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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Der Einfluß des Krieges auf die Intelligenz

Kriegsvorbereitungen und -einrichtungen während des Friedens spielen eine
undankbare Rolle. Der mit typisch kurzen Gedanken Begabte sieht ihre Not¬
wendigkeit nicht ein, weil die sinnliche Gegenwart sie nicht aufweist. Wir
sagen: der Friede ist für Kriegseinrichtungen apperzeptionshemmend. Die
Apperzeption vermag sie in der Rangordnung der Lebenszwecke und -zusammen¬
hänge nirgends einzuordnen. Sie bleiben ein Fremdkörper im Bewußtsein.
Unter solchem Versagen der Intelligenz hat der Offizier, der Unteroffizier, der
Rekrut im Frieden zu leiden. Viele verstehen ihre Zweckbedeutung nicht, weil
die sinnliche Gegenwart sie nicht lehrt. Es ist ferner ein psychologisches Gesetz:
was man nicht apperzipieren kann, feindet man an. Jeder weiß, daß man
das verlacht, was man zu verstehen unfähig ist. Man kennt eben nicht die
Zusammenhänge der in Frage stehenden Einrichtungen mit den höchsten Zielen
und Interessen. Es fehlt am Lehrer. Und zu solch einem Lehrer kann der
Krieg werden. Daß die Lasten der Steuerzahlung, die kostspielige Bildung
von Armeen und Flotten für das nationale und staatliche Leben notwendig
sind, das illustriert am besten er. Hier sieht man das Endziel, das im Frieden
zum größten Teil unsichtbar bleibt, anschaulich vor sich: die Erhaltung des
staatlichen Daseins, die Solidarität jedes für jeden und damit für das große
Ganze. Unsere Jugend genießt damit einen nationalen und staatsbürgerlichen
Anschauungsunterricht, der uns Älteren versagt war. Und die reifere männliche
Jugend lernt zum erstenmal eine Kameradschaftlichkeit kennen und betätigen,
welche die Ideen des Gemeinschaftswillens und der Solidarität für das ganze
Leben unvergessen läßt. Denn daß die Kameradschaftlichkeit im gegenwärtigen
Kriege zu einer Höhe und edlen Größe gesteigert worden ist, wie sie im Frieden
niemals erreicht wurde, wissen wir aus den Feldpostbriefen.

Nun vergegenwärtige man sich diese im Felde gewonnenen Eindrücke
konkretester Art von der lebendigen, nicht bloß auf dem Papier stehenden
Zusammengehörigkeit aller Volksgenossen besonders auf die intellektuell weniger
regsame Landbevölkerung, zumal in den östlichen Provinzen. Die Schwerfällig¬
keit der Apperzeption des Deutschen -- die dafür freilich umso gründlicher und
beharrlicher ausfällt -- paart sich gerade auf dem Lande mit seinem Hang zur
Abschließung, um die Bildung des Begriffes des größer deutschen Volksganzen,
des Einstehens aller für alle, zu erschweren. Wir müssen damit einsehen, daß eine
gewisse Höhe der Intelligenz das Gefühl der volklichen Zusammengehörigkeit
überhaupt erst ermöglicht. Pioniere dieser Intelligenz sind die aus dem Kriege
heimkehrenden Mannschaften. Sie bringen als schönste Frucht dieses Feldzuges
die solideste Grundlage politischer Reife mit, die sie den Daheimgebliebenen
mitteilen. Und mehr noch als für die Kerndeutschen gilt dies für die geistig
weniger entwickelte kassubische Bevölkerung im Osten. Wir dürfen hierin aller-
wärts eine Verbesserung der geistigen Sehweite und damit eine Entwicklung zu
höherer Intelligenz erwarten.




Der Einfluß des Krieges auf die Intelligenz

Kriegsvorbereitungen und -einrichtungen während des Friedens spielen eine
undankbare Rolle. Der mit typisch kurzen Gedanken Begabte sieht ihre Not¬
wendigkeit nicht ein, weil die sinnliche Gegenwart sie nicht aufweist. Wir
sagen: der Friede ist für Kriegseinrichtungen apperzeptionshemmend. Die
Apperzeption vermag sie in der Rangordnung der Lebenszwecke und -zusammen¬
hänge nirgends einzuordnen. Sie bleiben ein Fremdkörper im Bewußtsein.
Unter solchem Versagen der Intelligenz hat der Offizier, der Unteroffizier, der
Rekrut im Frieden zu leiden. Viele verstehen ihre Zweckbedeutung nicht, weil
die sinnliche Gegenwart sie nicht lehrt. Es ist ferner ein psychologisches Gesetz:
was man nicht apperzipieren kann, feindet man an. Jeder weiß, daß man
das verlacht, was man zu verstehen unfähig ist. Man kennt eben nicht die
Zusammenhänge der in Frage stehenden Einrichtungen mit den höchsten Zielen
und Interessen. Es fehlt am Lehrer. Und zu solch einem Lehrer kann der
Krieg werden. Daß die Lasten der Steuerzahlung, die kostspielige Bildung
von Armeen und Flotten für das nationale und staatliche Leben notwendig
sind, das illustriert am besten er. Hier sieht man das Endziel, das im Frieden
zum größten Teil unsichtbar bleibt, anschaulich vor sich: die Erhaltung des
staatlichen Daseins, die Solidarität jedes für jeden und damit für das große
Ganze. Unsere Jugend genießt damit einen nationalen und staatsbürgerlichen
Anschauungsunterricht, der uns Älteren versagt war. Und die reifere männliche
Jugend lernt zum erstenmal eine Kameradschaftlichkeit kennen und betätigen,
welche die Ideen des Gemeinschaftswillens und der Solidarität für das ganze
Leben unvergessen läßt. Denn daß die Kameradschaftlichkeit im gegenwärtigen
Kriege zu einer Höhe und edlen Größe gesteigert worden ist, wie sie im Frieden
niemals erreicht wurde, wissen wir aus den Feldpostbriefen.

