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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Freiheit und Eigentum in Frieden und Krieg

und mit ihrer Erhebung zu diesem ihre feste Umgrenzung. Und wenn der
Begriff des Eigentums erst mit dem Eintritt in den Bereich des Rechtes zu
seiner wahren Entstehung gelangt, so muß sich die ungebundene persönliche
Freiheit im Staatsverbande manche Beschränkungen gefallen lassen, und der
philosophische Begriff wird zu einem durch die Praxis wesentlich beschränktem,
dem der bürgerlichen Freiheit.

Jahrhunderte-, ja jahrtausendelange Kämpfe sind um diese Güter geführt
worden. Sowohl um die Abgrenzung der Rechtssphäre unter den einzelnen
Staatsbürgern, als auch um ihre Festlegung gegenüber der mächtigeren fiktiven
Persönlichkeit des Staates.

Gerade in den Zeiten, in denen das Schicksal des Staates und seiner
Angehörigen vorzugsweise in der Hand einiger weniger Macht- und Gewalthaber
lag, die tief in das Persönlichkeitsbereich willenloser Untertanen eingreifen
konnten, ist ausgiebig für die Teilnahme der Betroffenen an der Bestimmung
ihrer Schicksale gestritten worden. Mit wachsender geistiger und politischer
Mündigkeit der Masse der Volksangehörigen ist immer mehr das Recht der
Mitbestimmung über die großen Persönlichkeitsgüter, Freiheit und Eigentum,
als sittliches Gebot, als moralische Grundbedingung des Staates erkannt und
anerkannt worden.

Mannigfache philosophische und staatsrechtliche Begründungen der Begriffe
Freiheit und Eigentum sind gesucht und gefunden.

Gegenüber der absoluten Staatsgewalt und dem patriarchalischen Gottes-
gnadentum ihres unbeschränkten Trägers ist die Theorie der Volkssouveränität
als die Quelle aller staatlichen Macht geprägt. Das Recht des einzelnen im
Staate als Grundlage des staatlichen Lebens -- nur beschränkt durch die großen,
im Sinne und Interesse aller liegenden Zwecke und Aufgaben des Staates --
ist als göttliches, als natürliches und ursprüngliches, als unantastbares und
unveräußerliches menschliches Urrecht, als verträgliches Mitgliedschaftsrecht --
vorbehalten jedem einzelnen bei einem wirklich oder fingiert aufgefaßten Staats-
gründungsvertrage -- verkündet worden. Es ist als ein über jedem Staats¬
verbande stehendes Menschenrecht angesehen worden.

Und aus diesen theoretischen Anschauungen hat man die praktischen
Folgerungen gezogen; man hat mit fortschreitender politischer Reife, mit
wachsendem Gerechtigkeitssinn mehr und mehr den Staatsangehörigen die
Möglichkeit der Mitwirkung zur Sicherung dieser ihrer Grundgüter zuge¬
standen.

Für die immer schwerer werdenden Lasten des staatlichen Lebens hat man
als Gegengabe immer größere Teilnahme der einzelnen, auf denen dies Gewicht
ruhte, an den staatlichen Rechten eingeräumt. Um das Interesse der einzelnen
am Staate zu erhalten, um die Kraft des einzelnen für den Staat in erhöhtem
Maße nutzbar zu machen, hat man die Mitbestimmung an den Schicksalen des
öffentlichen Lebens in immer wachsenderem Maße erweitert. Stets auf der


Freiheit und Eigentum in Frieden und Krieg

und mit ihrer Erhebung zu diesem ihre feste Umgrenzung. Und wenn der
Begriff des Eigentums erst mit dem Eintritt in den Bereich des Rechtes zu
seiner wahren Entstehung gelangt, so muß sich die ungebundene persönliche
Freiheit im Staatsverbande manche Beschränkungen gefallen lassen, und der
philosophische Begriff wird zu einem durch die Praxis wesentlich beschränktem,
dem der bürgerlichen Freiheit.

Jahrhunderte-, ja jahrtausendelange Kämpfe sind um diese Güter geführt
worden. Sowohl um die Abgrenzung der Rechtssphäre unter den einzelnen
Staatsbürgern, als auch um ihre Festlegung gegenüber der mächtigeren fiktiven
Persönlichkeit des Staates.

Gerade in den Zeiten, in denen das Schicksal des Staates und seiner
Angehörigen vorzugsweise in der Hand einiger weniger Macht- und Gewalthaber
lag, die tief in das Persönlichkeitsbereich willenloser Untertanen eingreifen
konnten, ist ausgiebig für die Teilnahme der Betroffenen an der Bestimmung
ihrer Schicksale gestritten worden. Mit wachsender geistiger und politischer
Mündigkeit der Masse der Volksangehörigen ist immer mehr das Recht der
Mitbestimmung über die großen Persönlichkeitsgüter, Freiheit und Eigentum,
als sittliches Gebot, als moralische Grundbedingung des Staates erkannt und
anerkannt worden.

Mannigfache philosophische und staatsrechtliche Begründungen der Begriffe
Freiheit und Eigentum sind gesucht und gefunden.

