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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Die europäischen Sprachen und der Krieg

Sprachen, und der Sprachforscher steht Fäden, die nicht zufällig und nicht
bedeutungslos sein können.

Sollte er nicht wagen dürfen, den Gang der Dinge auch damit zu erklären?

Der Grundpfeiler, auf dem die gesamte Sprachwissenschaft im Lauf der
letzten hundert Jahre ihr mächtiges Gebäude aufgerichtet hat. ist die Erkenntnis,
daß die indogermanischen Sprachen eine Einheit bilden.

Dieser Grundpfeiler ist für das heutige Empfinden verschüttet. Einem
Gebildeten kann man die indogermanische Verwandtschaft in der Hauptsache
klar machen durch die Nebeneinanderstellung von Zeitwortsformen (wie lateinisch
ckxi und griechisch -S-^") oder durch Vergleichung von gewöhnlichen Wörtern,
besonders der Verwandtschaftsnamen. Fürwörter oder Zahlwörter. Einem
Krieger unseres Ostheeres nützt diese indogermanische Verwandtschaft nichts,
da die dem Deutschen und Russisch-Polnischen noch gemeinsamen Erbwörter
im Klang jetzt gewöhnlich weit auseinandergehen: etwas bessere Dienste leisten
ihm schon die wenigen Ausdrücke, die wir dem slawischen entlehnt haben, wie
Droschke. Pallasch, Säbel-Säbel, sowie die viel zahlreicheren, wofür die Russen
uns verpflichtet sind: teils reindeutsche wie Band, Bank, Butterbrot. Feuerwerk,
Halstuch, Perückenmacher, Schlagbaum, teils romanische oder sonst fremde in
unserer Lautgebung wie Apfelsine, Juwelier, Kartoffel, Preiskurant. Am besten
aber kann er sich durchhelfen mit französischen Entlehnungen, die auch bei uns
üblich find, wie Balkon, Kommode, Kompott, Lampe, Möbel. Restaurant; als
Kenner des Französischen verständigt er sich auch noch mit einigen uns jetzt
abgehenden, aber im slawischen noch lebendigen Lehnwörtern aus dem
Französischen wie äebarcaäel-e "Bahnhof", alli^cree "Eilwagen". Unedle
"Zeitung"; dagegen braucht er sich auf das Englische nur selten zu stützen, so
bei dem Ausdruck "Schienen" (englisch rails), schon nicht mehr bei Beefsteak,
Pudding und Punsch oder -- bei Waterklosett.

So sucht also die gewöhnliche Lebenserfahrung die Brücke zwischen Deutschen
und Slawen an der falschen Stelle, an.f der Seite der Lehnwörter, nicht in
der Gegend der Erbwörter.

Der nachdenkliche Geist der Allgemeinheit dagegen steht -- in noch schärferem
Gegensatz zu der Wissenschaft -- hier überhaupt keine Brücke, sondern nur eine
Kluft: er entdeckt zwischen den Völkern überall nur Verschiedenheiten und faßt
diese zusammen unter dem Begriff der Rasse. Die indogermanische Sprach¬
wissenschaft kann ein Lied fingen von dieser Rassenfrage. leider kein rühmliches:
denn mit fliegenden Fahnen und voreiligen Siegesgeschmetter ist hier die
Forschung auf Jahrzehnte hinaus in eine hinterhältige Sackgasse geritten.

Man erklärte die Sprachverwandtschaft als Folge einer Völkerverwandschaft
und schrieb auf Grund einiger Andeutungen bei alten Schriftstellern nicht nur
den Germanen, sondern auch dem Urvolk hohen Wuchs zu, blaue Augen,
weiße Haut und blondes Haar, dazu später noch Langschädeligkeit. Glieder
dieses Herrenvolkes, bei dem die Auslese der rauhen Urheimat während der


Grenzboten II 1915 18
Die europäischen Sprachen und der Krieg

Sprachen, und der Sprachforscher steht Fäden, die nicht zufällig und nicht
bedeutungslos sein können.

Sollte er nicht wagen dürfen, den Gang der Dinge auch damit zu erklären?

Der Grundpfeiler, auf dem die gesamte Sprachwissenschaft im Lauf der
letzten hundert Jahre ihr mächtiges Gebäude aufgerichtet hat. ist die Erkenntnis,
daß die indogermanischen Sprachen eine Einheit bilden.

Dieser Grundpfeiler ist für das heutige Empfinden verschüttet. Einem
Gebildeten kann man die indogermanische Verwandtschaft in der Hauptsache
klar machen durch die Nebeneinanderstellung von Zeitwortsformen (wie lateinisch
ckxi und griechisch -S-^«) oder durch Vergleichung von gewöhnlichen Wörtern,
besonders der Verwandtschaftsnamen. Fürwörter oder Zahlwörter. Einem
Krieger unseres Ostheeres nützt diese indogermanische Verwandtschaft nichts,
da die dem Deutschen und Russisch-Polnischen noch gemeinsamen Erbwörter
im Klang jetzt gewöhnlich weit auseinandergehen: etwas bessere Dienste leisten
ihm schon die wenigen Ausdrücke, die wir dem slawischen entlehnt haben, wie
Droschke. Pallasch, Säbel-Säbel, sowie die viel zahlreicheren, wofür die Russen
uns verpflichtet sind: teils reindeutsche wie Band, Bank, Butterbrot. Feuerwerk,
Halstuch, Perückenmacher, Schlagbaum, teils romanische oder sonst fremde in
unserer Lautgebung wie Apfelsine, Juwelier, Kartoffel, Preiskurant. Am besten
aber kann er sich durchhelfen mit französischen Entlehnungen, die auch bei uns
üblich find, wie Balkon, Kommode, Kompott, Lampe, Möbel. Restaurant; als
Kenner des Französischen verständigt er sich auch noch mit einigen uns jetzt
abgehenden, aber im slawischen noch lebendigen Lehnwörtern aus dem
Französischen wie äebarcaäel-e „Bahnhof", alli^cree „Eilwagen". Unedle
„Zeitung"; dagegen braucht er sich auf das Englische nur selten zu stützen, so
bei dem Ausdruck „Schienen" (englisch rails), schon nicht mehr bei Beefsteak,
Pudding und Punsch oder — bei Waterklosett.

