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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Die europäischen Sprachen und der Krieg

Vereisung Europas diese milde Art des Albinismus heranzüchtete, mußten nach
den kühnsten Vertretern dieser Lehre alle großen Männer sein, nach Chamberlai"
in den "Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts" auch Christus.

Aber Kronos verschlang auch hier nach und nach wieder alle seine Kinder.

Zunächst konnte der nicht abzuleugnende dunkle und rundköpfige Teil des
indogermanischen Volkstums nur eine unechte Beimischung sein, Reste von
unterworfenen Stämmen und Rassen. Nur stellte sich bei genauerem Hinsehen
diese Beimischung heute als Hauptteil heraus, nicht nur bei den andern indo¬
germanisch redenden Völkern, sondern schließlich auch bei den Germanen, w"
die angeblichen Rassenmerkmale von Norden nach Süden abnehmen, bis züni
Verschwinden: während die seinerzeit von Virchow angeregte Untersuchung der
Schulkinder für Lauenburg 45 Blonde ergab unter 100, für Baden nur 24,
entdeckte die Schädelmessung unter 100 Köpfen in Südbaden 95 runde, in
Friesland nur 49; und ebenso, verglichen nach Städten, in Freiburg 93 runde,
in Bremen nur 42.

Daß sich freilich die Bewohner verschiedener Gegenden an Körper und an
Geist unterscheiden, zeigt schon in Baden das Nebeneinander von Alemannen
und Franken, bei den Slawen der Gegensatz von Russen und Polen, ähnlich
wie am Nil die edlen Gestalten der Hieroglyphenbilder mit ihren Mandelaugen
hervorleuchten aus der armseligsten Fellachenbevölkerung. -- Aber die Ursachen
dieser Unterschiede und die Tragweite ihrer Wirkungen kann den sprachgelehrten
nur die Naturwissenschafft ergründen, sie, die der Sprachforschung schon s"
manchmal vorwärts geholfen hat, durch Darwin> Brücke, Helmholtz; sie leuchtet
dann auch heraus aus dem Zweifel darüber, ob man ein solches Merkmal für
ein altes Erbstück halten müsse aus dem Hausrat der Väter oder für eine
junge Errungenschaft, gewonnen im gemeinschaftlichen, gleichgestellten Kampf
ums Dasein.

Bis dahin meidet man am besten das Meer schwankender Vermutungen
in der Rassenftage und richtet sein Haus nur ein auf dem sicheren Grund der
Erde, der Sprache. Schon diese lehrt für heute genug durch die drei Kreise,
die sie uns in Europa als festumwallte Einheiten entgegenstellt, das Romanen-
tum, das Slawentum und das Germanentum.

Die romanische Welt liegt unter diesen drei Einheiten dem Blick der
Öffentlichkeit am freiesten da, und durch die Brille des Lateins sieht er deren
Zusammengehörigkeit als etwas Gegebenes an, mehr als der äußerliche Sach¬
verhalt zunächst rechtfertigt. Die Lupe des Forschers verfeinert das Bild um
vielfache Züge und Abtönungen. Wenn sie zwischen den vier bis fünf Haupt¬
gebieten noch den einen oder anderen eigenen Kreis entdeckt, so neben der
Mundart der Nordfranzosen noch das Provenzalische, und ihm zur einen Seite,
besonders in der welschen Schweiz und Savoyen, das Fmnkoprovenzalische^
anderseits, gegen die Pyrenäen zu, die Katalanen, so mildert diese Einfügung
nur die Schärfe der Übergänge zwischen den Hauptgebieten und legt den Zaun


Die europäischen Sprachen und der Krieg

Vereisung Europas diese milde Art des Albinismus heranzüchtete, mußten nach
den kühnsten Vertretern dieser Lehre alle großen Männer sein, nach Chamberlai«
in den „Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts" auch Christus.

Aber Kronos verschlang auch hier nach und nach wieder alle seine Kinder.

Zunächst konnte der nicht abzuleugnende dunkle und rundköpfige Teil des
indogermanischen Volkstums nur eine unechte Beimischung sein, Reste von
unterworfenen Stämmen und Rassen. Nur stellte sich bei genauerem Hinsehen
diese Beimischung heute als Hauptteil heraus, nicht nur bei den andern indo¬
germanisch redenden Völkern, sondern schließlich auch bei den Germanen, w»
die angeblichen Rassenmerkmale von Norden nach Süden abnehmen, bis züni
Verschwinden: während die seinerzeit von Virchow angeregte Untersuchung der
Schulkinder für Lauenburg 45 Blonde ergab unter 100, für Baden nur 24,
entdeckte die Schädelmessung unter 100 Köpfen in Südbaden 95 runde, in
Friesland nur 49; und ebenso, verglichen nach Städten, in Freiburg 93 runde,
in Bremen nur 42.

