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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Kleine Hauskomödien mit Musik

boden und erfüllen mit ihrem Plätschern und Rauschen die Lust, daß niemand
mehr an die dürren Texte denkt. -- Freilich, zuweilen geschieht es auch, daß
die üblen Verse dem Musiker als unerträglicher Ballast in den Armen hängen
und ihn an jeder freien Bewegung hindern. So finden sich denn weite
Strecken, wo jene Quellen versiegten, wo auch die Musik mühsam an Krücken
einherhumpelt.

Eins jedenfalls ist sicher: ein bei einem berufsmäßigen Textfabrikanten
bestellter Operntext hat nur selten den Musiker zu gesteigertem Empfinden und
Ausdrucksvermögen angeregt. Vielmehr hat der Komponist, wofern er ein
wirklicher Tondichter war, trotz der beklemmenden Mangelhaftigkeit des Textes
kraft des in ihm selbst lebenden und zum Ausdruck drängenden Empfindens jene
köstlichen Melodien geschaffen, die zahlreiche (hauptsächlich auf die Musik bedachte)
Hörer zu Hellem Entzücken hinrissen, die aber dennoch, trotz all ihrer Schönheit
und Lebenskraft, wieder verstummen mußten, weil ihnen vor ihren frohen,
strahlenden Augen der Text wie eine unförmige, trübe Schreckbrille saß.

Diese Brille aber, meine ich, läßt sich abnehmen. Macht euch nur mit
den alten Melodien so recht vertraut, summt sie, natürlich ohne ihre entstellenden
Texte, in dichterisch angeregten Stunden vor euch hin, und ihr werdet sehen, wie
bald an dieser, bald an jener Stelle unwillkürlich ein Wort entsteht, dem Gefühls¬
inhalt der Töne selbst entsprossen. Und schließlich ist ein vollständiger Text ge¬
schaffen, und zwar lediglich aus dem Charakter der Melodie heraus. -- Ein paar
Beispiele aus den ersten Heften der Kleinen Hauskomödien mögen dies erläutern.
Leider geht es an diesem Orte nicht an, auch die betreffenden Melodien mit¬
zuteilen. Sonst würde manche Verwunderung über die Verschiedenheit der alten
und neuen Texte durch einen Blick auf die lyrische Grundstimmung der Melodie
rasch beseitigt. (Die bis jetzt vorliegenden Hefte, Text mit Klavierbegleitung
zum Preise von M. 2.-- sind im Verlag Harmonie, Berlin, erschienen.)

Aus dem 1. Heft: Der Wäschetag (Musik von A. Lortzing)

Neuer Text:

Ursprünglicher Text:


[Beginn Spaltensatz]

(Aus der Oper: Ali Pascha. Hier stammt
der Text sogar vom Komponisten selbst!)

[Spaltenumbruch]

^Während die Deklamation beim Original¬
text vielfach eine äußerst gezwungene war,
wächst sie hier frei und natürlich aus der
Melodie hervor.)

[Ende Spaltensatz]
Kleine Hauskomödien mit Musik

boden und erfüllen mit ihrem Plätschern und Rauschen die Lust, daß niemand
mehr an die dürren Texte denkt. — Freilich, zuweilen geschieht es auch, daß
die üblen Verse dem Musiker als unerträglicher Ballast in den Armen hängen
und ihn an jeder freien Bewegung hindern. So finden sich denn weite
Strecken, wo jene Quellen versiegten, wo auch die Musik mühsam an Krücken
einherhumpelt.

Eins jedenfalls ist sicher: ein bei einem berufsmäßigen Textfabrikanten
bestellter Operntext hat nur selten den Musiker zu gesteigertem Empfinden und
Ausdrucksvermögen angeregt. Vielmehr hat der Komponist, wofern er ein
wirklicher Tondichter war, trotz der beklemmenden Mangelhaftigkeit des Textes
kraft des in ihm selbst lebenden und zum Ausdruck drängenden Empfindens jene
köstlichen Melodien geschaffen, die zahlreiche (hauptsächlich auf die Musik bedachte)
Hörer zu Hellem Entzücken hinrissen, die aber dennoch, trotz all ihrer Schönheit
und Lebenskraft, wieder verstummen mußten, weil ihnen vor ihren frohen,
strahlenden Augen der Text wie eine unförmige, trübe Schreckbrille saß.

