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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Deutschlands Anteil am Suezkanal

Vom damaligen deutschen Standpunkt war Goethes Wunsch eigentlich
nicht unberechtigt; denn wer hätte in Deutschland damals an die Möglichkeit
denken dürfen, deutsche Seemacht und Seegeltung verwirklicht zu sehen! Daß
wir heute, ein Weltreich und ein Welthandelsvolk geworden, die Engländer
gern am Suez sehen, dürfte niemand behaupten, daß wir oder vielmehr unsere
türkischen Bundesgenossen, unterstützt von deutschen Offizieren*), die stärksten
Anstrenzungen machen werden, den Kanal England zu entreißen und diesem
dadurch die Herrschaft über Ägypten streitig zu machen, das erscheint heute
jedem verständlich, der die Bedeutung dieser Verbindung zwischen den Meeren
des Nordens und des Südens sieht. Von den geographischen Verhältnissen
sagt Philippson in seinem klassischen Werke "Das Mittelmeergebiet":

"Unmittelbar östlich (von Unterägypten) folgt der Isthmus von Suez, wo
sich dem Mittelmeer bis auf 120 Kilometer Abstand das Rote Meer nähert.
Ein tiefer, sehr junger (erst am Ende des Pliocän entstandener) Grabenbruch,
der sich nordwärts in zwei Zipfel teilt, welche die alte kristalline Masse der
Sinaihalbinsel umfassen, auf beiden Seiten von den hohen, alten Horstgebirgen
Ostägyptens und Westarabiens begrenzt, ist das Rote Meer selner Temperatur
und seiner organischen Welt nach ein Glied des Indischen Ozeans, ein echt
tropisches Meer, während das Mittelmeer bis in seine östlichen Teile hinein sich
als Golf des subtropischen Atlantischen Ozeans zu erkennen gibt. Obwohl der
Isthmus von Suez sich nur bis zu 16 Meter erhebt, hat doch hier nur ganz
kurze Zeit, im älteren Ouartär, eine Verbindung beider Meere bestanden . . .
Eine Naturgrenze zwischen beiden Ländern (Ägypten und Syrien) bildet der
Isthmus nicht. Durch die Windverhältnisse wird die Bedeutung des Roten
Meeres für die Segelschiffahrt sehr herabgesetzt. Infolgedessen hat der Verkehr
von Ostafrika und Südarabien nach dem Mittelmeer, für den das Rote Meer
die gegebene Straße zu sein scheint, meist vorgezogen, in Oberägypten zu Lande
den Nil aufzusuchen und diesem stromab zu folgen, während der indische Ver¬
kehr meist östlichere Wege aufsuchte. So hat der Isthmus von Suez keine
hervorragende Rolle in dem Verkehr vom Mittelmeer zum Indischen Ozean
gespielt, eine größere als Landstraße zwischen Ägypten und Vorderasien. Die
Umsegelung Afrikas durch Vasco de Gama (1497/98) bedeutete also nicht nur
die Vermeidung des kurzen Landweges über den Isthmus, sondern eines langen
Landtransportes der indischen Waren durch Vorderasien oder die oberägyptische
Wüste. Das wurde völlig anders durch die Dampfschiffahrt, der das Rote
Meer kein Hindernis mehr bot; der sich nun hier schnell entwickelnde große
Verkehr führte zum Bau des Suezkanals, und seitdem ist die Rote-Meer-Linie
eine der hervorragendsten Straßen des Weltverkehrs geworden. . . . Der bei



*) In der kürzlich veröffentlichten Verlustliste Ur. 1 der in türkischen Diensten gefallenen
Preußischen Offiziere a. D. liest man: Hauptmann a. D....., jetzt kaiserlich Ottomanischer
Major, kommandiert zum Stäbe eines Armeekorps, gefallen auf der Sinaihalbinsel
Februar 1915.
Deutschlands Anteil am Suezkanal

Vom damaligen deutschen Standpunkt war Goethes Wunsch eigentlich
nicht unberechtigt; denn wer hätte in Deutschland damals an die Möglichkeit
denken dürfen, deutsche Seemacht und Seegeltung verwirklicht zu sehen! Daß
wir heute, ein Weltreich und ein Welthandelsvolk geworden, die Engländer
gern am Suez sehen, dürfte niemand behaupten, daß wir oder vielmehr unsere
türkischen Bundesgenossen, unterstützt von deutschen Offizieren*), die stärksten
Anstrenzungen machen werden, den Kanal England zu entreißen und diesem
dadurch die Herrschaft über Ägypten streitig zu machen, das erscheint heute
jedem verständlich, der die Bedeutung dieser Verbindung zwischen den Meeren
des Nordens und des Südens sieht. Von den geographischen Verhältnissen
sagt Philippson in seinem klassischen Werke „Das Mittelmeergebiet":

