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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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von deutscher Aultur und deutscher Freiheit

es stände ihnen nun nicht mehr nur der militärische Bureaukratismus, sondern
die deutsche Nation selber gegenüber, die aus ihrem eigensten Willen heraus
zum Kampf bis auf äußerste entschlossen sei. Ihr werdet noch manche Ent¬
täuschungen dadurch erleben, ihr Herren Britanesen, daß ihr eure Zeitungs¬
phrasen wirklich geglaubt habt! Der kluge irische Jude Bernhard Shaw hat
euch kürzlich sehr vorsichtig und mit den üblichen Floskeln verbrämt gesagt,
was euch vor einem halben Jahrhundert schon euer John Stuart Mill und
andere gesagt haben: daß nämlich Deutschland, in allem worauf es wahrhaft
ankommt, das freieste Land ist; daß wir keineswegs "unter dem Militarismus
seufzen", sondern daß vielmehr dieser, als ein Gegengewicht gegen die größte
Gefahr für die Freiheit unter modernen wirtschaftlichen Verhältnissen, gegen
den Mammonismus, ein Hort der Persönlichkeit und der Freiheit ist, worüber
noch einiges zu sagen sein wird.

England hatte unzweifelhaft, besonders in der Verwaltung, zu gewissen
Zeiten die Grundzüge des germanischen Gesellschaftsaufbaus und germanischer
Achtung vor der Persönlichkeit in ausgeprägter Form verwirklicht; aber es hat,
wie jetzt allgemein erkennbar wird und wie Schärferblickende schon früher aus¬
gesprochen haben, sein Wesen allmählich umgebildet und verändert, beginnend
etwa mit dem Puritanismus und dem Sieg des Parlaments über das Königtum
in der Great Rebellion und der Glorious Revolution.

Es ist durchaus unrichtig, daß parlamentarisch regierte Länder freier sind
als Länder mit einer wirklichen Monarchie. Erstens ist überhaupt nicht die
Institution, die theoretische Rechtsform, bestimmend für den tatsächlich in einem
Gesellschaftsaufbau vorhandenen Grad von Freiheit, sondern die Stärke des
Persönlichkeitsgefühls, das in den Gliedern dieses Gesellschaftsaufbaus lebt.
Eine Niggerrepublik bietet mit noch so radikaler Verfassung ihren Genossen
niemals den Grad von rechtlicher Freiheit wie ein aus Germanen und den
entsprechenden Persönlichkeitstrotz aufgebautes Gemeinwesen, selbst wenn dessen
Oberhaupt formell absolute Gewalt hätte. -- Aber noch aus einem anderen
Grunde bietet etwa parlamentarische Regierungsform keineswegs der Nation
im ganzen ein größeres Maß von persönlicher Freiheit als andere, monarchische
Regierungsformen. Parlamente sind, wie Napoleon einmal sehr überzeugend
darlegte, nicht eine Institution des Volks, sondern einer kleinen Zahl von
Leuten, die die Politik als Beruf treiben können; unter diesen sind wieder
ganz kleine Gruppen, einzelne Parteiführer, schließlich allein ausschlaggebend.
Das ist aber nichts weniger als die Form, bei der die Rechte und die Freiheit
der gesamten Nation am besten gewahrt find.

Die Phrasen des westlichen Liberalismus und Parlamentarismus schmeicheln
der Eitelkeit der damit behafteten Nationen und sie werden dadurch zunächst
unausrottbar sein. So hört man jetzt bei Neutralen, wie Amerikanern,
Schweizern, die Redensart, der Sieg Deutschlands werde einen Sieg der Reaktion
bedeuten. Wo dies bösartig wider besseres Wissen geäußert wird, nur um


von deutscher Aultur und deutscher Freiheit

es stände ihnen nun nicht mehr nur der militärische Bureaukratismus, sondern
die deutsche Nation selber gegenüber, die aus ihrem eigensten Willen heraus
zum Kampf bis auf äußerste entschlossen sei. Ihr werdet noch manche Ent¬
täuschungen dadurch erleben, ihr Herren Britanesen, daß ihr eure Zeitungs¬
phrasen wirklich geglaubt habt! Der kluge irische Jude Bernhard Shaw hat
euch kürzlich sehr vorsichtig und mit den üblichen Floskeln verbrämt gesagt,
was euch vor einem halben Jahrhundert schon euer John Stuart Mill und
andere gesagt haben: daß nämlich Deutschland, in allem worauf es wahrhaft
ankommt, das freieste Land ist; daß wir keineswegs „unter dem Militarismus
seufzen", sondern daß vielmehr dieser, als ein Gegengewicht gegen die größte
Gefahr für die Freiheit unter modernen wirtschaftlichen Verhältnissen, gegen
den Mammonismus, ein Hort der Persönlichkeit und der Freiheit ist, worüber
noch einiges zu sagen sein wird.

England hatte unzweifelhaft, besonders in der Verwaltung, zu gewissen
Zeiten die Grundzüge des germanischen Gesellschaftsaufbaus und germanischer
Achtung vor der Persönlichkeit in ausgeprägter Form verwirklicht; aber es hat,
wie jetzt allgemein erkennbar wird und wie Schärferblickende schon früher aus¬
gesprochen haben, sein Wesen allmählich umgebildet und verändert, beginnend
etwa mit dem Puritanismus und dem Sieg des Parlaments über das Königtum
in der Great Rebellion und der Glorious Revolution.

