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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Spinozas Leben und Briefe

Haften am Partikularen ist ihm immer als Kinderstammeln erschienen. "Wenn
ich ein sauber geschriebenes Buch voll erhabener Betrachtungen in den Händen
eines gemeinen Mannes sehe und ihn frage, woher er denn das Buch habe,
und er antwortet mir, er habe es aus einem anderen Buche eines anderen
gemeinen Mannes abgeschrieben, der auch sauber zu schreiben verstand, und so
weiter ins Unendliche, dann befriedigt er mich doch nicht; denn ich frage ihn
ja nicht bloß nach der Gestalt und Anordnung der Buchstaben, über die er mir
allein Auskunft gibt, sondern auch über die Gedanken und den Sinn, den ihre
Zusammenstellung offenbart, und darüber gibt er mir keine Auskunft." In
diesen bemerkenswerten Worten kündigt sich das metaphysische Bewußtsein an,
in dessen Kraft Spinoza den Positivismus, dem er in mancher Beziehung nahe
steht, nicht sowohl verdrängt, als in sich überwindet, indem er ihn über sich
hinausführt.

Die mitgeteilten Proben werden genügen, um auch den fernerstehenden
Leser für diese Briefe zu gewinnen. Man lernt in ihnen nicht nur ein großes
System, man lernt ein großes Leben kennen. Diese Briefe sind cZvLuments
Kumains im edelsten Sinne und schließen eine Lebens Verfassung auf, die man
kennen sollte, auch wenn man sie nicht teilt. Mögen die Ideale Spinozas noch
heute stark umstritten sein; eins steht fest: er war ein Philosoph, wie es wenige
vor ihm und nach ihm gewesen sind. Er scheute den Kampf, das ist freilich
wahr; aber er scheute ihn nicht aus Furcht, sondern weil er das Denken liebte,
das nach seiner Überzeugung nur in der Ruhe tätig wird. Ein Stürmer ist
er nicht gewesen, aber ein Denker und ein Mensch. Er hätte von sich sagen
können:


Denn ich bin ein Mensch gewesen,
Und das heißt: ein Denker sein.





Allen Manuskripten ist Porto hinzuzufügen, da andernfalls bei Ablehnung eine Rücksendung
nicht verbürgt werden kann.




Nachdrieck s"neu"er Aufs""- "ur mit -usorücklichcr Erlaubnis deS Verlags gestattet.
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"" den Herausgeber der Grenzboten i" Berlin-Frledena", Hcdwigftr. 1".
Fernsprecher der Schristl-itmig: Amt llhlandSKM, des Verlags- Amt Ltchow KS10. Verlag: Verlag der "renzbot-n ". in, b, H, in Berlin SV 11.
Druck: .Der Reichsbote" ", in, b, H. in Berlin SV 11. D-ssau-r Strich- M/S7.
Spinozas Leben und Briefe

Haften am Partikularen ist ihm immer als Kinderstammeln erschienen. „Wenn
ich ein sauber geschriebenes Buch voll erhabener Betrachtungen in den Händen
eines gemeinen Mannes sehe und ihn frage, woher er denn das Buch habe,
und er antwortet mir, er habe es aus einem anderen Buche eines anderen
gemeinen Mannes abgeschrieben, der auch sauber zu schreiben verstand, und so
weiter ins Unendliche, dann befriedigt er mich doch nicht; denn ich frage ihn
ja nicht bloß nach der Gestalt und Anordnung der Buchstaben, über die er mir
allein Auskunft gibt, sondern auch über die Gedanken und den Sinn, den ihre
Zusammenstellung offenbart, und darüber gibt er mir keine Auskunft." In
diesen bemerkenswerten Worten kündigt sich das metaphysische Bewußtsein an,
in dessen Kraft Spinoza den Positivismus, dem er in mancher Beziehung nahe
steht, nicht sowohl verdrängt, als in sich überwindet, indem er ihn über sich
hinausführt.

