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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Die Einigung Europas durch den Geist

Es scheint so, als ob der Idealismus, der von einer Einigung oder
wenigstens einer Verständigung der Völker durch den Geist, durch die Kultur
träumte, aufs schwerste Schtffbruch gelitten hätte, und als ob uns weiter nichts
übrig bliebe als ein tiefer Pessimismus. Sollen wir uns wirklich in Zukunft zu
dein Glauben bekehren, daß nicht der Geist, nicht die Kultur die Welt regiere,
sondern zwei andere Mächte allein: das Gold und das Schwert? Das ist die
bange Frage, vor der die gesamten geistigen Mächte in der Welt heute stehen.

Wer die Antwort aus diese Frage in grämlichen Betrachten der Vergangen¬
heit allein sucht, könnte leicht dazu gelangen, sie zu bejahen. Aber für ein so
kräftiges und so jugendfrisches Volk wie das unsere würde ein solcher rückwärts¬
schauender Pessimismus sich schlecht schicken. Die Zeit, der wir nach diesem
Kriege entgegengehen werden, wird uns so große und so schwere, aber auch so
schöne Aufgaben bringen, daß wir unsere Pflicht versäumen würden, wenn wir
uns jenem Pessimismus hingeben würden. Es wird vielmehr die Aufgabe des
deutschen, des idealistischen Geistes sein müssen, das. was uns das Schwert erobert
hat. mit deutschem Geiste zu durchdringen und dadurch eigentlich erst zu erwerben,
und das, was Schwert und feindliches Gold bei fremden Völkern leider Gottes
vielfach zerstört haben, den Glauben an deutsche Geistigkeit, an deutsche Kultur
und deutschen Kulturwillen, wieder aufzubauen.

Auch in diesem Sinne kann man jene drei Verse verstehen, die in dieser
Zeit schon öfter wieder angeführt worden sind:

Goethes Erbe ist heute noch für uns nicht tot. Es wird gerade nach
diesem Kriege für uns zum Heile sein, wenn wir es hervorholen und es neu
beleben, es aufs neue zur Richtschnur unseres geistigen Strebens machen.




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Die Einigung Europas durch den Geist

Es scheint so, als ob der Idealismus, der von einer Einigung oder
wenigstens einer Verständigung der Völker durch den Geist, durch die Kultur
träumte, aufs schwerste Schtffbruch gelitten hätte, und als ob uns weiter nichts
übrig bliebe als ein tiefer Pessimismus. Sollen wir uns wirklich in Zukunft zu
dein Glauben bekehren, daß nicht der Geist, nicht die Kultur die Welt regiere,
sondern zwei andere Mächte allein: das Gold und das Schwert? Das ist die
bange Frage, vor der die gesamten geistigen Mächte in der Welt heute stehen.

Wer die Antwort aus diese Frage in grämlichen Betrachten der Vergangen¬
heit allein sucht, könnte leicht dazu gelangen, sie zu bejahen. Aber für ein so
kräftiges und so jugendfrisches Volk wie das unsere würde ein solcher rückwärts¬
schauender Pessimismus sich schlecht schicken. Die Zeit, der wir nach diesem
Kriege entgegengehen werden, wird uns so große und so schwere, aber auch so
schöne Aufgaben bringen, daß wir unsere Pflicht versäumen würden, wenn wir
uns jenem Pessimismus hingeben würden. Es wird vielmehr die Aufgabe des
deutschen, des idealistischen Geistes sein müssen, das. was uns das Schwert erobert
hat. mit deutschem Geiste zu durchdringen und dadurch eigentlich erst zu erwerben,
und das, was Schwert und feindliches Gold bei fremden Völkern leider Gottes
vielfach zerstört haben, den Glauben an deutsche Geistigkeit, an deutsche Kultur
und deutschen Kulturwillen, wieder aufzubauen.

Auch in diesem Sinne kann man jene drei Verse verstehen, die in dieser
Zeit schon öfter wieder angeführt worden sind:

Goethes Erbe ist heute noch für uns nicht tot. Es wird gerade nach
diesem Kriege für uns zum Heile sein, wenn wir es hervorholen und es neu
beleben, es aufs neue zur Richtschnur unseres geistigen Strebens machen.




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[0095] Die Einigung Europas durch den Geist Es scheint so, als ob der Idealismus, der von einer Einigung oder wenigstens einer Verständigung der Völker durch den Geist, durch die Kultur träumte, aufs schwerste Schtffbruch gelitten hätte, und als ob uns weiter nichts übrig bliebe als ein tiefer Pessimismus. Sollen wir uns wirklich in Zukunft zu dein Glauben bekehren, daß nicht der Geist, nicht die Kultur die Welt regiere, sondern zwei andere Mächte allein: das Gold und das Schwert? Das ist die bange Frage, vor der die gesamten geistigen Mächte in der Welt heute stehen. Wer die Antwort aus diese Frage in grämlichen Betrachten der Vergangen¬ heit allein sucht, könnte leicht dazu gelangen, sie zu bejahen. Aber für ein so kräftiges und so jugendfrisches Volk wie das unsere würde ein solcher rückwärts¬ schauender Pessimismus sich schlecht schicken. Die Zeit, der wir nach diesem Kriege entgegengehen werden, wird uns so große und so schwere, aber auch so schöne Aufgaben bringen, daß wir unsere Pflicht versäumen würden, wenn wir uns jenem Pessimismus hingeben würden. Es wird vielmehr die Aufgabe des deutschen, des idealistischen Geistes sein müssen, das. was uns das Schwert erobert hat. mit deutschem Geiste zu durchdringen und dadurch eigentlich erst zu erwerben, und das, was Schwert und feindliches Gold bei fremden Völkern leider Gottes vielfach zerstört haben, den Glauben an deutsche Geistigkeit, an deutsche Kultur und deutschen Kulturwillen, wieder aufzubauen. Auch in diesem Sinne kann man jene drei Verse verstehen, die in dieser Zeit schon öfter wieder angeführt worden sind: Goethes Erbe ist heute noch für uns nicht tot. Es wird gerade nach diesem Kriege für uns zum Heile sein, wenn wir es hervorholen und es neu beleben, es aufs neue zur Richtschnur unseres geistigen Strebens machen. 6'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/95>, abgerufen am 02.07.2024.