Daß sich freilich die Bewohner verschiedener Gegenden an Körper und an
Geist unterscheiden, zeigt schon in Baden das Nebeneinander von Alemannen
und Franken, bei den Slawen der Gegensatz von Russen und Polen, ähnlich
wie am Nil die edlen Gestalten der Hieroglyphenbilder mit ihren Mandelaugen
hervorleuchten aus der armseligsten Fellachenbevölkerung. — Aber die Ursachen
dieser Unterschiede und die Tragweite ihrer Wirkungen kann den sprachgelehrten
nur die Naturwissenschafft ergründen, sie, die der Sprachforschung schon s«
manchmal vorwärts geholfen hat, durch Darwin> Brücke, Helmholtz; sie leuchtet
dann auch heraus aus dem Zweifel darüber, ob man ein solches Merkmal für
ein altes Erbstück halten müsse aus dem Hausrat der Väter oder für eine
junge Errungenschaft, gewonnen im gemeinschaftlichen, gleichgestellten Kampf
ums Dasein.

Bis dahin meidet man am besten das Meer schwankender Vermutungen
in der Rassenftage und richtet sein Haus nur ein auf dem sicheren Grund der
Erde, der Sprache. Schon diese lehrt für heute genug durch die drei Kreise,
die sie uns in Europa als festumwallte Einheiten entgegenstellt, das Romanen-
tum, das Slawentum und das Germanentum.

Die romanische Welt liegt unter diesen drei Einheiten dem Blick der
Öffentlichkeit am freiesten da, und durch die Brille des Lateins sieht er deren
Zusammengehörigkeit als etwas Gegebenes an, mehr als der äußerliche Sach¬
verhalt zunächst rechtfertigt. Die Lupe des Forschers verfeinert das Bild um
vielfache Züge und Abtönungen. Wenn sie zwischen den vier bis fünf Haupt¬
gebieten noch den einen oder anderen eigenen Kreis entdeckt, so neben der
Mundart der Nordfranzosen noch das Provenzalische, und ihm zur einen Seite,
besonders in der welschen Schweiz und Savoyen, das Fmnkoprovenzalische^
anderseits, gegen die Pyrenäen zu, die Katalanen, so mildert diese Einfügung
nur die Schärfe der Übergänge zwischen den Hauptgebieten und legt den Zaun


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[0286] Die europäischen Sprachen und der Krieg Vereisung Europas diese milde Art des Albinismus heranzüchtete, mußten nach den kühnsten Vertretern dieser Lehre alle großen Männer sein, nach Chamberlai« in den „Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts" auch Christus. Aber Kronos verschlang auch hier nach und nach wieder alle seine Kinder. Zunächst konnte der nicht abzuleugnende dunkle und rundköpfige Teil des indogermanischen Volkstums nur eine unechte Beimischung sein, Reste von unterworfenen Stämmen und Rassen. Nur stellte sich bei genauerem Hinsehen diese Beimischung heute als Hauptteil heraus, nicht nur bei den andern indo¬ germanisch redenden Völkern, sondern schließlich auch bei den Germanen, w» die angeblichen Rassenmerkmale von Norden nach Süden abnehmen, bis züni Verschwinden: während die seinerzeit von Virchow angeregte Untersuchung der Schulkinder für Lauenburg 45 Blonde ergab unter 100, für Baden nur 24, entdeckte die Schädelmessung unter 100 Köpfen in Südbaden 95 runde, in Friesland nur 49; und ebenso, verglichen nach Städten, in Freiburg 93 runde, in Bremen nur 42. Daß sich freilich die Bewohner verschiedener Gegenden an Körper und an Geist unterscheiden, zeigt schon in Baden das Nebeneinander von Alemannen und Franken, bei den Slawen der Gegensatz von Russen und Polen, ähnlich wie am Nil die edlen Gestalten der Hieroglyphenbilder mit ihren Mandelaugen hervorleuchten aus der armseligsten Fellachenbevölkerung. — Aber die Ursachen dieser Unterschiede und die Tragweite ihrer Wirkungen kann den sprachgelehrten nur die Naturwissenschafft ergründen, sie, die der Sprachforschung schon s« manchmal vorwärts geholfen hat, durch Darwin> Brücke, Helmholtz; sie leuchtet dann auch heraus aus dem Zweifel darüber, ob man ein solches Merkmal für ein altes Erbstück halten müsse aus dem Hausrat der Väter oder für eine junge Errungenschaft, gewonnen im gemeinschaftlichen, gleichgestellten Kampf ums Dasein. Bis dahin meidet man am besten das Meer schwankender Vermutungen in der Rassenftage und richtet sein Haus nur ein auf dem sicheren Grund der Erde, der Sprache. Schon diese lehrt für heute genug durch die drei Kreise, die sie uns in Europa als festumwallte Einheiten entgegenstellt, das Romanen- tum, das Slawentum und das Germanentum. Die romanische Welt liegt unter diesen drei Einheiten dem Blick der Öffentlichkeit am freiesten da, und durch die Brille des Lateins sieht er deren Zusammengehörigkeit als etwas Gegebenes an, mehr als der äußerliche Sach¬ verhalt zunächst rechtfertigt. Die Lupe des Forschers verfeinert das Bild um vielfache Züge und Abtönungen. Wenn sie zwischen den vier bis fünf Haupt¬ gebieten noch den einen oder anderen eigenen Kreis entdeckt, so neben der Mundart der Nordfranzosen noch das Provenzalische, und ihm zur einen Seite, besonders in der welschen Schweiz und Savoyen, das Fmnkoprovenzalische^ anderseits, gegen die Pyrenäen zu, die Katalanen, so mildert diese Einfügung nur die Schärfe der Übergänge zwischen den Hauptgebieten und legt den Zaun

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/286>, abgerufen am 22.07.2024.