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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Militärgcographische Skizze der russischen Gstseeküste

gebiet nur eine vorübergehende Erscheinung, so berechtigt uns vielmehr das
physisch-geographische Ereignis der Eiszeit, das die Oberflächen des ganzen
Gebietes bestimmt hat. dazu, die Ostsee und ihre Randländer Finnland, die
russischen Ostseeprovinzen, Norddeutschland, Dänemark und Schweden, als ein
natürliches Landschaftsgebiet zu betrachten.

Die große Vereisung, die zur Diluvialzeit den ganzen Norden Europas
bis an den Saum der deutschen Mittelgebirge und bis weit nach Jnnerrußland
hinein bedeckte und deren physische Verhältnisse wir am besten mit dem Inlandeis
vergleichen können, das den antarktischen Kontinent und Grönland noch heute
überflutet, hat auch auf die Oberfläche der russischen Ostseeküstenländer gestaltend
gewirkt. Wir können bei dem Riesengletscher der Vorzeit, der von dem
skandinavischen Hochgebirge gen Süden und Osten ausstrahlte, ein Abtragungs¬
und ein Ablagerungsgebiet unterscheiden, wie bei den uns wohl bekannten Tal¬
gletschern der Alpen. Finnland, das dem Eiszentrum näher gelegen war, weist
mehr die Formen der Abtragung auf, vom Eise rund abgeschliffene Kuppen
und glatte Felsen und ähnelt im Landschaftsbilde der Umgebung von Stockholm
und der mittelschwedischen senke, die Ostseeprovinzen dagegen tragen als
Ablagerungsprodukte des Eises eine mehr oder weniger mächtige Decke frucht¬
baren Geschiebelehms, der das geologische Grundgerüst der Provinzen mehr
oder weniger verhüllt und darin den norddeutschen Gebieten zu vergleichen ist.
Das sind mit mannigfachen Übergängen die beiden Hauptformen der Ober¬
flächengestaltung in dem langen russischen Ostseegestade, das vom 56. Breitenkreis
aus unserem gemäßigten Klima bis fast an den Polarkreis reicht.

Doch wie viele interessante Einzelheiten und morphologische Probleme bieten
sich dem Geographen, der diese Landstriche bereist! Um die verschiedenartigen
Küstenstrecken, ihre strategische Bedeutung und die Lage der Häfen richtig zu
erkennen, müssen wir zunächst einen Blick auf das Hinterland werfen. Geologisch
gehört die nördliche Hälfte, also Finnland zu dem sogenannten baltischen Schilde.
Diese Bezeichnung gab der kürzlich verstorbene Wiener Altmeister der Geologen,
Eduard Sueß, den Überresten einer gewaltigen Urgebirgsmasse, die im Beginn
des Altertums der Erdgeschichte zu einem hohen Gebirge im nördlichen Schweden,
in Finnland, Lappland und der Halbinsel Kola aufragte. In Jahrmillionen
wurde dieses Bergland durch die Wirkung der Atmosphärilien zu dem heutigen
Flachland abgetragen und zu der seichten Wanne, die jetzt der bottnische Meer¬
busen füllt. Rings nur dieses Gebiet liegen jüngere Schichten auf. flachgelagerte
ältere paläozoische Sedimente des Kambrium und Silur, aus Sanden, Tönen
und Kalksteinen bestehend, die dem Innern des Schildes einen Steilrand zu¬
kehren, den sogenannten Gurt. Diese Glintlinie läßt sich deutlich von den
Südufern des Ladogasees und des finnischen Meerbusens am nördlichen Gotland
vorbei nach Schweden hinüber verfolgen. Wer von der Sumpfebene Petersburgs
das Auge gen Süden wendet, erblickt die etwa 30 Meter hohe erste Stufe des
Steilrandes, auf der die Schlösser Zarskoje Scio und Krassnoje Scio sowie die


Militärgcographische Skizze der russischen Gstseeküste

gebiet nur eine vorübergehende Erscheinung, so berechtigt uns vielmehr das
physisch-geographische Ereignis der Eiszeit, das die Oberflächen des ganzen
Gebietes bestimmt hat. dazu, die Ostsee und ihre Randländer Finnland, die
russischen Ostseeprovinzen, Norddeutschland, Dänemark und Schweden, als ein
natürliches Landschaftsgebiet zu betrachten.

