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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Freiheit und Eigentum in Frieden und Krieg

Ganz anders stellt sich die Rechtslage dar, wenn Matzregeln gegen friedliche
Bewohner fremder Nationalität von Regierungswegen getroffen werden.

Hierfür einige Beispiele.

Gegen das Völkerrecht verstoßen zweifellos die Beschlagnahmemaßregeln,
die in den Ländern unserer Gegner über das Privatvermögen deutscher und
österreichischer Untertanen verfügt sind. So der russische Gesetzentwurf zur Ver¬
minderung deutschen Grundeigentums in Rußland, demzufolge die Erwerbung
von Grundeigentum Deutschen verboten, gleichzeitig aber auch der Regierung
das Recht eingeräumt wird, früher erworbenen Landbesitz einzuziehen, wenn ein
staatliches Interesse daran besteht. Die Kölnische Zeitung vom 21. Oktober
nennt das ganz richtig eine völlige Rechtloserklärung deutscher Grundbesitzer in
Rußland/) Auch die französische Regierung arbeitet mit Beschlagnahme,
gerichtlicher Verwaltung und Stellung unter Staatsaufsicht von deutschen
Geschäftsniederlassnngen und Privatvermögen. Im Departement Seine sind
allein 20000 Handelshäuser und 100000 Vermögen solcher Maßregeln verfallen,
aber auch aus Nizza (15 Hotels), Marseille und anderen Orten wird gleiches
berichtet. Allerdings wird dabei betont, daß es sich nur um ein Verfahren
für die Dauer des Krieges handele, das mit Konfiskation nichts zu tun habe.

Grobe Rechtsverletzung stellt die Aneigung deutscher Patente in England
dar, daran kann auch die Bemäntelung dadurch, daß für die Benutzung deutscher
Patente eine Gebühr erhoben werden soll, die später dem deutschen Patentbesitzer
zurückzuvergüten ist, nichts ändern.

Geradezu unglaubliche Brüche des Völkerrechtes und zugleich Schläge in
das Gesicht aller Humanität bildet die Art, wie in England und Rußland'
deutsche Zivilgefangene behandelt werden. Die Gefangennahme respektive Fest¬
haltung männlicher Staatsangehöriger in dienstpflichtigen Alter ist an sich be¬
rechtigt. Aber wer die Berichte von Augenzeugen über die Vorgänge in den
englischen Konzentrationslagern und Polizeigefängnissen liest, ferner die Kunde,
daß Deutsche nach Sibirien verschickt und zum Bau der Amurbahn verwendet
werden -- einerlei, ob es sich um Kriegs- oder Zivilgefangene handelt --, dem
muß auch der letzte Glaube an Menschlichkeit und Gerechtigkeit dieser Feinde
verloren gehen.

Weitere offenkundige Völkerrechtsverletzungen durch die Verwendung von
Dum-Dum° Geschossen, ferner durch die von England verübte Übertretung der
von ihm zu Beginn des Krieges ausdrücklich anerkannten Londoner Seekriegs"
rechterkläruug von 1909 sind in deutschen Denkschriften bereits vor der Öffent¬
lichkeit gebrandmarkt worden. Aus der letzteres betreffenden Denkschrift an die
Neutralen (vom 10. Oktober 1914, vgl. Kölnische Zeitung vom 25. Oktober),
mag noch das Unrecht hervorgehoben werden, das England durch die völlig




*) Vgl. hierzu den Artikel des Heftes 46 d. I. der Grenzboten. Die Schriftleitung.
**) Neuerdings auch in Rußland. Die Schriftleitang.
Freiheit und Eigentum in Frieden und Krieg

Ganz anders stellt sich die Rechtslage dar, wenn Matzregeln gegen friedliche
Bewohner fremder Nationalität von Regierungswegen getroffen werden.

Hierfür einige Beispiele.

Gegen das Völkerrecht verstoßen zweifellos die Beschlagnahmemaßregeln,
die in den Ländern unserer Gegner über das Privatvermögen deutscher und
österreichischer Untertanen verfügt sind. So der russische Gesetzentwurf zur Ver¬
minderung deutschen Grundeigentums in Rußland, demzufolge die Erwerbung
von Grundeigentum Deutschen verboten, gleichzeitig aber auch der Regierung
das Recht eingeräumt wird, früher erworbenen Landbesitz einzuziehen, wenn ein
staatliches Interesse daran besteht. Die Kölnische Zeitung vom 21. Oktober
nennt das ganz richtig eine völlige Rechtloserklärung deutscher Grundbesitzer in
Rußland/) Auch die französische Regierung arbeitet mit Beschlagnahme,
gerichtlicher Verwaltung und Stellung unter Staatsaufsicht von deutschen
Geschäftsniederlassnngen und Privatvermögen. Im Departement Seine sind
allein 20000 Handelshäuser und 100000 Vermögen solcher Maßregeln verfallen,
aber auch aus Nizza (15 Hotels), Marseille und anderen Orten wird gleiches
berichtet. Allerdings wird dabei betont, daß es sich nur um ein Verfahren
für die Dauer des Krieges handele, das mit Konfiskation nichts zu tun habe.

Grobe Rechtsverletzung stellt die Aneigung deutscher Patente in England
dar, daran kann auch die Bemäntelung dadurch, daß für die Benutzung deutscher
Patente eine Gebühr erhoben werden soll, die später dem deutschen Patentbesitzer
zurückzuvergüten ist, nichts ändern.

