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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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von deutscher Kultur und deutscher Freiheit

austausch sich erwiesen. Niemand wird behaupten wollen, daß dieser Prozeß
der Kulturvermittlung zwischen Deutschland und England durch die zeitweilige
Personalunion von Hannover und England wesentlich gefördert worden sei oder
sie gar nötig gehabt hätte.

Den Franzosen fällt es auch gar nicht ein, etwa in Nizza die italienische
Sprache und Art zum Zweck der Kulturvermittlung zwischen den beiden
romanischen "Schwesternationen" zu fördern und zu pflegen. Dabei handelt
es sich hier doch um Italien, die unbezweifelbare Mutter und Schöpferin der
romanischen Kultur. Die Franzosen halten sich allerdings für führend unter den
romanischen Kulturvölkern. Das ist eine Erläuterung zu dem Kapitel, wie kurz das
geschichtliche Gedächtnis der Völker ist. Daß die Italiener unter den romanischen
Nationen die älteste Kulturvergangenheit haben, kann doch wirklich nicht zweifelhaft
sein. Die Tatsachen der Geschichte wollen wir uns durch ihr jetziges Verhalten
nicht verdunkeln lassen. Daß die Kulturarbeit Italiens auch in der nachantiken
Entwicklung, von Dante über die Renaissance zu Michelangelo und Galilei
und Volta, gegen die französische nicht zurückbleibt, dürfte ebenfalls sicher sein.
Die Ursache jener an sich durchaus unbegründeten französischen Überhebung kann
nur in der langdauernden politischen Schwäche und Zerrissenheit Italiens liegen;
wie die Franzosen ja auch im Verhältnis zu uns über den zweihundert
Jahren ihrer Übergriffe und politischen Übermacht die Tatsachen vieler früherer
Jahrhunderte völlig vergessen haben: daß nämlich die politische Vormachtstellung
in Europa lange vorher und die längste Zeit bei den Deutschen gewesen war.
Nicht als ob ein Anspruch darauf -- dessen Erhebung dem alten Reich so
schweren Schaden gebracht hat -- von den heutigen Deutschen irgendwie geltend
gemacht würde. Nur gegenüber dem törichten Gerede von dem neuherauf-
gekommenen Deutschland, das sich neulich sogar ein amerikanischer Admiral,
ausgerechnet ein amerikanischer, geleistet hat, darf man wohl einmal jene
geschichtliche Tatsache sich vergegenwärtigen. Aber freilich, wenn man
selbst bei uns an hervorragender Stelle von dem jungen und neuempor-
gekommenen Deutschland spricht, wird man bei einem amerikanischen Hemd-
ärmelpolitiker keinen weiterreichenden geschichtlichen Gesichtskreis voraussetzen
dürfen.

Der politische und wirtschaftliche Aufschwung Mitteleuropas, Deutschlands
und auch Italiens, ist eine Wiederaufnahme, nicht ein Neuemporkommen.
"Das deutsche Königtum." schreibt der englische Geschichtsforscher und Staats¬
mann James Bryce, "war schon ein Band zwischen den deutschen Stämmen
und es scheint stark und geeint, wenn man es mit Frankreich unter Hugo
Capet oder England unter Aethelred dem Zweiten vergleicht." Und Dietrich
Schäfer sagt: "Am Ausgang des Mittelalters waren Italiener und Deutsche
wirtschaftlich die entwickeltesten Völker Europas." Ihre glänzende wirtschaftliche
Entwicklung in unseren Tagen war nur ein Wiedererwachen aus dem langen
Schlaf der staatlichen Zerrissenheit. Nicht weil sie junge Völker sind, sondern


von deutscher Kultur und deutscher Freiheit

austausch sich erwiesen. Niemand wird behaupten wollen, daß dieser Prozeß
der Kulturvermittlung zwischen Deutschland und England durch die zeitweilige
Personalunion von Hannover und England wesentlich gefördert worden sei oder
sie gar nötig gehabt hätte.

Den Franzosen fällt es auch gar nicht ein, etwa in Nizza die italienische
Sprache und Art zum Zweck der Kulturvermittlung zwischen den beiden
romanischen „Schwesternationen" zu fördern und zu pflegen. Dabei handelt
es sich hier doch um Italien, die unbezweifelbare Mutter und Schöpferin der
romanischen Kultur. Die Franzosen halten sich allerdings für führend unter den
romanischen Kulturvölkern. Das ist eine Erläuterung zu dem Kapitel, wie kurz das
geschichtliche Gedächtnis der Völker ist. Daß die Italiener unter den romanischen
Nationen die älteste Kulturvergangenheit haben, kann doch wirklich nicht zweifelhaft
sein. Die Tatsachen der Geschichte wollen wir uns durch ihr jetziges Verhalten
nicht verdunkeln lassen. Daß die Kulturarbeit Italiens auch in der nachantiken
Entwicklung, von Dante über die Renaissance zu Michelangelo und Galilei
und Volta, gegen die französische nicht zurückbleibt, dürfte ebenfalls sicher sein.
Die Ursache jener an sich durchaus unbegründeten französischen Überhebung kann
nur in der langdauernden politischen Schwäche und Zerrissenheit Italiens liegen;
wie die Franzosen ja auch im Verhältnis zu uns über den zweihundert
Jahren ihrer Übergriffe und politischen Übermacht die Tatsachen vieler früherer
Jahrhunderte völlig vergessen haben: daß nämlich die politische Vormachtstellung
in Europa lange vorher und die längste Zeit bei den Deutschen gewesen war.
Nicht als ob ein Anspruch darauf — dessen Erhebung dem alten Reich so
schweren Schaden gebracht hat — von den heutigen Deutschen irgendwie geltend
gemacht würde. Nur gegenüber dem törichten Gerede von dem neuherauf-
gekommenen Deutschland, das sich neulich sogar ein amerikanischer Admiral,
ausgerechnet ein amerikanischer, geleistet hat, darf man wohl einmal jene
geschichtliche Tatsache sich vergegenwärtigen. Aber freilich, wenn man
selbst bei uns an hervorragender Stelle von dem jungen und neuempor-
gekommenen Deutschland spricht, wird man bei einem amerikanischen Hemd-
ärmelpolitiker keinen weiterreichenden geschichtlichen Gesichtskreis voraussetzen
dürfen.