Die mitgeteilten Proben werden genügen, um auch den fernerstehenden
Leser für diese Briefe zu gewinnen. Man lernt in ihnen nicht nur ein großes
System, man lernt ein großes Leben kennen. Diese Briefe sind cZvLuments
Kumains im edelsten Sinne und schließen eine Lebens Verfassung auf, die man
kennen sollte, auch wenn man sie nicht teilt. Mögen die Ideale Spinozas noch
heute stark umstritten sein; eins steht fest: er war ein Philosoph, wie es wenige
vor ihm und nach ihm gewesen sind. Er scheute den Kampf, das ist freilich
wahr; aber er scheute ihn nicht aus Furcht, sondern weil er das Denken liebte,
das nach seiner Überzeugung nur in der Ruhe tätig wird. Ein Stürmer ist
er nicht gewesen, aber ein Denker und ein Mensch. Er hätte von sich sagen
können:


Denn ich bin ein Mensch gewesen,
Und das heißt: ein Denker sein.





Allen Manuskripten ist Porto hinzuzufügen, da andernfalls bei Ablehnung eine Rücksendung
nicht verbürgt werden kann.




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[0396] Spinozas Leben und Briefe Haften am Partikularen ist ihm immer als Kinderstammeln erschienen. „Wenn ich ein sauber geschriebenes Buch voll erhabener Betrachtungen in den Händen eines gemeinen Mannes sehe und ihn frage, woher er denn das Buch habe, und er antwortet mir, er habe es aus einem anderen Buche eines anderen gemeinen Mannes abgeschrieben, der auch sauber zu schreiben verstand, und so weiter ins Unendliche, dann befriedigt er mich doch nicht; denn ich frage ihn ja nicht bloß nach der Gestalt und Anordnung der Buchstaben, über die er mir allein Auskunft gibt, sondern auch über die Gedanken und den Sinn, den ihre Zusammenstellung offenbart, und darüber gibt er mir keine Auskunft." In diesen bemerkenswerten Worten kündigt sich das metaphysische Bewußtsein an, in dessen Kraft Spinoza den Positivismus, dem er in mancher Beziehung nahe steht, nicht sowohl verdrängt, als in sich überwindet, indem er ihn über sich hinausführt. Die mitgeteilten Proben werden genügen, um auch den fernerstehenden Leser für diese Briefe zu gewinnen. Man lernt in ihnen nicht nur ein großes System, man lernt ein großes Leben kennen. Diese Briefe sind cZvLuments Kumains im edelsten Sinne und schließen eine Lebens Verfassung auf, die man kennen sollte, auch wenn man sie nicht teilt. Mögen die Ideale Spinozas noch heute stark umstritten sein; eins steht fest: er war ein Philosoph, wie es wenige vor ihm und nach ihm gewesen sind. Er scheute den Kampf, das ist freilich wahr; aber er scheute ihn nicht aus Furcht, sondern weil er das Denken liebte, das nach seiner Überzeugung nur in der Ruhe tätig wird. Ein Stürmer ist er nicht gewesen, aber ein Denker und ein Mensch. Er hätte von sich sagen können: Denn ich bin ein Mensch gewesen, Und das heißt: ein Denker sein. Allen Manuskripten ist Porto hinzuzufügen, da andernfalls bei Ablehnung eine Rücksendung nicht verbürgt werden kann. Nachdrieck s»neu«er Aufs»«- «ur mit -usorücklichcr Erlaubnis deS Verlags gestattet. >««new»rrlich: der Herausgeber George Tleinow in Berlin-Schöneberg. — Manuslriptscndungen nul» Sri«!» werden erbeten unter der Adresse: «« den Herausgeber der Grenzboten i« Berlin-Frledena«, Hcdwigftr. 1». Fernsprecher der Schristl-itmig: Amt llhlandSKM, des Verlags- Amt Ltchow KS10. Verlag: Verlag der «renzbot-n «. in, b, H, in Berlin SV 11. Druck: .Der Reichsbote» «, in, b, H. in Berlin SV 11. D-ssau-r Strich- M/S7.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/396>, abgerufen am 01.07.2024.