Es ist durchaus unrichtig, daß parlamentarisch regierte Länder freier sind
als Länder mit einer wirklichen Monarchie. Erstens ist überhaupt nicht die
Institution, die theoretische Rechtsform, bestimmend für den tatsächlich in einem
Gesellschaftsaufbau vorhandenen Grad von Freiheit, sondern die Stärke des
Persönlichkeitsgefühls, das in den Gliedern dieses Gesellschaftsaufbaus lebt.
Eine Niggerrepublik bietet mit noch so radikaler Verfassung ihren Genossen
niemals den Grad von rechtlicher Freiheit wie ein aus Germanen und den
entsprechenden Persönlichkeitstrotz aufgebautes Gemeinwesen, selbst wenn dessen
Oberhaupt formell absolute Gewalt hätte. — Aber noch aus einem anderen
Grunde bietet etwa parlamentarische Regierungsform keineswegs der Nation
im ganzen ein größeres Maß von persönlicher Freiheit als andere, monarchische
Regierungsformen. Parlamente sind, wie Napoleon einmal sehr überzeugend
darlegte, nicht eine Institution des Volks, sondern einer kleinen Zahl von
Leuten, die die Politik als Beruf treiben können; unter diesen sind wieder
ganz kleine Gruppen, einzelne Parteiführer, schließlich allein ausschlaggebend.
Das ist aber nichts weniger als die Form, bei der die Rechte und die Freiheit
der gesamten Nation am besten gewahrt find.

Die Phrasen des westlichen Liberalismus und Parlamentarismus schmeicheln
der Eitelkeit der damit behafteten Nationen und sie werden dadurch zunächst
unausrottbar sein. So hört man jetzt bei Neutralen, wie Amerikanern,
Schweizern, die Redensart, der Sieg Deutschlands werde einen Sieg der Reaktion
bedeuten. Wo dies bösartig wider besseres Wissen geäußert wird, nur um


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[0254] von deutscher Aultur und deutscher Freiheit es stände ihnen nun nicht mehr nur der militärische Bureaukratismus, sondern die deutsche Nation selber gegenüber, die aus ihrem eigensten Willen heraus zum Kampf bis auf äußerste entschlossen sei. Ihr werdet noch manche Ent¬ täuschungen dadurch erleben, ihr Herren Britanesen, daß ihr eure Zeitungs¬ phrasen wirklich geglaubt habt! Der kluge irische Jude Bernhard Shaw hat euch kürzlich sehr vorsichtig und mit den üblichen Floskeln verbrämt gesagt, was euch vor einem halben Jahrhundert schon euer John Stuart Mill und andere gesagt haben: daß nämlich Deutschland, in allem worauf es wahrhaft ankommt, das freieste Land ist; daß wir keineswegs „unter dem Militarismus seufzen", sondern daß vielmehr dieser, als ein Gegengewicht gegen die größte Gefahr für die Freiheit unter modernen wirtschaftlichen Verhältnissen, gegen den Mammonismus, ein Hort der Persönlichkeit und der Freiheit ist, worüber noch einiges zu sagen sein wird. England hatte unzweifelhaft, besonders in der Verwaltung, zu gewissen Zeiten die Grundzüge des germanischen Gesellschaftsaufbaus und germanischer Achtung vor der Persönlichkeit in ausgeprägter Form verwirklicht; aber es hat, wie jetzt allgemein erkennbar wird und wie Schärferblickende schon früher aus¬ gesprochen haben, sein Wesen allmählich umgebildet und verändert, beginnend etwa mit dem Puritanismus und dem Sieg des Parlaments über das Königtum in der Great Rebellion und der Glorious Revolution. Es ist durchaus unrichtig, daß parlamentarisch regierte Länder freier sind als Länder mit einer wirklichen Monarchie. Erstens ist überhaupt nicht die Institution, die theoretische Rechtsform, bestimmend für den tatsächlich in einem Gesellschaftsaufbau vorhandenen Grad von Freiheit, sondern die Stärke des Persönlichkeitsgefühls, das in den Gliedern dieses Gesellschaftsaufbaus lebt. Eine Niggerrepublik bietet mit noch so radikaler Verfassung ihren Genossen niemals den Grad von rechtlicher Freiheit wie ein aus Germanen und den entsprechenden Persönlichkeitstrotz aufgebautes Gemeinwesen, selbst wenn dessen Oberhaupt formell absolute Gewalt hätte. — Aber noch aus einem anderen Grunde bietet etwa parlamentarische Regierungsform keineswegs der Nation im ganzen ein größeres Maß von persönlicher Freiheit als andere, monarchische Regierungsformen. Parlamente sind, wie Napoleon einmal sehr überzeugend darlegte, nicht eine Institution des Volks, sondern einer kleinen Zahl von Leuten, die die Politik als Beruf treiben können; unter diesen sind wieder ganz kleine Gruppen, einzelne Parteiführer, schließlich allein ausschlaggebend. Das ist aber nichts weniger als die Form, bei der die Rechte und die Freiheit der gesamten Nation am besten gewahrt find. Die Phrasen des westlichen Liberalismus und Parlamentarismus schmeicheln der Eitelkeit der damit behafteten Nationen und sie werden dadurch zunächst unausrottbar sein. So hört man jetzt bei Neutralen, wie Amerikanern, Schweizern, die Redensart, der Sieg Deutschlands werde einen Sieg der Reaktion bedeuten. Wo dies bösartig wider besseres Wissen geäußert wird, nur um

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/254>, abgerufen am 24.08.2024.