Geradezu unglaubliche Brüche des Völkerrechtes und zugleich Schläge in
das Gesicht aller Humanität bildet die Art, wie in England und Rußland'
deutsche Zivilgefangene behandelt werden. Die Gefangennahme respektive Fest¬
haltung männlicher Staatsangehöriger in dienstpflichtigen Alter ist an sich be¬
rechtigt. Aber wer die Berichte von Augenzeugen über die Vorgänge in den
englischen Konzentrationslagern und Polizeigefängnissen liest, ferner die Kunde,
daß Deutsche nach Sibirien verschickt und zum Bau der Amurbahn verwendet
werden — einerlei, ob es sich um Kriegs- oder Zivilgefangene handelt —, dem
muß auch der letzte Glaube an Menschlichkeit und Gerechtigkeit dieser Feinde
verloren gehen.

Weitere offenkundige Völkerrechtsverletzungen durch die Verwendung von
Dum-Dum° Geschossen, ferner durch die von England verübte Übertretung der
von ihm zu Beginn des Krieges ausdrücklich anerkannten Londoner Seekriegs»
rechterkläruug von 1909 sind in deutschen Denkschriften bereits vor der Öffent¬
lichkeit gebrandmarkt worden. Aus der letzteres betreffenden Denkschrift an die
Neutralen (vom 10. Oktober 1914, vgl. Kölnische Zeitung vom 25. Oktober),
mag noch das Unrecht hervorgehoben werden, das England durch die völlig




*) Vgl. hierzu den Artikel des Heftes 46 d. I. der Grenzboten. Die Schriftleitung.
**) Neuerdings auch in Rußland. Die Schriftleitang.
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[0382] Freiheit und Eigentum in Frieden und Krieg Ganz anders stellt sich die Rechtslage dar, wenn Matzregeln gegen friedliche Bewohner fremder Nationalität von Regierungswegen getroffen werden. Hierfür einige Beispiele. Gegen das Völkerrecht verstoßen zweifellos die Beschlagnahmemaßregeln, die in den Ländern unserer Gegner über das Privatvermögen deutscher und österreichischer Untertanen verfügt sind. So der russische Gesetzentwurf zur Ver¬ minderung deutschen Grundeigentums in Rußland, demzufolge die Erwerbung von Grundeigentum Deutschen verboten, gleichzeitig aber auch der Regierung das Recht eingeräumt wird, früher erworbenen Landbesitz einzuziehen, wenn ein staatliches Interesse daran besteht. Die Kölnische Zeitung vom 21. Oktober nennt das ganz richtig eine völlige Rechtloserklärung deutscher Grundbesitzer in Rußland/) Auch die französische Regierung arbeitet mit Beschlagnahme, gerichtlicher Verwaltung und Stellung unter Staatsaufsicht von deutschen Geschäftsniederlassnngen und Privatvermögen. Im Departement Seine sind allein 20000 Handelshäuser und 100000 Vermögen solcher Maßregeln verfallen, aber auch aus Nizza (15 Hotels), Marseille und anderen Orten wird gleiches berichtet. Allerdings wird dabei betont, daß es sich nur um ein Verfahren für die Dauer des Krieges handele, das mit Konfiskation nichts zu tun habe. Grobe Rechtsverletzung stellt die Aneigung deutscher Patente in England dar, daran kann auch die Bemäntelung dadurch, daß für die Benutzung deutscher Patente eine Gebühr erhoben werden soll, die später dem deutschen Patentbesitzer zurückzuvergüten ist, nichts ändern. Geradezu unglaubliche Brüche des Völkerrechtes und zugleich Schläge in das Gesicht aller Humanität bildet die Art, wie in England und Rußland' deutsche Zivilgefangene behandelt werden. Die Gefangennahme respektive Fest¬ haltung männlicher Staatsangehöriger in dienstpflichtigen Alter ist an sich be¬ rechtigt. Aber wer die Berichte von Augenzeugen über die Vorgänge in den englischen Konzentrationslagern und Polizeigefängnissen liest, ferner die Kunde, daß Deutsche nach Sibirien verschickt und zum Bau der Amurbahn verwendet werden — einerlei, ob es sich um Kriegs- oder Zivilgefangene handelt —, dem muß auch der letzte Glaube an Menschlichkeit und Gerechtigkeit dieser Feinde verloren gehen. Weitere offenkundige Völkerrechtsverletzungen durch die Verwendung von Dum-Dum° Geschossen, ferner durch die von England verübte Übertretung der von ihm zu Beginn des Krieges ausdrücklich anerkannten Londoner Seekriegs» rechterkläruug von 1909 sind in deutschen Denkschriften bereits vor der Öffent¬ lichkeit gebrandmarkt worden. Aus der letzteres betreffenden Denkschrift an die Neutralen (vom 10. Oktober 1914, vgl. Kölnische Zeitung vom 25. Oktober), mag noch das Unrecht hervorgehoben werden, das England durch die völlig *) Vgl. hierzu den Artikel des Heftes 46 d. I. der Grenzboten. Die Schriftleitung. **) Neuerdings auch in Rußland. Die Schriftleitang.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/382>, abgerufen am 04.07.2024.