Die große Vereisung, die zur Diluvialzeit den ganzen Norden Europas
bis an den Saum der deutschen Mittelgebirge und bis weit nach Jnnerrußland
hinein bedeckte und deren physische Verhältnisse wir am besten mit dem Inlandeis
vergleichen können, das den antarktischen Kontinent und Grönland noch heute
überflutet, hat auch auf die Oberfläche der russischen Ostseeküstenländer gestaltend
gewirkt. Wir können bei dem Riesengletscher der Vorzeit, der von dem
skandinavischen Hochgebirge gen Süden und Osten ausstrahlte, ein Abtragungs¬
und ein Ablagerungsgebiet unterscheiden, wie bei den uns wohl bekannten Tal¬
gletschern der Alpen. Finnland, das dem Eiszentrum näher gelegen war, weist
mehr die Formen der Abtragung auf, vom Eise rund abgeschliffene Kuppen
und glatte Felsen und ähnelt im Landschaftsbilde der Umgebung von Stockholm
und der mittelschwedischen senke, die Ostseeprovinzen dagegen tragen als
Ablagerungsprodukte des Eises eine mehr oder weniger mächtige Decke frucht¬
baren Geschiebelehms, der das geologische Grundgerüst der Provinzen mehr
oder weniger verhüllt und darin den norddeutschen Gebieten zu vergleichen ist.
Das sind mit mannigfachen Übergängen die beiden Hauptformen der Ober¬
flächengestaltung in dem langen russischen Ostseegestade, das vom 56. Breitenkreis
aus unserem gemäßigten Klima bis fast an den Polarkreis reicht.

Doch wie viele interessante Einzelheiten und morphologische Probleme bieten
sich dem Geographen, der diese Landstriche bereist! Um die verschiedenartigen
Küstenstrecken, ihre strategische Bedeutung und die Lage der Häfen richtig zu
erkennen, müssen wir zunächst einen Blick auf das Hinterland werfen. Geologisch
gehört die nördliche Hälfte, also Finnland zu dem sogenannten baltischen Schilde.
Diese Bezeichnung gab der kürzlich verstorbene Wiener Altmeister der Geologen,
Eduard Sueß, den Überresten einer gewaltigen Urgebirgsmasse, die im Beginn
des Altertums der Erdgeschichte zu einem hohen Gebirge im nördlichen Schweden,
in Finnland, Lappland und der Halbinsel Kola aufragte. In Jahrmillionen
wurde dieses Bergland durch die Wirkung der Atmosphärilien zu dem heutigen
Flachland abgetragen und zu der seichten Wanne, die jetzt der bottnische Meer¬
busen füllt. Rings nur dieses Gebiet liegen jüngere Schichten auf. flachgelagerte
ältere paläozoische Sedimente des Kambrium und Silur, aus Sanden, Tönen
und Kalksteinen bestehend, die dem Innern des Schildes einen Steilrand zu¬
kehren, den sogenannten Gurt. Diese Glintlinie läßt sich deutlich von den
Südufern des Ladogasees und des finnischen Meerbusens am nördlichen Gotland
vorbei nach Schweden hinüber verfolgen. Wer von der Sumpfebene Petersburgs
das Auge gen Süden wendet, erblickt die etwa 30 Meter hohe erste Stufe des
Steilrandes, auf der die Schlösser Zarskoje Scio und Krassnoje Scio sowie die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/80>, abgerufen am 30.06.2024.