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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Mlitärgeographische Skizze der russischen Gstseeküste

Auch die abgeschlossene Nigaer Bucht ist im Winter auf weite Strecken hin mit
Eis bedeckt und ihre engen Zugänge sind oftmals durch Eisstauungen gesperrt.

Derartig sind die topographischen und klimatischen Verhältnisse an der
Ostseeküste, an der die russische Wehrmacht das Hinterland zu schützen hat.
Lange Zeit grenzte Rußland nur am nördlichen Eismeer an die offene See.
Wir finden daher das unausgesetzte Bestreben der russischen Fürsten, den
Handel mit Westeuropa an diesen unwirtlichen Küsten zu beleben. Aber bei
der Natur des Meeres, das nur vom Juni bis September völlig eisfrei zu
sein pflegt, hatten diese Unternehmungen einen sehr beschränkten Erfolg. Erst
Peter der Große eröffnete seinen: Volke die günstigere Ostseeküste, indem er mit
der Gründung Se. Petersburgs 1703 "den Durchbruch eines Fensters nach
Europa" schuf, und die Entwicklung seiner Hauptstadt hat den Scharfblick des
großen Zaren glänzend bestätigt. Seit dieser Zeit besteht also erst eine russische
Ostseepolitik und die Notwendigkeit, die neugeschaffenen Handelsstützpunkte zu
schützen. Es ist hier nicht der Ort, auf die überaus wechselvolle Geschichte
dieser Politik im einzelnen einzugehen, aber es ist merkwürdig zu sehen, wie
noch bis in die letzten Jahre hinein die Vorschläge für die Anlage neuer
Kriegshafen und Befestigungen geschwankt haben.

Nur der unmittelbare Schutz der neuen Hauptstadt war von Anbeginn
notwendig, wie die inmitten der Stadt am rechten Newaufer gelegene, jetzt
allerdings bedeutungslose Peter Paulsfestung zeigt, und auch Kronstäbe, das in
selten günstiger Jnsellage den nach Petersburg hineinführenden Seelanal schützt,
verdankt schon dem genialen Blicke Peters des Großen seine Entstehung, mußte
er doch auf jede Weise seiner Neuschöpfung gegen die ihm damals überlegenen
Seemächte der Ostsee die nötige Sicherheit zu geben versuchen. Da die Russen
scheinbar einen Landangriff auf ihre Hauptstadt nicht fürchten, so haben alle
russischen Kaiser nur zur Verstärkung und Erweiterung der Kronstädter Anlagen
beigetragen. Es überspannt heute 25 Kilometer westlich der Hauptstadt ein
enger Kranz von Forts und Batterien den finnischen Meerbusen, der im Süden
bei Oranienbaum ansetzt, über Kronstäbe auf der Insel Kollin als am stärksten
armierter Mittelpunkt nach dem Kap Lisstj Noß hinüberführt und aus dreißig
einzelnen Werken, die teilweise im Meere selbst errichtet sind, besteht. Die
neuen Befestigungen stammen teils aus der Zeit Kaiser Nikolaus des Ersten,
teils wurden sie 1856 bis 1871 nach den Plänen Todtlebens angelegt, ein
starker, nach russischem Urteil unüberwindlicher Schutz, und mit dem Kriegs¬
hafen in Kronstäbe selbst mit Werften und Docks eine vorzügliche Basis für
das baltische Geschwader.

Wenn wir von den alten vorgeschobenen Forts von Wiborg absehen, die
den Landweg von Finnland auf Petersburg sperren sollen, haben eine ähnliche
Aufgabe, nämlich den Schutz von Großstädten, die Festungen Sveaborg und
Dünamünde. Sveaborg, der finnischen Hauptstadt Helsingfors vorgelagert, ist
bestimmt, diese zu schützen sowie einen in den finnischen Meerbusen vorstoßenden


Mlitärgeographische Skizze der russischen Gstseeküste

Auch die abgeschlossene Nigaer Bucht ist im Winter auf weite Strecken hin mit
Eis bedeckt und ihre engen Zugänge sind oftmals durch Eisstauungen gesperrt.

Derartig sind die topographischen und klimatischen Verhältnisse an der
Ostseeküste, an der die russische Wehrmacht das Hinterland zu schützen hat.
Lange Zeit grenzte Rußland nur am nördlichen Eismeer an die offene See.
Wir finden daher das unausgesetzte Bestreben der russischen Fürsten, den
Handel mit Westeuropa an diesen unwirtlichen Küsten zu beleben. Aber bei
der Natur des Meeres, das nur vom Juni bis September völlig eisfrei zu
sein pflegt, hatten diese Unternehmungen einen sehr beschränkten Erfolg. Erst
Peter der Große eröffnete seinen: Volke die günstigere Ostseeküste, indem er mit
der Gründung Se. Petersburgs 1703 „den Durchbruch eines Fensters nach
Europa" schuf, und die Entwicklung seiner Hauptstadt hat den Scharfblick des
großen Zaren glänzend bestätigt. Seit dieser Zeit besteht also erst eine russische
Ostseepolitik und die Notwendigkeit, die neugeschaffenen Handelsstützpunkte zu
schützen. Es ist hier nicht der Ort, auf die überaus wechselvolle Geschichte
dieser Politik im einzelnen einzugehen, aber es ist merkwürdig zu sehen, wie
noch bis in die letzten Jahre hinein die Vorschläge für die Anlage neuer
Kriegshafen und Befestigungen geschwankt haben.

