Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.Geistesstörungen in Ariegszeiten zelligem besonders in den Kreisen der Nächstbetroffenen und bei gering wider¬ Geistesstörungen in Ariegszeiten zelligem besonders in den Kreisen der Nächstbetroffenen und bei gering wider¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0417" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/323514"/> <fw type="header" place="top"> Geistesstörungen in Ariegszeiten</fw><lb/> <p xml:id="ID_1434" prev="#ID_1433" next="#ID_1435"> zelligem besonders in den Kreisen der Nächstbetroffenen und bei gering wider¬<lb/> standsfähigen Menschen beiderlei Geschlechts Zufälle und Zusammenbruche, meist<lb/> wohl auf hysterischer und neurasthenischer Basis, Ohnmachten mit oder ohne<lb/> Kmmpfzuständen, hysterisches Erbrechen, Schlaflosigkeit, Angstzustände und<lb/> Angstäußerungen in den verschiedensten Formen. Besonders häufig und<lb/> auch ganz besonders gefährlich sind die unter dem Einfluß schwerer Erregungen<lb/> eintretenden seelischen Störungen bei Epileptischen, die sogenannten Dämmer¬<lb/> zustände. Schon in Friedenszeiten erfordern Personen, die derartigen Zu¬<lb/> ständen ausgesetzt sind, eine besondere Aufmerksamkeit, um sie selbst und die<lb/> Allgemeinheit vor Schaden zu bewahren, ist es doch als erwiesen anzusehen,<lb/> daß eine nicht geringe Anzahl von Verbrechen im epileptischen Dämmerzustande<lb/> geschieht. Die Militärärzte widmen deshalb allen Soldaten, die derartiger<lb/> Anlage verdächtig sind, ganz besondere Sorgfalt, weil diese im Hinblick auf<lb/> die dadurch bedingte Neigung zu gewalttätiger und unberechenbaren Handlungen<lb/> ihrem Truppenteil im Ernstfalle schwere Gefahren bringen können. Eine andere<lb/> Gefahrquelle für den einzelnen Mann, als auch für die Allgemeinheit ist chronischer<lb/> Alkoholismus. Bei den aktiven Mannschaften und den jungen Truppen selten,<lb/> findet sich derselbe bei Landwehrleuten und älteren Landstürmern gelegentlich,<lb/> und äußert sich wohl am häufigsten in der leider nicht allzu unbekannten Form<lb/> des Alkoholdeliriums. Während die durch strenge Verordnungen und Aufsicht<lb/> erzwungene Abstinenz von alkoholischen Getränken bei noch jungen Soldaten<lb/> fast ausnahmslos die erwünschte, vorteilhafte Wirkung auf Haltung und<lb/> Leistungsfähigkeit hat, auch wenn der Mann bis dahin einem guten Trunk<lb/> nicht abgeneigt gewesen, bewirkt dieselbe bei älteren, alkoholgewohnten Leuten<lb/> leider oftmals genau das Gegenteil, völligen Zusammenbruch und die beschleunigte<lb/> Auslösung des gefurchtsten Deliriums. In noch ganz anderem Umfange würden<lb/> wir diese ohne weiteres den Seelenstörungen zuzurechnenden üblen Folge¬<lb/> erscheinungen chronischen Alkoholmißbrauchs unter der Zivilbevölkerung im Lande<lb/> zu sehen bekommen, wenn nicht das bekannte, allgemeine und glücklicherweise<lb/> auch meistens durchgeführte Schnapsverbot gewissen Teilen der Bevölkerung<lb/> diesen „Tröster" etwas aus erreichbarer Nähe gerückt hätte. — Wie bereits<lb/> erwähnt, sind es zunächst Menschen mit hysterischer und neurasthenischer Anlage,<lb/> bei denen unter dem Einfluß der ungewöhnlichen und aufregenden Zeiteindrücke<lb/> schwerere seelische Störungen in die Erscheinung treten, entsprechend der<lb/> außerordentlich großen Verbreitung der genannten krankhaft nervösen Anlagen,<lb/> aber daneben kommen dann alle anderen, eine gewisse Schwäche und Wider-<lb/> standslostgkeit auf seelisch-nervösem Gebiete bedingenden krankhaften Anlagen,<lb/> die in gewöhnlichen, ruhigen Zeiten vielleicht zu keinen bemerkbaren oder er¬<lb/> heblichen Störungen des seelischen Gleichgewichtes geführt hätten, als Ursachen<lb/> in Betracht. Es ist im Rahmen dieser Betrachtung natürlich nicht möglich,<lb/> diese „Anlagen" im einzelnen aufzuführen. Es genüge die Feststellung, daß<lb/> wohl ausnahmslos derartige Krankheitsanlagen auf seelisch-nervösem Gebiete</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0417]
