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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Weltkrieg und Volkszahl

und zwar, obwohl der ganze Krieg im Auslande geführt wurde und, wie das
Generalstabswerk sagt. Seuchen nicht ausbrachen, während 1866 Cholera und
Pocken stark hausten und so den Bevölkerungszuwachs um etwa 120000 hemmten.
Die Verluste durch feindliche Waffen (28628) und durch Krankheit usw. (12253)
im deutschen Heere, welche sich 1870/71 nur auf 40881 beliefen (außer 12879
Vermißten), stellen also nur etwa 17 Prozent, nur ein sechsten der durch den
Krieg verursachten Hemmung des Bevölkerungswachstums dar. Noch jetzt zeigt
sich die Minderzahl von Geburten im Jahre 1371 darin, daß in Preußen am
1. Januar 1911 vorhanden waren

im Jahre 1869 Geborene 461724
" " 1870 " 473929
" 1871 " 406036
" 1872 " 316984

Der Jahrgang 1871 weist also gegenüber den Nachbarjahren noch jetzt
eine Minderzahl von fast 73000 bzw. 111000 auf.

Einen Teil des Ausfalls ersetzt allerdings (wenigstens vorübergehend) meist die
Folgezeit, da nach beendetemKriege infolge reicher Arbeitsgelegenheit und dergleichen
die Eheschließungs- und demgemäß auch die Geburtenziffern über die normale
Höhe anzuschwellen pflegen.

Im Kriege von 1870/71 hatten insgesamt 1146355 Mann die französische
Grenze überschritten, während die Höchstzahl der mobilen Truppen im Februar
1871 mit 936915 und der immobilem mit 413872, die höchste Gesamteffektiv,
stärke also mit 1350787 erreicht wurde. Nach Blättermeldungen dürste die
Gesamtstärke des deutschen Heeres jetzt schon vielleicht die vierfache Höhe erreicht
haben und wird bei langer Ausdehnung des Krieges durch Heranziehung von
nicht ausgebildeten Mannschaften vielleicht auf die fünf- oder sechsfache Höhe steigen.
Wenn nun 1870/71 der Gesamtverlust an Toten 40881 und einschließlich der
Vermißten, die ihnen wohl gleich zu rechnen find, etwa 53500 betrug, das
heißt etwa 3 bis 4 Prozent der Gesamtstärke des Heeres, und wenn man ferner
unter Berücksichtigung der längeren Dauer des Krieges und der größeren
Erbitterung, mit der gekämpft wird, einerseits und der verbesserten sanitären Ein¬
richtungen anderseits in diesem Kriege mit dem gleichen Prozentsätze rechnen dürfte,
so würde der.Verlust des Heeres an Toten sich auf 163 000 beziehungsweise 214000
bis 245 000 beziehungsweise320 000 schätzen lassen. Einigermaßen entsprechend dürfte
dann auch der Ausfall in der Geburtenzahl der Jahre 1915 und 1916 in
vier- bis 6facher Höhe zu erwarten sein (je nach der Dauer des Krieges), nicht
ganz so groß, weil diesmal sehr viel sehr jugendliche Kriegsfreiwillige und auch
mehr ältere Leute zur Fahne herangezogen sind, auch die Geburtenziffer auf
etwa drei Viertel derjenigen zur Zeit des deutsch-französischen Krieges gesunken
ist. Aber anderseits ist auch die Säuglingssterblichkeit gesunken. Wenn der
Weltkrieg entsprechend den riesenhaften Zahlen der Mitkämpfer auch nur den
vierfachen Verlust an Menschenleben und an Geburtenausfall brächte, so würde


Grenzboten II 191S 14
Weltkrieg und Volkszahl

und zwar, obwohl der ganze Krieg im Auslande geführt wurde und, wie das
Generalstabswerk sagt. Seuchen nicht ausbrachen, während 1866 Cholera und
Pocken stark hausten und so den Bevölkerungszuwachs um etwa 120000 hemmten.
Die Verluste durch feindliche Waffen (28628) und durch Krankheit usw. (12253)
im deutschen Heere, welche sich 1870/71 nur auf 40881 beliefen (außer 12879
Vermißten), stellen also nur etwa 17 Prozent, nur ein sechsten der durch den
Krieg verursachten Hemmung des Bevölkerungswachstums dar. Noch jetzt zeigt
sich die Minderzahl von Geburten im Jahre 1371 darin, daß in Preußen am
1. Januar 1911 vorhanden waren

im Jahre 1869 Geborene 461724
„ „ 1870 „ 473929
„ 1871 „ 406036
„ 1872 „ 316984

Der Jahrgang 1871 weist also gegenüber den Nachbarjahren noch jetzt
eine Minderzahl von fast 73000 bzw. 111000 auf.

Einen Teil des Ausfalls ersetzt allerdings (wenigstens vorübergehend) meist die
Folgezeit, da nach beendetemKriege infolge reicher Arbeitsgelegenheit und dergleichen
die Eheschließungs- und demgemäß auch die Geburtenziffern über die normale
Höhe anzuschwellen pflegen.