Nun vergegenwärtige man sich diese im Felde gewonnenen Eindrücke
konkretester Art von der lebendigen, nicht bloß auf dem Papier stehenden
Zusammengehörigkeit aller Volksgenossen besonders auf die intellektuell weniger
regsame Landbevölkerung, zumal in den östlichen Provinzen. Die Schwerfällig¬
keit der Apperzeption des Deutschen — die dafür freilich umso gründlicher und
beharrlicher ausfällt — paart sich gerade auf dem Lande mit seinem Hang zur
Abschließung, um die Bildung des Begriffes des größer deutschen Volksganzen,
des Einstehens aller für alle, zu erschweren. Wir müssen damit einsehen, daß eine
gewisse Höhe der Intelligenz das Gefühl der volklichen Zusammengehörigkeit
überhaupt erst ermöglicht. Pioniere dieser Intelligenz sind die aus dem Kriege
heimkehrenden Mannschaften. Sie bringen als schönste Frucht dieses Feldzuges
die solideste Grundlage politischer Reife mit, die sie den Daheimgebliebenen
mitteilen. Und mehr noch als für die Kerndeutschen gilt dies für die geistig
weniger entwickelte kassubische Bevölkerung im Osten. Wir dürfen hierin aller-
wärts eine Verbesserung der geistigen Sehweite und damit eine Entwicklung zu
höherer Intelligenz erwarten.




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[0426] Der Einfluß des Krieges auf die Intelligenz Kriegsvorbereitungen und -einrichtungen während des Friedens spielen eine undankbare Rolle. Der mit typisch kurzen Gedanken Begabte sieht ihre Not¬ wendigkeit nicht ein, weil die sinnliche Gegenwart sie nicht aufweist. Wir sagen: der Friede ist für Kriegseinrichtungen apperzeptionshemmend. Die Apperzeption vermag sie in der Rangordnung der Lebenszwecke und -zusammen¬ hänge nirgends einzuordnen. Sie bleiben ein Fremdkörper im Bewußtsein. Unter solchem Versagen der Intelligenz hat der Offizier, der Unteroffizier, der Rekrut im Frieden zu leiden. Viele verstehen ihre Zweckbedeutung nicht, weil die sinnliche Gegenwart sie nicht lehrt. Es ist ferner ein psychologisches Gesetz: was man nicht apperzipieren kann, feindet man an. Jeder weiß, daß man das verlacht, was man zu verstehen unfähig ist. Man kennt eben nicht die Zusammenhänge der in Frage stehenden Einrichtungen mit den höchsten Zielen und Interessen. Es fehlt am Lehrer. Und zu solch einem Lehrer kann der Krieg werden. Daß die Lasten der Steuerzahlung, die kostspielige Bildung von Armeen und Flotten für das nationale und staatliche Leben notwendig sind, das illustriert am besten er. Hier sieht man das Endziel, das im Frieden zum größten Teil unsichtbar bleibt, anschaulich vor sich: die Erhaltung des staatlichen Daseins, die Solidarität jedes für jeden und damit für das große Ganze. Unsere Jugend genießt damit einen nationalen und staatsbürgerlichen Anschauungsunterricht, der uns Älteren versagt war. Und die reifere männliche Jugend lernt zum erstenmal eine Kameradschaftlichkeit kennen und betätigen, welche die Ideen des Gemeinschaftswillens und der Solidarität für das ganze Leben unvergessen läßt. Denn daß die Kameradschaftlichkeit im gegenwärtigen Kriege zu einer Höhe und edlen Größe gesteigert worden ist, wie sie im Frieden niemals erreicht wurde, wissen wir aus den Feldpostbriefen. Nun vergegenwärtige man sich diese im Felde gewonnenen Eindrücke konkretester Art von der lebendigen, nicht bloß auf dem Papier stehenden Zusammengehörigkeit aller Volksgenossen besonders auf die intellektuell weniger regsame Landbevölkerung, zumal in den östlichen Provinzen. Die Schwerfällig¬ keit der Apperzeption des Deutschen — die dafür freilich umso gründlicher und beharrlicher ausfällt — paart sich gerade auf dem Lande mit seinem Hang zur Abschließung, um die Bildung des Begriffes des größer deutschen Volksganzen, des Einstehens aller für alle, zu erschweren. Wir müssen damit einsehen, daß eine gewisse Höhe der Intelligenz das Gefühl der volklichen Zusammengehörigkeit überhaupt erst ermöglicht. Pioniere dieser Intelligenz sind die aus dem Kriege heimkehrenden Mannschaften. Sie bringen als schönste Frucht dieses Feldzuges die solideste Grundlage politischer Reife mit, die sie den Daheimgebliebenen mitteilen. Und mehr noch als für die Kerndeutschen gilt dies für die geistig weniger entwickelte kassubische Bevölkerung im Osten. Wir dürfen hierin aller- wärts eine Verbesserung der geistigen Sehweite und damit eine Entwicklung zu höherer Intelligenz erwarten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/426>, abgerufen am 30.06.2024.