Land der Generalstaaten, das der Sprache seines neidischen
Nachbars England immer sehr kühl gegenüberstand und ihr früher nur selten
einen Ausdruck entlehnte, ein behaglicher Hort des Französischen geworden:


Die europäischen Sprachen und der Krieg

hastig, offen-bar, Dieb-erei, Falsch-Heit, Fürst°in, bös-isch). und so viele deutsche
Einzelwörter, daß es im Dänischen davon geradezu wimmelte: vor allem
niederdeutsche im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert, hochdeutsche erst im
sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert. Solche deutschen Eindringlinge leben
noch heute im Norden üppig fort, so bei den Dänen: achten, Angst, arbeiten,
Bild, bleiben. Fastelabend, doch, je-je „je desto", dazu unverfälscht hochdeutsche
wie Kranz, plötzlich, treffen; bei den Schweden nicht nur brauchen. Bürger,
frei, fremd, Edelstein, Schwertfeger, Schuhmacher, sondern auch wieder hoch¬
deutsche wie kratzen.

Das staatliche Zerwürfnis zwischen Dänemark und Deutschand hat hier
zwar gewirkt wie ein hoher Schutzzoll. Aber abgesehen davon, kommen uns
die Nordländer doch auch heute sprachlich in weitem Maß entgegen, so daß
besonders das geschäftige Kopenhagen den Reisenden anmutet wie eine halb¬
deutsche Stadt.

Leider können wir dem Norden dieses freundliche Wohlwollen nur unvoll¬
kommen vergelten, in Dänemark wegen der Schwierigkeit der gerade hier ma߬
gebenden seeländischen Aussprache, in Schweden nicht so recht wegen der Eigenart
seiner klangvollen Tonführung; kaum auch in Norwegen, nicht nur, weil
das hier Schriftsprache gewordene Dänisch nicht in das Volk dringt, sondern
auch, weil dem gerade im Volk der Einfluß des Englischen entgegensteht: weniger
dank den hier bei billiger Unterkunft im Sommer Lachse angelnden Briten als
infolge der gewinnbringenden Beziehungen der norwegischen Arbeiterklassen zu
nordamerikanischen Häfen, Bergwerken und Fabriken.

Holland und das belgische Flandern endlich, mit denen sich der germanische
Sprachkreis um uns herum schließt, find gutes, deutsches Urland; abgesehen
von dem friesischen Nordrand und den niedersächsischen Landschaften um die
Assel, ein Stammstück des fränkischen Gebiets, zu dem auch Köln gehört und die
Pfalz, und die sprachlich wie nach der Art der Bewohner mit diesen Gegenden
enger verwandt sind als der Badener in Heidelberg mit dem Badener in Freiburg.
Aber sie sind ihrer Herkunft nicht so unentwegt treu geblieben, wie wir es
gern erwarteten. Auch sprachlich hat diese Nordwestecke von Deutschland nicht
mehr viel wissen wollen, nachdem sie seit dem Jahre 1200 ihre fränkische
Mundart zur Schriftsprache erhoben hatte, und darum auch nur wenigen echt¬
deutschen Wörtern nachträglich noch Gastrecht gewährt, wie ätzen, Harz. Kurz¬
weil, Kranz, Spieß, verzagen, zerren, Zierat, zittern, zollen.

Viel mehr Gnade hat bei ihr das Französische gefunden, da diesem —
außer anderem — im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert die hochstnnige
Gunst der burgundischen Herzöge Vorschub leistete, später die Verbindung mit
dem Reiche Napoleons.

So ist das Land der Generalstaaten, das der Sprache seines neidischen
Nachbars England immer sehr kühl gegenüberstand und ihr früher nur selten
einen Ausdruck entlehnte, ein behaglicher Hort des Französischen geworden:


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[0294] Die europäischen Sprachen und der Krieg hastig, offen-bar, Dieb-erei, Falsch-Heit, Fürst°in, bös-isch). und so viele deutsche Einzelwörter, daß es im Dänischen davon geradezu wimmelte: vor allem niederdeutsche im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert, hochdeutsche erst im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert. Solche deutschen Eindringlinge leben noch heute im Norden üppig fort, so bei den Dänen: achten, Angst, arbeiten, Bild, bleiben. Fastelabend, doch, je-je „je desto", dazu unverfälscht hochdeutsche wie Kranz, plötzlich, treffen; bei den Schweden nicht nur brauchen. Bürger, frei, fremd, Edelstein, Schwertfeger, Schuhmacher, sondern auch wieder hoch¬ deutsche wie kratzen. Das staatliche Zerwürfnis zwischen Dänemark und Deutschand hat hier zwar gewirkt wie ein hoher Schutzzoll. Aber abgesehen davon, kommen uns die Nordländer doch auch heute sprachlich in weitem Maß entgegen, so daß besonders das geschäftige Kopenhagen den Reisenden anmutet wie eine halb¬ deutsche Stadt. Leider können wir dem Norden dieses freundliche Wohlwollen nur unvoll¬ kommen vergelten, in Dänemark wegen der Schwierigkeit der gerade hier ma߬ gebenden seeländischen Aussprache, in Schweden nicht so recht wegen der Eigenart seiner klangvollen Tonführung; kaum auch in Norwegen, nicht nur, weil das hier Schriftsprache gewordene Dänisch nicht in das Volk dringt, sondern auch, weil dem gerade im Volk der Einfluß des Englischen entgegensteht: weniger dank den hier bei billiger Unterkunft im Sommer Lachse angelnden Briten als infolge der gewinnbringenden Beziehungen der norwegischen Arbeiterklassen zu nordamerikanischen Häfen, Bergwerken und Fabriken. Holland und das belgische Flandern endlich, mit denen sich der germanische Sprachkreis um uns herum schließt, find gutes, deutsches Urland; abgesehen von dem friesischen Nordrand und den niedersächsischen Landschaften um die Assel, ein Stammstück des fränkischen Gebiets, zu dem auch Köln gehört und die Pfalz, und die sprachlich wie nach der Art der Bewohner mit diesen Gegenden enger verwandt sind als der Badener in Heidelberg mit dem Badener in Freiburg. Aber sie sind ihrer Herkunft nicht so unentwegt treu geblieben, wie wir es gern erwarteten. Auch sprachlich hat diese Nordwestecke von Deutschland nicht mehr viel wissen wollen, nachdem sie seit dem Jahre 1200 ihre fränkische Mundart zur Schriftsprache erhoben hatte, und darum auch nur wenigen echt¬ deutschen Wörtern nachträglich noch Gastrecht gewährt, wie ätzen, Harz. Kurz¬ weil, Kranz, Spieß, verzagen, zerren, Zierat, zittern, zollen. Viel mehr Gnade hat bei ihr das Französische gefunden, da diesem — außer anderem — im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert die hochstnnige Gunst der burgundischen Herzöge Vorschub leistete, später die Verbindung mit dem Reiche Napoleons. So ist das Land der Generalstaaten, das der Sprache seines neidischen Nachbars England immer sehr kühl gegenüberstand und ihr früher nur selten einen Ausdruck entlehnte, ein behaglicher Hort des Französischen geworden:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/294>, abgerufen am 22.07.2024.