Geistesstörungen in Ariegszeiten
zelligem besonders in den Kreisen der Nächstbetroffenen und bei gering wider¬
standsfähigen Menschen beiderlei Geschlechts Zufälle und Zusammenbruche, meist
wohl auf hysterischer und neurasthenischer Basis, Ohnmachten mit oder ohne
Kmmpfzuständen, hysterisches Erbrechen, Schlaflosigkeit, Angstzustände und
Angstäußerungen in den verschiedensten Formen. Besonders häufig und
auch ganz besonders gefährlich sind die unter dem Einfluß schwerer Erregungen
eintretenden seelischen Störungen bei Epileptischen, die sogenannten Dämmer¬
zustände. Schon in Friedenszeiten erfordern Personen, die derartigen Zu¬
ständen ausgesetzt sind, eine besondere Aufmerksamkeit, um sie selbst und die
Allgemeinheit vor Schaden zu bewahren, ist es doch als erwiesen anzusehen,
daß eine nicht geringe Anzahl von Verbrechen im epileptischen Dämmerzustande
geschieht. Die Militärärzte widmen deshalb allen Soldaten, die derartiger
Anlage verdächtig sind, ganz besondere Sorgfalt, weil diese im Hinblick auf
die dadurch bedingte Neigung zu gewalttätiger und unberechenbaren Handlungen
ihrem Truppenteil im Ernstfalle schwere Gefahren bringen können. Eine andere
Gefahrquelle für den einzelnen Mann, als auch für die Allgemeinheit ist chronischer
Alkoholismus. Bei den aktiven Mannschaften und den jungen Truppen selten,
findet sich derselbe bei Landwehrleuten und älteren Landstürmern gelegentlich,
und äußert sich wohl am häufigsten in der leider nicht allzu unbekannten Form
des Alkoholdeliriums. Während die durch strenge Verordnungen und Aufsicht
erzwungene Abstinenz von alkoholischen Getränken bei noch jungen Soldaten
fast ausnahmslos die erwünschte, vorteilhafte Wirkung auf Haltung und
Leistungsfähigkeit hat, auch wenn der Mann bis dahin einem guten Trunk
nicht abgeneigt gewesen, bewirkt dieselbe bei älteren, alkoholgewohnten Leuten
leider oftmals genau das Gegenteil, völligen Zusammenbruch und die beschleunigte
Auslösung des gefurchtsten Deliriums. In noch ganz anderem Umfange würden
wir diese ohne weiteres den Seelenstörungen zuzurechnenden üblen Folge¬
erscheinungen chronischen Alkoholmißbrauchs unter der Zivilbevölkerung im Lande
zu sehen bekommen, wenn nicht das bekannte, allgemeine und glücklicherweise
auch meistens durchgeführte Schnapsverbot gewissen Teilen der Bevölkerung
diesen „Tröster" etwas aus erreichbarer Nähe gerückt hätte. — Wie bereits
erwähnt, sind es zunächst Menschen mit hysterischer und neurasthenischer Anlage,
bei denen unter dem Einfluß der ungewöhnlichen und aufregenden Zeiteindrücke
schwerere seelische Störungen in die Erscheinung treten, entsprechend der
außerordentlich großen Verbreitung der genannten krankhaft nervösen Anlagen,
aber daneben kommen dann alle anderen, eine gewisse Schwäche und Wider-
standslostgkeit auf seelisch-nervösem Gebiete bedingenden krankhaften Anlagen,
die in gewöhnlichen, ruhigen Zeiten vielleicht zu keinen bemerkbaren oder er¬
heblichen Störungen des seelischen Gleichgewichtes geführt hätten, als Ursachen
in Betracht. Es ist im Rahmen dieser Betrachtung natürlich nicht möglich,
diese „Anlagen" im einzelnen aufzuführen. Es genüge die Feststellung, daß
wohl ausnahmslos derartige Krankheitsanlagen auf seelisch-nervösem Gebiete
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