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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Schweden und der Weltkrieg

Lösung der Wehrfrage baten. Diese Handlungsweise ist für den, der die
schwedische Geschichte kennt, nicht so wunderlich: seit Jahrhunderten bestand ver¬
fassungsgemäß neben den drei üblichen Ständen der meisten europäischen Großstaaten
in Schweden der vierte Stand, der schon im Mittelalter Sitz und Stimme im
Reichstag hatte, der Bauernstand. -- Beim Empfang der Bauerndeputation
ergriff der König selbst Partei in der Wehrfrage, indem er ihre baldige Lösung
versprach. Dieser Eingriff des konstitutionellen Königs erregte bei den Sozial¬
demokraten und einem Teil der Liberalen einen großen Sturm der Entrüstung.
Staaff mußte sein Amt niederlegen. Der wichtigste Punkt des Wehrprogramms
des neu einberufenen Ministerums, das unter dem Vorsitz von Hammarskjöld
gebildet wurde, war die Verlängerung der Übungszeit für alle Waffengattungen
auf ein Jahr -- bis jetzt hatte nur die Kavallerie eine so lange Dienstzeit --
und der Bau größerer Panzerschiffe. Die neue zweite Kammer, die nach
Auflösung der alten im April gewählt wurde, brachte eine starke Verminderung
des Freisinns (von 101 auf 71 Mandate) -- er hatte überall an Vertrauen
verloren -- und eine bedeutende Zunahme der Sitze der Rechten (von 65 auf
86) und der Sozialdemokratie (von 64 auf 73). An die Sozialdemokratie
hatten sich alle diejenigen angeschlossen, denen die bestehende Dienstzeit noch zu
hoch war und die für eine Verminderung des Militärbudgets eintraten. Das
Budget für Heer und Marine, das 1912 bei einem Gesamtetat von 263 Millionen
Kronen 88 Millionen betragen hatte, sollte nach ihren Wünschen in Zukunft
70 Millionen nicht übersteigen. Kaum jemals ist wohl in Schweden der Wahl¬
kampf von allen Seiten mit solcher Erbitterung und Leidenschaft ausgefochten
worden.

Nach Ausbruch des Krieges setzte selbstverständlich die Agitation für eine
erhöhte Dienstzeit im verstärkten Maße ein, und im September wurde nun auch
endlich die Übungszeit für die Infanterie im ersten Jahre auf 280 Tage herauf¬
gesetzt -- noch weitere Übungen folgen -- und auch die Forderungen für den
Landsturm wurden erhöht. Noch 1914 wurde auch die Verstärkung der Flotte
vom Reichstag beschlossen. In einer fünfjährigen Periode, von 1915 bis 1919,
sollen neben der "Sverige" zwei weitere Linienschiffe von demselben Typus und
derselben Bestückung gebaut werden, ferner vier Torpedobootzerstörer verbesserten
Typs mit 460 Tonnen Wasserverdrängung, 30 Knoten Schnelligkeit, vier
Schnellfeuerkanonen von 7,5 Zentimeter und sechs Ausstoßrohren von 45-Zenti-
meter-Torpedos und endlich eine Anzahl Unterseeboote.

Immer wieder hatte die Rechte zur Agitation für die Erweiterung des
Verteidigungswesens die russische Gefahr für Schweden hervorgehoben. Wie
bekannt, haben sich besonders Sven Hedin und Pontus Fahlbeck in mehreren Flug¬
schriften für eine Vermehrung der Flotte eingesetzt. Auch die Russifizierung Finnlands
soll nach der Meinung der Konservativen für die Zukunft Schwedens nicht unterschätzt
werden, hat doch seit der Ära Bobrikoff Schweden Finnland als Pufferstaat
verloren.


Schweden und der Weltkrieg

Lösung der Wehrfrage baten. Diese Handlungsweise ist für den, der die
schwedische Geschichte kennt, nicht so wunderlich: seit Jahrhunderten bestand ver¬
fassungsgemäß neben den drei üblichen Ständen der meisten europäischen Großstaaten
in Schweden der vierte Stand, der schon im Mittelalter Sitz und Stimme im
Reichstag hatte, der Bauernstand. — Beim Empfang der Bauerndeputation
ergriff der König selbst Partei in der Wehrfrage, indem er ihre baldige Lösung
versprach. Dieser Eingriff des konstitutionellen Königs erregte bei den Sozial¬
demokraten und einem Teil der Liberalen einen großen Sturm der Entrüstung.
Staaff mußte sein Amt niederlegen. Der wichtigste Punkt des Wehrprogramms
des neu einberufenen Ministerums, das unter dem Vorsitz von Hammarskjöld
gebildet wurde, war die Verlängerung der Übungszeit für alle Waffengattungen
auf ein Jahr — bis jetzt hatte nur die Kavallerie eine so lange Dienstzeit —
und der Bau größerer Panzerschiffe. Die neue zweite Kammer, die nach
Auflösung der alten im April gewählt wurde, brachte eine starke Verminderung
des Freisinns (von 101 auf 71 Mandate) — er hatte überall an Vertrauen
verloren — und eine bedeutende Zunahme der Sitze der Rechten (von 65 auf
86) und der Sozialdemokratie (von 64 auf 73). An die Sozialdemokratie
hatten sich alle diejenigen angeschlossen, denen die bestehende Dienstzeit noch zu
hoch war und die für eine Verminderung des Militärbudgets eintraten. Das
Budget für Heer und Marine, das 1912 bei einem Gesamtetat von 263 Millionen
Kronen 88 Millionen betragen hatte, sollte nach ihren Wünschen in Zukunft
70 Millionen nicht übersteigen. Kaum jemals ist wohl in Schweden der Wahl¬
kampf von allen Seiten mit solcher Erbitterung und Leidenschaft ausgefochten
worden.

Nach Ausbruch des Krieges setzte selbstverständlich die Agitation für eine
erhöhte Dienstzeit im verstärkten Maße ein, und im September wurde nun auch
endlich die Übungszeit für die Infanterie im ersten Jahre auf 280 Tage herauf¬
gesetzt — noch weitere Übungen folgen — und auch die Forderungen für den
Landsturm wurden erhöht. Noch 1914 wurde auch die Verstärkung der Flotte
vom Reichstag beschlossen. In einer fünfjährigen Periode, von 1915 bis 1919,
sollen neben der „Sverige" zwei weitere Linienschiffe von demselben Typus und
derselben Bestückung gebaut werden, ferner vier Torpedobootzerstörer verbesserten
Typs mit 460 Tonnen Wasserverdrängung, 30 Knoten Schnelligkeit, vier
Schnellfeuerkanonen von 7,5 Zentimeter und sechs Ausstoßrohren von 45-Zenti-
meter-Torpedos und endlich eine Anzahl Unterseeboote.

Immer wieder hatte die Rechte zur Agitation für die Erweiterung des
Verteidigungswesens die russische Gefahr für Schweden hervorgehoben. Wie
bekannt, haben sich besonders Sven Hedin und Pontus Fahlbeck in mehreren Flug¬
schriften für eine Vermehrung der Flotte eingesetzt. Auch die Russifizierung Finnlands
soll nach der Meinung der Konservativen für die Zukunft Schwedens nicht unterschätzt
werden, hat doch seit der Ära Bobrikoff Schweden Finnland als Pufferstaat
verloren.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/112>, abgerufen am 22.07.2024.