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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Das Nationalitätsxrinzip und die natürlichen Grenzen des Staats

heute schon vielfach den Zusammenschluß von Völkern über die enge Grenze der
Nationalität hinaus, wenn anders der Staatszweck des Schutzes gegen äußere
Übergriffe mächtiger Gegner erfüllt werden soll. Was Bündnisse und völker¬
rechtliche Abmachungen bedeuten können, daß sie häufig nicht das Papier wert
find, auf dem sie geschrieben stehen, hat uns die Gegenwart gelehrt. Dagegen
kann nur staatliche Vereinigung helfen. Hier sind natürliche Grenzen gesetzt
in der Macht der Interessen, die geeignet sind, nationale Verschiedenheit zu
überbrücken und dauernd zusammenzuschmieden, und in dem Einfluß, den
innerer Gehalt, Wert und Werbefähigkeit der bedrohten Kulturgüter vereinigend
auszuüben vermögen. Selbstverständlich dürfen sich diese Kräfte nicht in
geistloser Ausrottungsarbeit von nationalen, sprachlichen und geschichtlichen
Überlieferungen erschöpfen, sondern es gilt solche zu erhalten, soweit sie ihrerseits
Kulturwerte darstellen und nur den Willen ihrer Angehörigen -- eben durch
Schutz und Pflege gemeinsamer Ziele -- zu gewinnen und zu sesseln. Das
sind große Aufgaben für das Staatsrecht und für politische Fähigkeiten und Takt.

Aber es mögen eurae posteriori sein. Was das Nationalitätsprinzip
anbelangt, so können wir heute sagen, daß es keine Allgemeingültigkeit bean¬
spruchen kann, daß es eine Theorie ist, die politischen Machtgelüsten eine
wissenschaftliche Form verleihen soll. Was von ihm zu halten ist, hat Meinecke
in dem Satz zusammengefaßt: "Das geschichtliche Leben ist viel zu reich, um
in die monotone Formel irredentischen Nationalismus gepreßt werden zu
können."




Das Nationalitätsxrinzip und die natürlichen Grenzen des Staats

heute schon vielfach den Zusammenschluß von Völkern über die enge Grenze der
Nationalität hinaus, wenn anders der Staatszweck des Schutzes gegen äußere
Übergriffe mächtiger Gegner erfüllt werden soll. Was Bündnisse und völker¬
rechtliche Abmachungen bedeuten können, daß sie häufig nicht das Papier wert
find, auf dem sie geschrieben stehen, hat uns die Gegenwart gelehrt. Dagegen
kann nur staatliche Vereinigung helfen. Hier sind natürliche Grenzen gesetzt
in der Macht der Interessen, die geeignet sind, nationale Verschiedenheit zu
überbrücken und dauernd zusammenzuschmieden, und in dem Einfluß, den
innerer Gehalt, Wert und Werbefähigkeit der bedrohten Kulturgüter vereinigend
auszuüben vermögen. Selbstverständlich dürfen sich diese Kräfte nicht in
geistloser Ausrottungsarbeit von nationalen, sprachlichen und geschichtlichen
Überlieferungen erschöpfen, sondern es gilt solche zu erhalten, soweit sie ihrerseits
Kulturwerte darstellen und nur den Willen ihrer Angehörigen — eben durch
Schutz und Pflege gemeinsamer Ziele — zu gewinnen und zu sesseln. Das
sind große Aufgaben für das Staatsrecht und für politische Fähigkeiten und Takt.

Aber es mögen eurae posteriori sein. Was das Nationalitätsprinzip
anbelangt, so können wir heute sagen, daß es keine Allgemeingültigkeit bean¬
spruchen kann, daß es eine Theorie ist, die politischen Machtgelüsten eine
wissenschaftliche Form verleihen soll. Was von ihm zu halten ist, hat Meinecke
in dem Satz zusammengefaßt: „Das geschichtliche Leben ist viel zu reich, um
in die monotone Formel irredentischen Nationalismus gepreßt werden zu
können."




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[0150] Das Nationalitätsxrinzip und die natürlichen Grenzen des Staats heute schon vielfach den Zusammenschluß von Völkern über die enge Grenze der Nationalität hinaus, wenn anders der Staatszweck des Schutzes gegen äußere Übergriffe mächtiger Gegner erfüllt werden soll. Was Bündnisse und völker¬ rechtliche Abmachungen bedeuten können, daß sie häufig nicht das Papier wert find, auf dem sie geschrieben stehen, hat uns die Gegenwart gelehrt. Dagegen kann nur staatliche Vereinigung helfen. Hier sind natürliche Grenzen gesetzt in der Macht der Interessen, die geeignet sind, nationale Verschiedenheit zu überbrücken und dauernd zusammenzuschmieden, und in dem Einfluß, den innerer Gehalt, Wert und Werbefähigkeit der bedrohten Kulturgüter vereinigend auszuüben vermögen. Selbstverständlich dürfen sich diese Kräfte nicht in geistloser Ausrottungsarbeit von nationalen, sprachlichen und geschichtlichen Überlieferungen erschöpfen, sondern es gilt solche zu erhalten, soweit sie ihrerseits Kulturwerte darstellen und nur den Willen ihrer Angehörigen — eben durch Schutz und Pflege gemeinsamer Ziele — zu gewinnen und zu sesseln. Das sind große Aufgaben für das Staatsrecht und für politische Fähigkeiten und Takt. Aber es mögen eurae posteriori sein. Was das Nationalitätsprinzip anbelangt, so können wir heute sagen, daß es keine Allgemeingültigkeit bean¬ spruchen kann, daß es eine Theorie ist, die politischen Machtgelüsten eine wissenschaftliche Form verleihen soll. Was von ihm zu halten ist, hat Meinecke in dem Satz zusammengefaßt: „Das geschichtliche Leben ist viel zu reich, um in die monotone Formel irredentischen Nationalismus gepreßt werden zu können."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/150>, abgerufen am 22.07.2024.