Der politische und wirtschaftliche Aufschwung Mitteleuropas, Deutschlands
und auch Italiens, ist eine Wiederaufnahme, nicht ein Neuemporkommen.
„Das deutsche Königtum." schreibt der englische Geschichtsforscher und Staats¬
mann James Bryce, „war schon ein Band zwischen den deutschen Stämmen
und es scheint stark und geeint, wenn man es mit Frankreich unter Hugo
Capet oder England unter Aethelred dem Zweiten vergleicht." Und Dietrich
Schäfer sagt: „Am Ausgang des Mittelalters waren Italiener und Deutsche
wirtschaftlich die entwickeltesten Völker Europas." Ihre glänzende wirtschaftliche
Entwicklung in unseren Tagen war nur ein Wiedererwachen aus dem langen
Schlaf der staatlichen Zerrissenheit. Nicht weil sie junge Völker sind, sondern


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[0249] von deutscher Kultur und deutscher Freiheit austausch sich erwiesen. Niemand wird behaupten wollen, daß dieser Prozeß der Kulturvermittlung zwischen Deutschland und England durch die zeitweilige Personalunion von Hannover und England wesentlich gefördert worden sei oder sie gar nötig gehabt hätte. Den Franzosen fällt es auch gar nicht ein, etwa in Nizza die italienische Sprache und Art zum Zweck der Kulturvermittlung zwischen den beiden romanischen „Schwesternationen" zu fördern und zu pflegen. Dabei handelt es sich hier doch um Italien, die unbezweifelbare Mutter und Schöpferin der romanischen Kultur. Die Franzosen halten sich allerdings für führend unter den romanischen Kulturvölkern. Das ist eine Erläuterung zu dem Kapitel, wie kurz das geschichtliche Gedächtnis der Völker ist. Daß die Italiener unter den romanischen Nationen die älteste Kulturvergangenheit haben, kann doch wirklich nicht zweifelhaft sein. Die Tatsachen der Geschichte wollen wir uns durch ihr jetziges Verhalten nicht verdunkeln lassen. Daß die Kulturarbeit Italiens auch in der nachantiken Entwicklung, von Dante über die Renaissance zu Michelangelo und Galilei und Volta, gegen die französische nicht zurückbleibt, dürfte ebenfalls sicher sein. Die Ursache jener an sich durchaus unbegründeten französischen Überhebung kann nur in der langdauernden politischen Schwäche und Zerrissenheit Italiens liegen; wie die Franzosen ja auch im Verhältnis zu uns über den zweihundert Jahren ihrer Übergriffe und politischen Übermacht die Tatsachen vieler früherer Jahrhunderte völlig vergessen haben: daß nämlich die politische Vormachtstellung in Europa lange vorher und die längste Zeit bei den Deutschen gewesen war. Nicht als ob ein Anspruch darauf — dessen Erhebung dem alten Reich so schweren Schaden gebracht hat — von den heutigen Deutschen irgendwie geltend gemacht würde. Nur gegenüber dem törichten Gerede von dem neuherauf- gekommenen Deutschland, das sich neulich sogar ein amerikanischer Admiral, ausgerechnet ein amerikanischer, geleistet hat, darf man wohl einmal jene geschichtliche Tatsache sich vergegenwärtigen. Aber freilich, wenn man selbst bei uns an hervorragender Stelle von dem jungen und neuempor- gekommenen Deutschland spricht, wird man bei einem amerikanischen Hemd- ärmelpolitiker keinen weiterreichenden geschichtlichen Gesichtskreis voraussetzen dürfen. Der politische und wirtschaftliche Aufschwung Mitteleuropas, Deutschlands und auch Italiens, ist eine Wiederaufnahme, nicht ein Neuemporkommen. „Das deutsche Königtum." schreibt der englische Geschichtsforscher und Staats¬ mann James Bryce, „war schon ein Band zwischen den deutschen Stämmen und es scheint stark und geeint, wenn man es mit Frankreich unter Hugo Capet oder England unter Aethelred dem Zweiten vergleicht." Und Dietrich Schäfer sagt: „Am Ausgang des Mittelalters waren Italiener und Deutsche wirtschaftlich die entwickeltesten Völker Europas." Ihre glänzende wirtschaftliche Entwicklung in unseren Tagen war nur ein Wiedererwachen aus dem langen Schlaf der staatlichen Zerrissenheit. Nicht weil sie junge Völker sind, sondern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/249>, abgerufen am 26.06.2024.