Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.Geistesstörungen in Ariegszeiten Dr. mea. köhmann von le ungeheure Kriegskatastrophe, der wir seit Monaten gegen¬ Zunächst muß betont werden, daß es ein eigentliches Kriegsirresein nicht Geistesstörungen in Ariegszeiten Dr. mea. köhmann von le ungeheure Kriegskatastrophe, der wir seit Monaten gegen¬ Zunächst muß betont werden, daß es ein eigentliches Kriegsirresein nicht <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0416" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/323513"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341901_323097/figures/grenzboten_341901_323097_323513_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Geistesstörungen in Ariegszeiten<lb/><note type="byline"> Dr. mea. köhmann</note> von</head><lb/> <p xml:id="ID_1432"> le ungeheure Kriegskatastrophe, der wir seit Monaten gegen¬<lb/> überstehen, stellt an die Nerven, richtiger gesagt an die Seele<lb/> jedes einzelnen, die ungewöhnlichsten und schwersten Anforderungen.<lb/> Die Fülle der Eindrücke, die mittelbar und unmittelbar täglich<lb/> auf uns einstürmen, nötigt oft auch den geistig ganz Gesunden,<lb/> seine aufgerüttelten und widerstreitenden Empfindungen mit einem gewissen<lb/> Aufwand von Selbstbezwingung niederzuhalten und zu ordnen. In erhöhtem<lb/> Maße muß das von den allen Schrecken und Gefahren dieses beispiellosen<lb/> Krieges unmittelbar preisgegebenen Feldzugsteilnehmern gelten. Das in unserem<lb/> Volke noch vorhandene, gewaltige Kapital gesunder, seelischer Kraft, das dieser<lb/> Krieg der Welt und manchem Skeptiker im eigenen Volke geoffenbart hat.<lb/> bewirkt es, daß die Zahl derer, die daheim und draußen den Stürmen stand¬<lb/> halten, ohne zusammenzubrechen, ja ohne an ihrer Leistungsfähigkeit Einbuße<lb/> zu erleiden, eine sehr große ist. gemessen an den Erfahrungen bei anderen<lb/> Völkern und in früheren Kriegen, zum Beispiel dem russisch-japanischen. Dem<lb/> gegenüber darf aber nicht übersehen werden, daß wir ein altes und weit vor¬<lb/> geschrittenes Kulturvolk sind und unvermeidlich neben den Licht- auch die Schatten¬<lb/> seiten hoch entwickelter Kultur hinzunehmen haben, zu denen nicht in letzter<lb/> Linie eine Anlage mancher Menschen zu seelisch-nervösen Erkrankungen gehören<lb/> dürfte. Diese Anlage oder Disposition findet nun leider in Zeiten wie den<lb/> gegenwärtigen alles, was zu ihrer unheilvollen Entwicklung beitragen kann,<lb/> und deshalb begegnen wir jetzt gelegentlich nervösen und seelischen Störungen,<lb/> die auf Rechnung des Krieges gesetzt werden müssen. Die häufigsten derartigen<lb/> Erkrankungen seien im folgenden einer kurzen Betrachtung unterzogen, wobei<lb/> zwischen den Daheimgebliebenen und den draußen Befindlichen unterschieden<lb/> werden soll, soweit das bei der Natur dieser Dinge angängig ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1433" next="#ID_1434"> Zunächst muß betont werden, daß es ein eigentliches Kriegsirresein nicht<lb/> gibt. Es handelt sich in allen Fällen um längst bekannte Formen nervöser<lb/> und seelischer Störungen, die sich im Kriege nur durch Stärke und Art der<lb/> auslösenden Ursachen abweichend gestalten. Bereits die Tage der Mobilmachung</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0416]
[Abbildung]
Geistesstörungen in Ariegszeiten
Dr. mea. köhmann von
le ungeheure Kriegskatastrophe, der wir seit Monaten gegen¬
überstehen, stellt an die Nerven, richtiger gesagt an die Seele
jedes einzelnen, die ungewöhnlichsten und schwersten Anforderungen.
Die Fülle der Eindrücke, die mittelbar und unmittelbar täglich
auf uns einstürmen, nötigt oft auch den geistig ganz Gesunden,
seine aufgerüttelten und widerstreitenden Empfindungen mit einem gewissen
Aufwand von Selbstbezwingung niederzuhalten und zu ordnen. In erhöhtem
Maße muß das von den allen Schrecken und Gefahren dieses beispiellosen
Krieges unmittelbar preisgegebenen Feldzugsteilnehmern gelten. Das in unserem
Volke noch vorhandene, gewaltige Kapital gesunder, seelischer Kraft, das dieser
Krieg der Welt und manchem Skeptiker im eigenen Volke geoffenbart hat.
bewirkt es, daß die Zahl derer, die daheim und draußen den Stürmen stand¬
halten, ohne zusammenzubrechen, ja ohne an ihrer Leistungsfähigkeit Einbuße
zu erleiden, eine sehr große ist. gemessen an den Erfahrungen bei anderen
Völkern und in früheren Kriegen, zum Beispiel dem russisch-japanischen. Dem
gegenüber darf aber nicht übersehen werden, daß wir ein altes und weit vor¬
geschrittenes Kulturvolk sind und unvermeidlich neben den Licht- auch die Schatten¬
seiten hoch entwickelter Kultur hinzunehmen haben, zu denen nicht in letzter
Linie eine Anlage mancher Menschen zu seelisch-nervösen Erkrankungen gehören
dürfte. Diese Anlage oder Disposition findet nun leider in Zeiten wie den
gegenwärtigen alles, was zu ihrer unheilvollen Entwicklung beitragen kann,
und deshalb begegnen wir jetzt gelegentlich nervösen und seelischen Störungen,
die auf Rechnung des Krieges gesetzt werden müssen. Die häufigsten derartigen
Erkrankungen seien im folgenden einer kurzen Betrachtung unterzogen, wobei
zwischen den Daheimgebliebenen und den draußen Befindlichen unterschieden
werden soll, soweit das bei der Natur dieser Dinge angängig ist.
Zunächst muß betont werden, daß es ein eigentliches Kriegsirresein nicht
gibt. Es handelt sich in allen Fällen um längst bekannte Formen nervöser
und seelischer Störungen, die sich im Kriege nur durch Stärke und Art der
auslösenden Ursachen abweichend gestalten. Bereits die Tage der Mobilmachung
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