Diese Brille aber, meine ich, läßt sich abnehmen. Macht euch nur mit
den alten Melodien so recht vertraut, summt sie, natürlich ohne ihre entstellenden
Texte, in dichterisch angeregten Stunden vor euch hin, und ihr werdet sehen, wie
bald an dieser, bald an jener Stelle unwillkürlich ein Wort entsteht, dem Gefühls¬
inhalt der Töne selbst entsprossen. Und schließlich ist ein vollständiger Text ge¬
schaffen, und zwar lediglich aus dem Charakter der Melodie heraus. — Ein paar
Beispiele aus den ersten Heften der Kleinen Hauskomödien mögen dies erläutern.
Leider geht es an diesem Orte nicht an, auch die betreffenden Melodien mit¬
zuteilen. Sonst würde manche Verwunderung über die Verschiedenheit der alten
und neuen Texte durch einen Blick auf die lyrische Grundstimmung der Melodie
rasch beseitigt. (Die bis jetzt vorliegenden Hefte, Text mit Klavierbegleitung
zum Preise von M. 2.— sind im Verlag Harmonie, Berlin, erschienen.)

Aus dem 1. Heft: Der Wäschetag (Musik von A. Lortzing)

Neuer Text:

Ursprünglicher Text:


[Beginn Spaltensatz]

(Aus der Oper: Ali Pascha. Hier stammt
der Text sogar vom Komponisten selbst!)

[Spaltenumbruch]

^Während die Deklamation beim Original¬
text vielfach eine äußerst gezwungene war,
wächst sie hier frei und natürlich aus der
Melodie hervor.)

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[0294] Kleine Hauskomödien mit Musik boden und erfüllen mit ihrem Plätschern und Rauschen die Lust, daß niemand mehr an die dürren Texte denkt. — Freilich, zuweilen geschieht es auch, daß die üblen Verse dem Musiker als unerträglicher Ballast in den Armen hängen und ihn an jeder freien Bewegung hindern. So finden sich denn weite Strecken, wo jene Quellen versiegten, wo auch die Musik mühsam an Krücken einherhumpelt. Eins jedenfalls ist sicher: ein bei einem berufsmäßigen Textfabrikanten bestellter Operntext hat nur selten den Musiker zu gesteigertem Empfinden und Ausdrucksvermögen angeregt. Vielmehr hat der Komponist, wofern er ein wirklicher Tondichter war, trotz der beklemmenden Mangelhaftigkeit des Textes kraft des in ihm selbst lebenden und zum Ausdruck drängenden Empfindens jene köstlichen Melodien geschaffen, die zahlreiche (hauptsächlich auf die Musik bedachte) Hörer zu Hellem Entzücken hinrissen, die aber dennoch, trotz all ihrer Schönheit und Lebenskraft, wieder verstummen mußten, weil ihnen vor ihren frohen, strahlenden Augen der Text wie eine unförmige, trübe Schreckbrille saß. Diese Brille aber, meine ich, läßt sich abnehmen. Macht euch nur mit den alten Melodien so recht vertraut, summt sie, natürlich ohne ihre entstellenden Texte, in dichterisch angeregten Stunden vor euch hin, und ihr werdet sehen, wie bald an dieser, bald an jener Stelle unwillkürlich ein Wort entsteht, dem Gefühls¬ inhalt der Töne selbst entsprossen. Und schließlich ist ein vollständiger Text ge¬ schaffen, und zwar lediglich aus dem Charakter der Melodie heraus. — Ein paar Beispiele aus den ersten Heften der Kleinen Hauskomödien mögen dies erläutern. Leider geht es an diesem Orte nicht an, auch die betreffenden Melodien mit¬ zuteilen. Sonst würde manche Verwunderung über die Verschiedenheit der alten und neuen Texte durch einen Blick auf die lyrische Grundstimmung der Melodie rasch beseitigt. (Die bis jetzt vorliegenden Hefte, Text mit Klavierbegleitung zum Preise von M. 2.— sind im Verlag Harmonie, Berlin, erschienen.) Aus dem 1. Heft: Der Wäschetag (Musik von A. Lortzing) Neuer Text: Ursprünglicher Text: (Aus der Oper: Ali Pascha. Hier stammt der Text sogar vom Komponisten selbst!) ^Während die Deklamation beim Original¬ text vielfach eine äußerst gezwungene war, wächst sie hier frei und natürlich aus der Melodie hervor.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/294>, abgerufen am 20.10.2024.