Im Kriege von 1870/71 hatten insgesamt 1146355 Mann die französische
Grenze überschritten, während die Höchstzahl der mobilen Truppen im Februar
1871 mit 936915 und der immobilem mit 413872, die höchste Gesamteffektiv,
stärke also mit 1350787 erreicht wurde. Nach Blättermeldungen dürste die
Gesamtstärke des deutschen Heeres jetzt schon vielleicht die vierfache Höhe erreicht
haben und wird bei langer Ausdehnung des Krieges durch Heranziehung von
nicht ausgebildeten Mannschaften vielleicht auf die fünf- oder sechsfache Höhe steigen.
Wenn nun 1870/71 der Gesamtverlust an Toten 40881 und einschließlich der
Vermißten, die ihnen wohl gleich zu rechnen find, etwa 53500 betrug, das
heißt etwa 3 bis 4 Prozent der Gesamtstärke des Heeres, und wenn man ferner
unter Berücksichtigung der längeren Dauer des Krieges und der größeren
Erbitterung, mit der gekämpft wird, einerseits und der verbesserten sanitären Ein¬
richtungen anderseits in diesem Kriege mit dem gleichen Prozentsätze rechnen dürfte,
so würde der.Verlust des Heeres an Toten sich auf 163 000 beziehungsweise 214000
bis 245 000 beziehungsweise320 000 schätzen lassen. Einigermaßen entsprechend dürfte
dann auch der Ausfall in der Geburtenzahl der Jahre 1915 und 1916 in
vier- bis 6facher Höhe zu erwarten sein (je nach der Dauer des Krieges), nicht
ganz so groß, weil diesmal sehr viel sehr jugendliche Kriegsfreiwillige und auch
mehr ältere Leute zur Fahne herangezogen sind, auch die Geburtenziffer auf
etwa drei Viertel derjenigen zur Zeit des deutsch-französischen Krieges gesunken
ist. Aber anderseits ist auch die Säuglingssterblichkeit gesunken. Wenn der
Weltkrieg entsprechend den riesenhaften Zahlen der Mitkämpfer auch nur den
vierfachen Verlust an Menschenleben und an Geburtenausfall brächte, so würde


Grenzboten II 191S 14
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[0221] Weltkrieg und Volkszahl und zwar, obwohl der ganze Krieg im Auslande geführt wurde und, wie das Generalstabswerk sagt. Seuchen nicht ausbrachen, während 1866 Cholera und Pocken stark hausten und so den Bevölkerungszuwachs um etwa 120000 hemmten. Die Verluste durch feindliche Waffen (28628) und durch Krankheit usw. (12253) im deutschen Heere, welche sich 1870/71 nur auf 40881 beliefen (außer 12879 Vermißten), stellen also nur etwa 17 Prozent, nur ein sechsten der durch den Krieg verursachten Hemmung des Bevölkerungswachstums dar. Noch jetzt zeigt sich die Minderzahl von Geburten im Jahre 1371 darin, daß in Preußen am 1. Januar 1911 vorhanden waren im Jahre 1869 Geborene 461724 „ „ 1870 „ 473929 „ 1871 „ 406036 „ 1872 „ 316984 Der Jahrgang 1871 weist also gegenüber den Nachbarjahren noch jetzt eine Minderzahl von fast 73000 bzw. 111000 auf. Einen Teil des Ausfalls ersetzt allerdings (wenigstens vorübergehend) meist die Folgezeit, da nach beendetemKriege infolge reicher Arbeitsgelegenheit und dergleichen die Eheschließungs- und demgemäß auch die Geburtenziffern über die normale Höhe anzuschwellen pflegen. Im Kriege von 1870/71 hatten insgesamt 1146355 Mann die französische Grenze überschritten, während die Höchstzahl der mobilen Truppen im Februar 1871 mit 936915 und der immobilem mit 413872, die höchste Gesamteffektiv, stärke also mit 1350787 erreicht wurde. Nach Blättermeldungen dürste die Gesamtstärke des deutschen Heeres jetzt schon vielleicht die vierfache Höhe erreicht haben und wird bei langer Ausdehnung des Krieges durch Heranziehung von nicht ausgebildeten Mannschaften vielleicht auf die fünf- oder sechsfache Höhe steigen. Wenn nun 1870/71 der Gesamtverlust an Toten 40881 und einschließlich der Vermißten, die ihnen wohl gleich zu rechnen find, etwa 53500 betrug, das heißt etwa 3 bis 4 Prozent der Gesamtstärke des Heeres, und wenn man ferner unter Berücksichtigung der längeren Dauer des Krieges und der größeren Erbitterung, mit der gekämpft wird, einerseits und der verbesserten sanitären Ein¬ richtungen anderseits in diesem Kriege mit dem gleichen Prozentsätze rechnen dürfte, so würde der.Verlust des Heeres an Toten sich auf 163 000 beziehungsweise 214000 bis 245 000 beziehungsweise320 000 schätzen lassen. Einigermaßen entsprechend dürfte dann auch der Ausfall in der Geburtenzahl der Jahre 1915 und 1916 in vier- bis 6facher Höhe zu erwarten sein (je nach der Dauer des Krieges), nicht ganz so groß, weil diesmal sehr viel sehr jugendliche Kriegsfreiwillige und auch mehr ältere Leute zur Fahne herangezogen sind, auch die Geburtenziffer auf etwa drei Viertel derjenigen zur Zeit des deutsch-französischen Krieges gesunken ist. Aber anderseits ist auch die Säuglingssterblichkeit gesunken. Wenn der Weltkrieg entsprechend den riesenhaften Zahlen der Mitkämpfer auch nur den vierfachen Verlust an Menschenleben und an Geburtenausfall brächte, so würde Grenzboten II 191S 14

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/221>, abgerufen am 22.07.2024.