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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Holland

einzuschätzenden Dienst geleistet hat. Zu diesem Zwecke ist es notwendig, sich
nochmals vor Augen zu führen, was dieses Land bisher geleistet, welchen Ge¬
fahren es sich ausgesetzt hat und noch aussetzt, im politischen wie materiellen
Sinne, einzig und allein in der Erwartung, nach wie vor im europäischen
Staatenkonzerte eine nicht nur zählende, sondern auch gebietende Macht bleiben
zu können. In strategischer Hinsicht waren die Opfer, die die Niederlande, außer
den Kosten, sich selbst und den kriegführenden Mächten gebracht, nur ein Gebot an
diese, die Neutralität zu achten, das trotzdem zu brechen, wiederholt, doch nie
von deutscher Seite, versucht worden ist. In den letzten Tagen noch war wieder
die Rede, daß England abermals, und zwar in sehr kategorischer Weise, Holland
aufgefordert habe, seine Flotte die Scheide nach Antwerpen passieren zu lassen.
Wieviel Wahres daran ist, bleibe dahingestellt: soweit geht doch wohl kaum die
Kurzsichtigkeit der großbritannischen Machthaber, uns einen nicht zu verachtenden
Verbündeten und sich selbst die untrügliche Gewißheit eines wenig rühmlichen Unter¬
gangs ihrer Armada auf der Scheide verschaffen zu wollen. Nein, wenn Holland
eine große Karte spielt, so geschieht das auf dem Meere und in seinen Kolonien,
auf dem Gebiete seines nationalen Reichtums. Eine neue Kriegsanleihe von
420 Millionen Mark, das Bereithalten einer Armee von zweihunderttausend
Mann, der weitere Ausbau der Befestigungen Seelands, die Unterbindung des
neutralen Handels zur See, die Hemmung seines kolonialen Handels, die Ver¬
pflegung von einigen hunderttausend flüchtigen Belgiern, die Einschränkung
seiner kontinentalen Ausfuhr -- das alles sind Opfer, die zählen und die ihren
Preis haben. Je offener und rückhaltsloser man auch diesen politischen und
materiellen Opfermut bewundern kann und soll, um so ehrlicher muß man sich
aber auch die Frage vorlegen: unterläuft diese Rechnung der Selbstaufopferung
nicht ein großer Irrtum, waren wirklich nur die Hartnäckigkeit und
das System, von der einmal eingeschlagenen Bahn nie abzuweichen, die
wahren Triebfedern für das Tragen dieser Herkuleslasten? Holland weist
bis jetzt noch stolz jeden Anspruch auf irgendeine spätere Entschädigung
zurück: es will das bleiben, was es gewesen ist: selbständig, mit allen
Nationen gut Freund und ehrlicher Handelsmakler. Gut! Aber wird es, wie
auch immer der Krieg ausläuft, für einen neutralen Staat wie Holland möglich
sein, nur nach der bisherigen Schablone Freunde zu besitzen? Es hat in diesem
Augenblick bereits einen Staat gegen sich, der ihm seine Neutralität nie ver¬
gessen und vergeben wird: England. Diese Feindschaft kann in irgendeiner
Form zu einem eklatanten, vielleicht gar blutigen Austrage kommen. England
hat Hollands Neutralität zur See vergewaltigt, und Holland hat dagegen
protestiert. Es hat allein, ohne sich den Schritten der skandinavischen
Länder anzuschließen, seine Protestnote an England gesandt. Dabei kann es
aber nicht stehen bleiben, es wird nach dem Kriege versuchen müssen, will es
nicht die Achtung vor sich selbst und vor der übrigen Kulturwelt einbüßen,
seinem Proteste einen diplomatischen Nachdruck zu verleihen. Da hätte es also