So sucht also die gewöhnliche Lebenserfahrung die Brücke zwischen Deutschen
und Slawen an der falschen Stelle, an.f der Seite der Lehnwörter, nicht in
der Gegend der Erbwörter.

Der nachdenkliche Geist der Allgemeinheit dagegen steht — in noch schärferem
Gegensatz zu der Wissenschaft — hier überhaupt keine Brücke, sondern nur eine
Kluft: er entdeckt zwischen den Völkern überall nur Verschiedenheiten und faßt
diese zusammen unter dem Begriff der Rasse. Die indogermanische Sprach¬
wissenschaft kann ein Lied fingen von dieser Rassenfrage. leider kein rühmliches:
denn mit fliegenden Fahnen und voreiligen Siegesgeschmetter ist hier die
Forschung auf Jahrzehnte hinaus in eine hinterhältige Sackgasse geritten.

Man erklärte die Sprachverwandtschaft als Folge einer Völkerverwandschaft
und schrieb auf Grund einiger Andeutungen bei alten Schriftstellern nicht nur
den Germanen, sondern auch dem Urvolk hohen Wuchs zu, blaue Augen,
weiße Haut und blondes Haar, dazu später noch Langschädeligkeit. Glieder
dieses Herrenvolkes, bei dem die Auslese der rauhen Urheimat während der


Grenzboten II 1915 18
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[0285] Die europäischen Sprachen und der Krieg Sprachen, und der Sprachforscher steht Fäden, die nicht zufällig und nicht bedeutungslos sein können. Sollte er nicht wagen dürfen, den Gang der Dinge auch damit zu erklären? Der Grundpfeiler, auf dem die gesamte Sprachwissenschaft im Lauf der letzten hundert Jahre ihr mächtiges Gebäude aufgerichtet hat. ist die Erkenntnis, daß die indogermanischen Sprachen eine Einheit bilden. Dieser Grundpfeiler ist für das heutige Empfinden verschüttet. Einem Gebildeten kann man die indogermanische Verwandtschaft in der Hauptsache klar machen durch die Nebeneinanderstellung von Zeitwortsformen (wie lateinisch ckxi und griechisch -S-^«) oder durch Vergleichung von gewöhnlichen Wörtern, besonders der Verwandtschaftsnamen. Fürwörter oder Zahlwörter. Einem Krieger unseres Ostheeres nützt diese indogermanische Verwandtschaft nichts, da die dem Deutschen und Russisch-Polnischen noch gemeinsamen Erbwörter im Klang jetzt gewöhnlich weit auseinandergehen: etwas bessere Dienste leisten ihm schon die wenigen Ausdrücke, die wir dem slawischen entlehnt haben, wie Droschke. Pallasch, Säbel-Säbel, sowie die viel zahlreicheren, wofür die Russen uns verpflichtet sind: teils reindeutsche wie Band, Bank, Butterbrot. Feuerwerk, Halstuch, Perückenmacher, Schlagbaum, teils romanische oder sonst fremde in unserer Lautgebung wie Apfelsine, Juwelier, Kartoffel, Preiskurant. Am besten aber kann er sich durchhelfen mit französischen Entlehnungen, die auch bei uns üblich find, wie Balkon, Kommode, Kompott, Lampe, Möbel. Restaurant; als Kenner des Französischen verständigt er sich auch noch mit einigen uns jetzt abgehenden, aber im slawischen noch lebendigen Lehnwörtern aus dem Französischen wie äebarcaäel-e „Bahnhof", alli^cree „Eilwagen". Unedle „Zeitung"; dagegen braucht er sich auf das Englische nur selten zu stützen, so bei dem Ausdruck „Schienen" (englisch rails), schon nicht mehr bei Beefsteak, Pudding und Punsch oder — bei Waterklosett. So sucht also die gewöhnliche Lebenserfahrung die Brücke zwischen Deutschen und Slawen an der falschen Stelle, an.f der Seite der Lehnwörter, nicht in der Gegend der Erbwörter. Der nachdenkliche Geist der Allgemeinheit dagegen steht — in noch schärferem Gegensatz zu der Wissenschaft — hier überhaupt keine Brücke, sondern nur eine Kluft: er entdeckt zwischen den Völkern überall nur Verschiedenheiten und faßt diese zusammen unter dem Begriff der Rasse. Die indogermanische Sprach¬ wissenschaft kann ein Lied fingen von dieser Rassenfrage. leider kein rühmliches: denn mit fliegenden Fahnen und voreiligen Siegesgeschmetter ist hier die Forschung auf Jahrzehnte hinaus in eine hinterhältige Sackgasse geritten. Man erklärte die Sprachverwandtschaft als Folge einer Völkerverwandschaft und schrieb auf Grund einiger Andeutungen bei alten Schriftstellern nicht nur den Germanen, sondern auch dem Urvolk hohen Wuchs zu, blaue Augen, weiße Haut und blondes Haar, dazu später noch Langschädeligkeit. Glieder dieses Herrenvolkes, bei dem die Auslese der rauhen Urheimat während der Grenzboten II 1915 18

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/285>, abgerufen am 24.08.2024.