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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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von deutscher Kultur und deutscher Freiheit

sprechenden Wirkungskreis. Die Göttinger Sieben fanden bald ihre Stellung
und ihren Lehrstuhl bei anderen Landesherren wieder, und wenn es auch viel¬
leicht nur geschah, um den viellieben Vetter von Hannover zu ärgern. In
Deutschland kann sich durch die Vielheit der Brennpunkte geistigen Lebens nicht
in dem Sinne eine herrschende Meinung entwickeln wie anderwärts; die Viel¬
gestaltigkeit des deutschen Geisteslebens läßt die Tyrannei des Goul oder Carl
nicht aufkommen.

In den geistigen Kämpfen des sechzehnten Jahrhunderts galt allgemein
das Heimatland der Reformation und der Buchdruckerkunst auch als das Land
der weitgehendsten Toleranz und der freiesten Aussprache.

Ob der Germane gutmütiger ist als der Romane -- wie denn die starken,
ungeschlachten Naturen vielfach von verhältnismäßig sanftmütiger Art find --
oder ob, was das Wahrscheinlichere ist, die einheitlichere Volksart zwischen
Rhein und Elbe die Ursache ist, sei dahingestellt. "Die Franzosen haben in
schwierigen Lagen immer zum Massacre gegriffen, um die Obstruktion zu über¬
winden, von den Tagen der Kreuzzüge gegen die Albigenser im dreizehnten
Jahrhundert bis zur Vernichtung der Pariser Kommune im neunzehnten. Hinter
dem Terror von 1793 stehen nicht nur die Bartholomäusnacht und die Ver¬
folgungen, die nach der Aufhebung des Edikts von Nantes einsetzten, sondern noch
ungezählte andere Metzeleien wie jene, die unter der Regierung Ludwigs des
Vierzehnten stattfanden", sagt Brooks-Adams, der amerikanische Geschichts¬
philosoph.

Voltaire hat von dem tiZre-ZinZe gesprochen, der im gallischen Volkstum
stecke. Unter den von Herrn Gayot de Pitaval berichteten Rechtsfällen finden
sich Geschichten von einer Scheußlichkeit, einer Grausamkeit der Volksgenossen
untereinander, die sich nur durch den instinktiven Rassenhaß verschieden ge¬
arteter Volksbestandteile erklären lassen und denen wir nichts an die Seite zu
setzen haben.

"Ol-kelte? 1e I^rancais et vou8 trouvere? le Leite", sagte Voltaire und
Gobineau sagte es seinen gallischen Landsleuten ganz ähnlich. Und die Briten
-- man sollte nur noch von Galliern und Briten reden und sie nicht mehr
fälschlich mit den germanischen Namen der Franken und Angelsachsen schmücken
-- haben anscheinend auch ihren germanischen Blutbestandteil verbraucht; sie
haben kennzeichnenderweise in der letzten Zeit -- im Gegensatz zu früher --
ihre keltische Verwandtschaft bei jeder Gelegenheit mit Vorliebe betont. Um
so besser für uns, wenn unsere beiden frühmittelalterlichen Kolonien wieder
keltifiert sind. "Oallos czuoque in bello klorui3se auäivimu8", sagt Caesar;
"auch die Gallier sollen früher einmal im Kriege erfolgreich gewesen sein."




von deutscher Kultur und deutscher Freiheit

sprechenden Wirkungskreis. Die Göttinger Sieben fanden bald ihre Stellung
und ihren Lehrstuhl bei anderen Landesherren wieder, und wenn es auch viel¬
leicht nur geschah, um den viellieben Vetter von Hannover zu ärgern. In
Deutschland kann sich durch die Vielheit der Brennpunkte geistigen Lebens nicht
in dem Sinne eine herrschende Meinung entwickeln wie anderwärts; die Viel¬
gestaltigkeit des deutschen Geisteslebens läßt die Tyrannei des Goul oder Carl
nicht aufkommen.

In den geistigen Kämpfen des sechzehnten Jahrhunderts galt allgemein
das Heimatland der Reformation und der Buchdruckerkunst auch als das Land
der weitgehendsten Toleranz und der freiesten Aussprache.

Ob der Germane gutmütiger ist als der Romane — wie denn die starken,
ungeschlachten Naturen vielfach von verhältnismäßig sanftmütiger Art find —
oder ob, was das Wahrscheinlichere ist, die einheitlichere Volksart zwischen
Rhein und Elbe die Ursache ist, sei dahingestellt. „Die Franzosen haben in
schwierigen Lagen immer zum Massacre gegriffen, um die Obstruktion zu über¬
winden, von den Tagen der Kreuzzüge gegen die Albigenser im dreizehnten
Jahrhundert bis zur Vernichtung der Pariser Kommune im neunzehnten. Hinter
dem Terror von 1793 stehen nicht nur die Bartholomäusnacht und die Ver¬
folgungen, die nach der Aufhebung des Edikts von Nantes einsetzten, sondern noch
ungezählte andere Metzeleien wie jene, die unter der Regierung Ludwigs des
Vierzehnten stattfanden", sagt Brooks-Adams, der amerikanische Geschichts¬
philosoph.