Gegenüber der absoluten Staatsgewalt und dem patriarchalischen Gottes-
gnadentum ihres unbeschränkten Trägers ist die Theorie der Volkssouveränität
als die Quelle aller staatlichen Macht geprägt. Das Recht des einzelnen im
Staate als Grundlage des staatlichen Lebens — nur beschränkt durch die großen,
im Sinne und Interesse aller liegenden Zwecke und Aufgaben des Staates —
ist als göttliches, als natürliches und ursprüngliches, als unantastbares und
unveräußerliches menschliches Urrecht, als verträgliches Mitgliedschaftsrecht —
vorbehalten jedem einzelnen bei einem wirklich oder fingiert aufgefaßten Staats-
gründungsvertrage — verkündet worden. Es ist als ein über jedem Staats¬
verbande stehendes Menschenrecht angesehen worden.

Und aus diesen theoretischen Anschauungen hat man die praktischen
Folgerungen gezogen; man hat mit fortschreitender politischer Reife, mit
wachsendem Gerechtigkeitssinn mehr und mehr den Staatsangehörigen die
Möglichkeit der Mitwirkung zur Sicherung dieser ihrer Grundgüter zuge¬
standen.

Für die immer schwerer werdenden Lasten des staatlichen Lebens hat man
als Gegengabe immer größere Teilnahme der einzelnen, auf denen dies Gewicht
ruhte, an den staatlichen Rechten eingeräumt. Um das Interesse der einzelnen
am Staate zu erhalten, um die Kraft des einzelnen für den Staat in erhöhtem
Maße nutzbar zu machen, hat man die Mitbestimmung an den Schicksalen des
öffentlichen Lebens in immer wachsenderem Maße erweitert. Stets auf der


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[0376] Freiheit und Eigentum in Frieden und Krieg und mit ihrer Erhebung zu diesem ihre feste Umgrenzung. Und wenn der Begriff des Eigentums erst mit dem Eintritt in den Bereich des Rechtes zu seiner wahren Entstehung gelangt, so muß sich die ungebundene persönliche Freiheit im Staatsverbande manche Beschränkungen gefallen lassen, und der philosophische Begriff wird zu einem durch die Praxis wesentlich beschränktem, dem der bürgerlichen Freiheit. Jahrhunderte-, ja jahrtausendelange Kämpfe sind um diese Güter geführt worden. Sowohl um die Abgrenzung der Rechtssphäre unter den einzelnen Staatsbürgern, als auch um ihre Festlegung gegenüber der mächtigeren fiktiven Persönlichkeit des Staates. Gerade in den Zeiten, in denen das Schicksal des Staates und seiner Angehörigen vorzugsweise in der Hand einiger weniger Macht- und Gewalthaber lag, die tief in das Persönlichkeitsbereich willenloser Untertanen eingreifen konnten, ist ausgiebig für die Teilnahme der Betroffenen an der Bestimmung ihrer Schicksale gestritten worden. Mit wachsender geistiger und politischer Mündigkeit der Masse der Volksangehörigen ist immer mehr das Recht der Mitbestimmung über die großen Persönlichkeitsgüter, Freiheit und Eigentum, als sittliches Gebot, als moralische Grundbedingung des Staates erkannt und anerkannt worden. Mannigfache philosophische und staatsrechtliche Begründungen der Begriffe Freiheit und Eigentum sind gesucht und gefunden. Gegenüber der absoluten Staatsgewalt und dem patriarchalischen Gottes- gnadentum ihres unbeschränkten Trägers ist die Theorie der Volkssouveränität als die Quelle aller staatlichen Macht geprägt. Das Recht des einzelnen im Staate als Grundlage des staatlichen Lebens — nur beschränkt durch die großen, im Sinne und Interesse aller liegenden Zwecke und Aufgaben des Staates — ist als göttliches, als natürliches und ursprüngliches, als unantastbares und unveräußerliches menschliches Urrecht, als verträgliches Mitgliedschaftsrecht — vorbehalten jedem einzelnen bei einem wirklich oder fingiert aufgefaßten Staats- gründungsvertrage — verkündet worden. Es ist als ein über jedem Staats¬ verbande stehendes Menschenrecht angesehen worden. Und aus diesen theoretischen Anschauungen hat man die praktischen Folgerungen gezogen; man hat mit fortschreitender politischer Reife, mit wachsendem Gerechtigkeitssinn mehr und mehr den Staatsangehörigen die Möglichkeit der Mitwirkung zur Sicherung dieser ihrer Grundgüter zuge¬ standen. Für die immer schwerer werdenden Lasten des staatlichen Lebens hat man als Gegengabe immer größere Teilnahme der einzelnen, auf denen dies Gewicht ruhte, an den staatlichen Rechten eingeräumt. Um das Interesse der einzelnen am Staate zu erhalten, um die Kraft des einzelnen für den Staat in erhöhtem Maße nutzbar zu machen, hat man die Mitbestimmung an den Schicksalen des öffentlichen Lebens in immer wachsenderem Maße erweitert. Stets auf der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/376>, abgerufen am 04.07.2024.