„Unmittelbar östlich (von Unterägypten) folgt der Isthmus von Suez, wo
sich dem Mittelmeer bis auf 120 Kilometer Abstand das Rote Meer nähert.
Ein tiefer, sehr junger (erst am Ende des Pliocän entstandener) Grabenbruch,
der sich nordwärts in zwei Zipfel teilt, welche die alte kristalline Masse der
Sinaihalbinsel umfassen, auf beiden Seiten von den hohen, alten Horstgebirgen
Ostägyptens und Westarabiens begrenzt, ist das Rote Meer selner Temperatur
und seiner organischen Welt nach ein Glied des Indischen Ozeans, ein echt
tropisches Meer, während das Mittelmeer bis in seine östlichen Teile hinein sich
als Golf des subtropischen Atlantischen Ozeans zu erkennen gibt. Obwohl der
Isthmus von Suez sich nur bis zu 16 Meter erhebt, hat doch hier nur ganz
kurze Zeit, im älteren Ouartär, eine Verbindung beider Meere bestanden . . .
Eine Naturgrenze zwischen beiden Ländern (Ägypten und Syrien) bildet der
Isthmus nicht. Durch die Windverhältnisse wird die Bedeutung des Roten
Meeres für die Segelschiffahrt sehr herabgesetzt. Infolgedessen hat der Verkehr
von Ostafrika und Südarabien nach dem Mittelmeer, für den das Rote Meer
die gegebene Straße zu sein scheint, meist vorgezogen, in Oberägypten zu Lande
den Nil aufzusuchen und diesem stromab zu folgen, während der indische Ver¬
kehr meist östlichere Wege aufsuchte. So hat der Isthmus von Suez keine
hervorragende Rolle in dem Verkehr vom Mittelmeer zum Indischen Ozean
gespielt, eine größere als Landstraße zwischen Ägypten und Vorderasien. Die
Umsegelung Afrikas durch Vasco de Gama (1497/98) bedeutete also nicht nur
die Vermeidung des kurzen Landweges über den Isthmus, sondern eines langen
Landtransportes der indischen Waren durch Vorderasien oder die oberägyptische
Wüste. Das wurde völlig anders durch die Dampfschiffahrt, der das Rote
Meer kein Hindernis mehr bot; der sich nun hier schnell entwickelnde große
Verkehr führte zum Bau des Suezkanals, und seitdem ist die Rote-Meer-Linie
eine der hervorragendsten Straßen des Weltverkehrs geworden. . . . Der bei



*) In der kürzlich veröffentlichten Verlustliste Ur. 1 der in türkischen Diensten gefallenen
Preußischen Offiziere a. D. liest man: Hauptmann a. D....., jetzt kaiserlich Ottomanischer
Major, kommandiert zum Stäbe eines Armeekorps, gefallen auf der Sinaihalbinsel
Februar 1915.
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[0238] Deutschlands Anteil am Suezkanal Vom damaligen deutschen Standpunkt war Goethes Wunsch eigentlich nicht unberechtigt; denn wer hätte in Deutschland damals an die Möglichkeit denken dürfen, deutsche Seemacht und Seegeltung verwirklicht zu sehen! Daß wir heute, ein Weltreich und ein Welthandelsvolk geworden, die Engländer gern am Suez sehen, dürfte niemand behaupten, daß wir oder vielmehr unsere türkischen Bundesgenossen, unterstützt von deutschen Offizieren*), die stärksten Anstrenzungen machen werden, den Kanal England zu entreißen und diesem dadurch die Herrschaft über Ägypten streitig zu machen, das erscheint heute jedem verständlich, der die Bedeutung dieser Verbindung zwischen den Meeren des Nordens und des Südens sieht. Von den geographischen Verhältnissen sagt Philippson in seinem klassischen Werke „Das Mittelmeergebiet": „Unmittelbar östlich (von Unterägypten) folgt der Isthmus von Suez, wo sich dem Mittelmeer bis auf 120 Kilometer Abstand das Rote Meer nähert. Ein tiefer, sehr junger (erst am Ende des Pliocän entstandener) Grabenbruch, der sich nordwärts in zwei Zipfel teilt, welche die alte kristalline Masse der Sinaihalbinsel umfassen, auf beiden Seiten von den hohen, alten Horstgebirgen Ostägyptens und Westarabiens begrenzt, ist das Rote Meer selner Temperatur und seiner organischen Welt nach ein Glied des Indischen Ozeans, ein echt tropisches Meer, während das Mittelmeer bis in seine östlichen Teile hinein sich als Golf des subtropischen Atlantischen Ozeans zu erkennen gibt. Obwohl der Isthmus von Suez sich nur bis zu 16 Meter erhebt, hat doch hier nur ganz kurze Zeit, im älteren Ouartär, eine Verbindung beider Meere bestanden . . . Eine Naturgrenze zwischen beiden Ländern (Ägypten und Syrien) bildet der Isthmus nicht. Durch die Windverhältnisse wird die Bedeutung des Roten Meeres für die Segelschiffahrt sehr herabgesetzt. Infolgedessen hat der Verkehr von Ostafrika und Südarabien nach dem Mittelmeer, für den das Rote Meer die gegebene Straße zu sein scheint, meist vorgezogen, in Oberägypten zu Lande den Nil aufzusuchen und diesem stromab zu folgen, während der indische Ver¬ kehr meist östlichere Wege aufsuchte. So hat der Isthmus von Suez keine hervorragende Rolle in dem Verkehr vom Mittelmeer zum Indischen Ozean gespielt, eine größere als Landstraße zwischen Ägypten und Vorderasien. Die Umsegelung Afrikas durch Vasco de Gama (1497/98) bedeutete also nicht nur die Vermeidung des kurzen Landweges über den Isthmus, sondern eines langen Landtransportes der indischen Waren durch Vorderasien oder die oberägyptische Wüste. Das wurde völlig anders durch die Dampfschiffahrt, der das Rote Meer kein Hindernis mehr bot; der sich nun hier schnell entwickelnde große Verkehr führte zum Bau des Suezkanals, und seitdem ist die Rote-Meer-Linie eine der hervorragendsten Straßen des Weltverkehrs geworden. . . . Der bei *) In der kürzlich veröffentlichten Verlustliste Ur. 1 der in türkischen Diensten gefallenen Preußischen Offiziere a. D. liest man: Hauptmann a. D....., jetzt kaiserlich Ottomanischer Major, kommandiert zum Stäbe eines Armeekorps, gefallen auf der Sinaihalbinsel Februar 1915.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/238>, abgerufen am 24.08.2024.