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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Die europäischen Sprachen und der Krieg

vielfach in den Haaren: während die Serben mit den Bulgaren streiten um
Mazedonien, läßt im kaiserlichen Rußland der Großrusse den Kleinrussen fast
ebensowenig aufkommen, wie den Polen, der in Galizien den Ruthenen auch
seinerseits nur quält.

Die russische Abneigung gegen Deutschland, die schon früher jedes russische
Ungemach Bismarck in die Schuhe schob, und die schon damals weite Schichten
einen Krieg mit unserm Reich als einen halben Kreuzzug betrachten ließ, wie
mir ein befreundeter Gutsbesitzer einst offen ins Gesicht gestand, findet die
kleineren slawischen Brüder noch nicht richtig bereit zur Gefolgschaft, schon weil
diese Angst haben müssen von der Moskaner Knute, die Andersgläubigen und
Freigeistigen auch vor den Schnüffeleien des heiligen Synods.

Die Zukunft kann das ändern. Dann aber bringt sie uns nicht weniger
Gefahren als dem britischen Vetter, der sich dann natürlich wieder seiner ger¬
manischen Abstammung erinnert.

Wie steht es nun mit dieser Abstammung, und wie überhaupt mit den
Brüdern aus dem germanischen Hause?

Nachdem das Wirrsal der Völkerwanderung von den drei Zweigen des
germanischen Sprachastes den östlichen abgeknickt und zertreten hatte mit der
hoffnungsvollen gotischen Blüte daran, stand allein noch der skandinavische
Zweig dem bisher westlichen und jetzt allgemein festländischen gegenüber, an
dem sich das Friesische, damals noch zwischen Nordsee und Leine, mit seinem
nordöstlichen Nachbarn, dem Angelsächsischen, von dem sonstigen Deutschen
abhob. Auch als die Angeln mit den angrenzenden Sachsen auf das bisher
rein keltische Britannien übergesetzt waren, hingen sie noch geistig zusammen
mit ihren festländischen Verwandten. Dieses Band zerrissen erst die Einfälle
der Nordmänner: weniger der unmittelbare von Dänemark aus, der den ganzen
Oststreifen zwischen Tweed und Themse losriß und hier von 800 bis über 1100
hinaus dem Nordischen eine sichere Stätte bereitete, an die noch heute nordische
Wörter im Englischen erinnern wie law "Gesetz", b^lap "Ortsgesetz", sie^
"Himmel" und to tales "nehmen", als die mittelbare, über die Normandie
hinweg seit dem Jahre 1066: nachdem diese Wikinger an der französischen West¬
küste im Laufe von hundertundfunfzig Jahren französische Sprache und Sitte ange¬
nommen hatten, hielten sie in England dreihundert Jahre so zäh daran fest, daß sie
damit England sprachlich in ein ganz neues Fahrwasser steuerten, und daß darum
der Deutsche jetzt dem echten Altenglischen weniger ratlos gegenübersteht als
die Nachfahren der sagenhaften Hengist und Horsa. Daß der König und sein
ganzer Hof nur Französisch verstanden, Gericht und Parlament nur in Französisch
verhandelten, hatte zur Folge, daß heute nach einem Wort Lessings die Sprache
der britischen Insel in der Hauptsache Französisch ist. nur englisch ausgesprochen,
und daß zur Ausstattung des nicht klassisch gebildeten Engländers ein Wörter¬
buch gehören soll, das ihm die fremden Ausdrücke erklärt. Und als das ein¬
heimische Sprachgut vom Jahre 1400 an wieder mehr zu Ehren kam und die


Die europäischen Sprachen und der Krieg

vielfach in den Haaren: während die Serben mit den Bulgaren streiten um
Mazedonien, läßt im kaiserlichen Rußland der Großrusse den Kleinrussen fast
ebensowenig aufkommen, wie den Polen, der in Galizien den Ruthenen auch
seinerseits nur quält.

Die russische Abneigung gegen Deutschland, die schon früher jedes russische
Ungemach Bismarck in die Schuhe schob, und die schon damals weite Schichten
einen Krieg mit unserm Reich als einen halben Kreuzzug betrachten ließ, wie
mir ein befreundeter Gutsbesitzer einst offen ins Gesicht gestand, findet die
kleineren slawischen Brüder noch nicht richtig bereit zur Gefolgschaft, schon weil
diese Angst haben müssen von der Moskaner Knute, die Andersgläubigen und
Freigeistigen auch vor den Schnüffeleien des heiligen Synods.

Die Zukunft kann das ändern. Dann aber bringt sie uns nicht weniger
Gefahren als dem britischen Vetter, der sich dann natürlich wieder seiner ger¬
manischen Abstammung erinnert.

Wie steht es nun mit dieser Abstammung, und wie überhaupt mit den
Brüdern aus dem germanischen Hause?