Voltaire hat von dem tiZre-ZinZe gesprochen, der im gallischen Volkstum
stecke. Unter den von Herrn Gayot de Pitaval berichteten Rechtsfällen finden
sich Geschichten von einer Scheußlichkeit, einer Grausamkeit der Volksgenossen
untereinander, die sich nur durch den instinktiven Rassenhaß verschieden ge¬
arteter Volksbestandteile erklären lassen und denen wir nichts an die Seite zu
setzen haben.

„Ol-kelte? 1e I^rancais et vou8 trouvere? le Leite", sagte Voltaire und
Gobineau sagte es seinen gallischen Landsleuten ganz ähnlich. Und die Briten
— man sollte nur noch von Galliern und Briten reden und sie nicht mehr
fälschlich mit den germanischen Namen der Franken und Angelsachsen schmücken
— haben anscheinend auch ihren germanischen Blutbestandteil verbraucht; sie
haben kennzeichnenderweise in der letzten Zeit — im Gegensatz zu früher —
ihre keltische Verwandtschaft bei jeder Gelegenheit mit Vorliebe betont. Um
so besser für uns, wenn unsere beiden frühmittelalterlichen Kolonien wieder
keltifiert sind. „Oallos czuoque in bello klorui3se auäivimu8", sagt Caesar;
„auch die Gallier sollen früher einmal im Kriege erfolgreich gewesen sein."




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[0281] von deutscher Kultur und deutscher Freiheit sprechenden Wirkungskreis. Die Göttinger Sieben fanden bald ihre Stellung und ihren Lehrstuhl bei anderen Landesherren wieder, und wenn es auch viel¬ leicht nur geschah, um den viellieben Vetter von Hannover zu ärgern. In Deutschland kann sich durch die Vielheit der Brennpunkte geistigen Lebens nicht in dem Sinne eine herrschende Meinung entwickeln wie anderwärts; die Viel¬ gestaltigkeit des deutschen Geisteslebens läßt die Tyrannei des Goul oder Carl nicht aufkommen. In den geistigen Kämpfen des sechzehnten Jahrhunderts galt allgemein das Heimatland der Reformation und der Buchdruckerkunst auch als das Land der weitgehendsten Toleranz und der freiesten Aussprache. Ob der Germane gutmütiger ist als der Romane — wie denn die starken, ungeschlachten Naturen vielfach von verhältnismäßig sanftmütiger Art find — oder ob, was das Wahrscheinlichere ist, die einheitlichere Volksart zwischen Rhein und Elbe die Ursache ist, sei dahingestellt. „Die Franzosen haben in schwierigen Lagen immer zum Massacre gegriffen, um die Obstruktion zu über¬ winden, von den Tagen der Kreuzzüge gegen die Albigenser im dreizehnten Jahrhundert bis zur Vernichtung der Pariser Kommune im neunzehnten. Hinter dem Terror von 1793 stehen nicht nur die Bartholomäusnacht und die Ver¬ folgungen, die nach der Aufhebung des Edikts von Nantes einsetzten, sondern noch ungezählte andere Metzeleien wie jene, die unter der Regierung Ludwigs des Vierzehnten stattfanden", sagt Brooks-Adams, der amerikanische Geschichts¬ philosoph. Voltaire hat von dem tiZre-ZinZe gesprochen, der im gallischen Volkstum stecke. Unter den von Herrn Gayot de Pitaval berichteten Rechtsfällen finden sich Geschichten von einer Scheußlichkeit, einer Grausamkeit der Volksgenossen untereinander, die sich nur durch den instinktiven Rassenhaß verschieden ge¬ arteter Volksbestandteile erklären lassen und denen wir nichts an die Seite zu setzen haben. „Ol-kelte? 1e I^rancais et vou8 trouvere? le Leite", sagte Voltaire und Gobineau sagte es seinen gallischen Landsleuten ganz ähnlich. Und die Briten — man sollte nur noch von Galliern und Briten reden und sie nicht mehr fälschlich mit den germanischen Namen der Franken und Angelsachsen schmücken — haben anscheinend auch ihren germanischen Blutbestandteil verbraucht; sie haben kennzeichnenderweise in der letzten Zeit — im Gegensatz zu früher — ihre keltische Verwandtschaft bei jeder Gelegenheit mit Vorliebe betont. Um so besser für uns, wenn unsere beiden frühmittelalterlichen Kolonien wieder keltifiert sind. „Oallos czuoque in bello klorui3se auäivimu8", sagt Caesar; „auch die Gallier sollen früher einmal im Kriege erfolgreich gewesen sein."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/281>, abgerufen am 24.08.2024.