Nur der unmittelbare Schutz der neuen Hauptstadt war von Anbeginn
notwendig, wie die inmitten der Stadt am rechten Newaufer gelegene, jetzt
allerdings bedeutungslose Peter Paulsfestung zeigt, und auch Kronstäbe, das in
selten günstiger Jnsellage den nach Petersburg hineinführenden Seelanal schützt,
verdankt schon dem genialen Blicke Peters des Großen seine Entstehung, mußte
er doch auf jede Weise seiner Neuschöpfung gegen die ihm damals überlegenen
Seemächte der Ostsee die nötige Sicherheit zu geben versuchen. Da die Russen
scheinbar einen Landangriff auf ihre Hauptstadt nicht fürchten, so haben alle
russischen Kaiser nur zur Verstärkung und Erweiterung der Kronstädter Anlagen
beigetragen. Es überspannt heute 25 Kilometer westlich der Hauptstadt ein
enger Kranz von Forts und Batterien den finnischen Meerbusen, der im Süden
bei Oranienbaum ansetzt, über Kronstäbe auf der Insel Kollin als am stärksten
armierter Mittelpunkt nach dem Kap Lisstj Noß hinüberführt und aus dreißig
einzelnen Werken, die teilweise im Meere selbst errichtet sind, besteht. Die
neuen Befestigungen stammen teils aus der Zeit Kaiser Nikolaus des Ersten,
teils wurden sie 1856 bis 1871 nach den Plänen Todtlebens angelegt, ein
starker, nach russischem Urteil unüberwindlicher Schutz, und mit dem Kriegs¬
hafen in Kronstäbe selbst mit Werften und Docks eine vorzügliche Basis für
das baltische Geschwader.

Wenn wir von den alten vorgeschobenen Forts von Wiborg absehen, die
den Landweg von Finnland auf Petersburg sperren sollen, haben eine ähnliche
Aufgabe, nämlich den Schutz von Großstädten, die Festungen Sveaborg und
Dünamünde. Sveaborg, der finnischen Hauptstadt Helsingfors vorgelagert, ist
bestimmt, diese zu schützen sowie einen in den finnischen Meerbusen vorstoßenden


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[0085] Mlitärgeographische Skizze der russischen Gstseeküste Auch die abgeschlossene Nigaer Bucht ist im Winter auf weite Strecken hin mit Eis bedeckt und ihre engen Zugänge sind oftmals durch Eisstauungen gesperrt. Derartig sind die topographischen und klimatischen Verhältnisse an der Ostseeküste, an der die russische Wehrmacht das Hinterland zu schützen hat. Lange Zeit grenzte Rußland nur am nördlichen Eismeer an die offene See. Wir finden daher das unausgesetzte Bestreben der russischen Fürsten, den Handel mit Westeuropa an diesen unwirtlichen Küsten zu beleben. Aber bei der Natur des Meeres, das nur vom Juni bis September völlig eisfrei zu sein pflegt, hatten diese Unternehmungen einen sehr beschränkten Erfolg. Erst Peter der Große eröffnete seinen: Volke die günstigere Ostseeküste, indem er mit der Gründung Se. Petersburgs 1703 „den Durchbruch eines Fensters nach Europa" schuf, und die Entwicklung seiner Hauptstadt hat den Scharfblick des großen Zaren glänzend bestätigt. Seit dieser Zeit besteht also erst eine russische Ostseepolitik und die Notwendigkeit, die neugeschaffenen Handelsstützpunkte zu schützen. Es ist hier nicht der Ort, auf die überaus wechselvolle Geschichte dieser Politik im einzelnen einzugehen, aber es ist merkwürdig zu sehen, wie noch bis in die letzten Jahre hinein die Vorschläge für die Anlage neuer Kriegshafen und Befestigungen geschwankt haben. Nur der unmittelbare Schutz der neuen Hauptstadt war von Anbeginn notwendig, wie die inmitten der Stadt am rechten Newaufer gelegene, jetzt allerdings bedeutungslose Peter Paulsfestung zeigt, und auch Kronstäbe, das in selten günstiger Jnsellage den nach Petersburg hineinführenden Seelanal schützt, verdankt schon dem genialen Blicke Peters des Großen seine Entstehung, mußte er doch auf jede Weise seiner Neuschöpfung gegen die ihm damals überlegenen Seemächte der Ostsee die nötige Sicherheit zu geben versuchen. Da die Russen scheinbar einen Landangriff auf ihre Hauptstadt nicht fürchten, so haben alle russischen Kaiser nur zur Verstärkung und Erweiterung der Kronstädter Anlagen beigetragen. Es überspannt heute 25 Kilometer westlich der Hauptstadt ein enger Kranz von Forts und Batterien den finnischen Meerbusen, der im Süden bei Oranienbaum ansetzt, über Kronstäbe auf der Insel Kollin als am stärksten armierter Mittelpunkt nach dem Kap Lisstj Noß hinüberführt und aus dreißig einzelnen Werken, die teilweise im Meere selbst errichtet sind, besteht. Die neuen Befestigungen stammen teils aus der Zeit Kaiser Nikolaus des Ersten, teils wurden sie 1856 bis 1871 nach den Plänen Todtlebens angelegt, ein starker, nach russischem Urteil unüberwindlicher Schutz, und mit dem Kriegs¬ hafen in Kronstäbe selbst mit Werften und Docks eine vorzügliche Basis für das baltische Geschwader. Wenn wir von den alten vorgeschobenen Forts von Wiborg absehen, die den Landweg von Finnland auf Petersburg sperren sollen, haben eine ähnliche Aufgabe, nämlich den Schutz von Großstädten, die Festungen Sveaborg und Dünamünde. Sveaborg, der finnischen Hauptstadt Helsingfors vorgelagert, ist bestimmt, diese zu schützen sowie einen in den finnischen Meerbusen vorstoßenden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/85>, abgerufen am 02.07.2024.