Nachdem das Wirrsal der Völkerwanderung von den drei Zweigen des
germanischen Sprachastes den östlichen abgeknickt und zertreten hatte mit der
hoffnungsvollen gotischen Blüte daran, stand allein noch der skandinavische
Zweig dem bisher westlichen und jetzt allgemein festländischen gegenüber, an
dem sich das Friesische, damals noch zwischen Nordsee und Leine, mit seinem
nordöstlichen Nachbarn, dem Angelsächsischen, von dem sonstigen Deutschen
abhob. Auch als die Angeln mit den angrenzenden Sachsen auf das bisher
rein keltische Britannien übergesetzt waren, hingen sie noch geistig zusammen
mit ihren festländischen Verwandten. Dieses Band zerrissen erst die Einfälle
der Nordmänner: weniger der unmittelbare von Dänemark aus, der den ganzen
Oststreifen zwischen Tweed und Themse losriß und hier von 800 bis über 1100
hinaus dem Nordischen eine sichere Stätte bereitete, an die noch heute nordische
Wörter im Englischen erinnern wie law „Gesetz", b^lap „Ortsgesetz", sie^
„Himmel" und to tales „nehmen", als die mittelbare, über die Normandie
hinweg seit dem Jahre 1066: nachdem diese Wikinger an der französischen West¬
küste im Laufe von hundertundfunfzig Jahren französische Sprache und Sitte ange¬
nommen hatten, hielten sie in England dreihundert Jahre so zäh daran fest, daß sie
damit England sprachlich in ein ganz neues Fahrwasser steuerten, und daß darum
der Deutsche jetzt dem echten Altenglischen weniger ratlos gegenübersteht als
die Nachfahren der sagenhaften Hengist und Horsa. Daß der König und sein
ganzer Hof nur Französisch verstanden, Gericht und Parlament nur in Französisch
verhandelten, hatte zur Folge, daß heute nach einem Wort Lessings die Sprache
der britischen Insel in der Hauptsache Französisch ist. nur englisch ausgesprochen,
und daß zur Ausstattung des nicht klassisch gebildeten Engländers ein Wörter¬
buch gehören soll, das ihm die fremden Ausdrücke erklärt. Und als das ein¬
heimische Sprachgut vom Jahre 1400 an wieder mehr zu Ehren kam und die


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[0292] Die europäischen Sprachen und der Krieg vielfach in den Haaren: während die Serben mit den Bulgaren streiten um Mazedonien, läßt im kaiserlichen Rußland der Großrusse den Kleinrussen fast ebensowenig aufkommen, wie den Polen, der in Galizien den Ruthenen auch seinerseits nur quält. Die russische Abneigung gegen Deutschland, die schon früher jedes russische Ungemach Bismarck in die Schuhe schob, und die schon damals weite Schichten einen Krieg mit unserm Reich als einen halben Kreuzzug betrachten ließ, wie mir ein befreundeter Gutsbesitzer einst offen ins Gesicht gestand, findet die kleineren slawischen Brüder noch nicht richtig bereit zur Gefolgschaft, schon weil diese Angst haben müssen von der Moskaner Knute, die Andersgläubigen und Freigeistigen auch vor den Schnüffeleien des heiligen Synods. Die Zukunft kann das ändern. Dann aber bringt sie uns nicht weniger Gefahren als dem britischen Vetter, der sich dann natürlich wieder seiner ger¬ manischen Abstammung erinnert. Wie steht es nun mit dieser Abstammung, und wie überhaupt mit den Brüdern aus dem germanischen Hause? Nachdem das Wirrsal der Völkerwanderung von den drei Zweigen des germanischen Sprachastes den östlichen abgeknickt und zertreten hatte mit der hoffnungsvollen gotischen Blüte daran, stand allein noch der skandinavische Zweig dem bisher westlichen und jetzt allgemein festländischen gegenüber, an dem sich das Friesische, damals noch zwischen Nordsee und Leine, mit seinem nordöstlichen Nachbarn, dem Angelsächsischen, von dem sonstigen Deutschen abhob. Auch als die Angeln mit den angrenzenden Sachsen auf das bisher rein keltische Britannien übergesetzt waren, hingen sie noch geistig zusammen mit ihren festländischen Verwandten. Dieses Band zerrissen erst die Einfälle der Nordmänner: weniger der unmittelbare von Dänemark aus, der den ganzen Oststreifen zwischen Tweed und Themse losriß und hier von 800 bis über 1100 hinaus dem Nordischen eine sichere Stätte bereitete, an die noch heute nordische Wörter im Englischen erinnern wie law „Gesetz", b^lap „Ortsgesetz", sie^ „Himmel" und to tales „nehmen", als die mittelbare, über die Normandie hinweg seit dem Jahre 1066: nachdem diese Wikinger an der französischen West¬ küste im Laufe von hundertundfunfzig Jahren französische Sprache und Sitte ange¬ nommen hatten, hielten sie in England dreihundert Jahre so zäh daran fest, daß sie damit England sprachlich in ein ganz neues Fahrwasser steuerten, und daß darum der Deutsche jetzt dem echten Altenglischen weniger ratlos gegenübersteht als die Nachfahren der sagenhaften Hengist und Horsa. Daß der König und sein ganzer Hof nur Französisch verstanden, Gericht und Parlament nur in Französisch verhandelten, hatte zur Folge, daß heute nach einem Wort Lessings die Sprache der britischen Insel in der Hauptsache Französisch ist. nur englisch ausgesprochen, und daß zur Ausstattung des nicht klassisch gebildeten Engländers ein Wörter¬ buch gehören soll, das ihm die fremden Ausdrücke erklärt. Und als das ein¬ heimische Sprachgut vom Jahre 1400 an wieder mehr zu Ehren kam und die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/292>, abgerufen am 24.08.2024.