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Holland

einzuschätzenden Dienst geleistet hat. Zu diesem Zwecke ist es notwendig, sich
nochmals vor Augen zu führen, was dieses Land bisher geleistet, welchen Ge¬
fahren es sich ausgesetzt hat und noch aussetzt, im politischen wie materiellen
Sinne, einzig und allein in der Erwartung, nach wie vor im europäischen
Staatenkonzerte eine nicht nur zählende, sondern auch gebietende Macht bleiben
zu können. In strategischer Hinsicht waren die Opfer, die die Niederlande, außer
den Kosten, sich selbst und den kriegführenden Mächten gebracht, nur ein Gebot an
diese, die Neutralität zu achten, das trotzdem zu brechen, wiederholt, doch nie
von deutscher Seite, versucht worden ist. In den letzten Tagen noch war wieder
die Rede, daß England abermals, und zwar in sehr kategorischer Weise, Holland
aufgefordert habe, seine Flotte die Scheide nach Antwerpen passieren zu lassen.
Wieviel Wahres daran ist, bleibe dahingestellt: soweit geht doch wohl kaum die
Kurzsichtigkeit der großbritannischen Machthaber, uns einen nicht zu verachtenden
Verbündeten und sich selbst die untrügliche Gewißheit eines wenig rühmlichen Unter¬
gangs ihrer Armada auf der Scheide verschaffen zu wollen. Nein, wenn Holland
eine große Karte spielt, so geschieht das auf dem Meere und in seinen Kolonien,
auf dem Gebiete seines nationalen Reichtums. Eine neue Kriegsanleihe von
420 Millionen Mark, das Bereithalten einer Armee von zweihunderttausend
Mann, der weitere Ausbau der Befestigungen Seelands, die Unterbindung des
neutralen Handels zur See, die Hemmung seines kolonialen Handels, die Ver¬
pflegung von einigen hunderttausend flüchtigen Belgiern, die Einschränkung
seiner kontinentalen Ausfuhr — das alles sind Opfer, die zählen und die ihren
Preis haben. Je offener und rückhaltsloser man auch diesen politischen und
materiellen Opfermut bewundern kann und soll, um so ehrlicher muß man sich
aber auch die Frage vorlegen: unterläuft diese Rechnung der Selbstaufopferung
nicht ein großer Irrtum, waren wirklich nur die Hartnäckigkeit und
das System, von der einmal eingeschlagenen Bahn nie abzuweichen, die
wahren Triebfedern für das Tragen dieser Herkuleslasten? Holland weist
bis jetzt noch stolz jeden Anspruch auf irgendeine spätere Entschädigung
zurück: es will das bleiben, was es gewesen ist: selbständig, mit allen
Nationen gut Freund und ehrlicher Handelsmakler. Gut! Aber wird es, wie
auch immer der Krieg ausläuft, für einen neutralen Staat wie Holland möglich
sein, nur nach der bisherigen Schablone Freunde zu besitzen? Es hat in diesem
Augenblick bereits einen Staat gegen sich, der ihm seine Neutralität nie ver¬
gessen und vergeben wird: England. Diese Feindschaft kann in irgendeiner
Form zu einem eklatanten, vielleicht gar blutigen Austrage kommen. England
hat Hollands Neutralität zur See vergewaltigt, und Holland hat dagegen
protestiert. Es hat allein, ohne sich den Schritten der skandinavischen
Länder anzuschließen, seine Protestnote an England gesandt. Dabei kann es
aber nicht stehen bleiben, es wird nach dem Kriege versuchen müssen, will es
nicht die Achtung vor sich selbst und vor der übrigen Kulturwelt einbüßen,
seinem Proteste einen diplomatischen Nachdruck zu verleihen. Da hätte es also


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[0367] Holland einzuschätzenden Dienst geleistet hat. Zu diesem Zwecke ist es notwendig, sich nochmals vor Augen zu führen, was dieses Land bisher geleistet, welchen Ge¬ fahren es sich ausgesetzt hat und noch aussetzt, im politischen wie materiellen Sinne, einzig und allein in der Erwartung, nach wie vor im europäischen Staatenkonzerte eine nicht nur zählende, sondern auch gebietende Macht bleiben zu können. In strategischer Hinsicht waren die Opfer, die die Niederlande, außer den Kosten, sich selbst und den kriegführenden Mächten gebracht, nur ein Gebot an diese, die Neutralität zu achten, das trotzdem zu brechen, wiederholt, doch nie von deutscher Seite, versucht worden ist. In den letzten Tagen noch war wieder die Rede, daß England abermals, und zwar in sehr kategorischer Weise, Holland aufgefordert habe, seine Flotte die Scheide nach Antwerpen passieren zu lassen. Wieviel Wahres daran ist, bleibe dahingestellt: soweit geht doch wohl kaum die Kurzsichtigkeit der großbritannischen Machthaber, uns einen nicht zu verachtenden Verbündeten und sich selbst die untrügliche Gewißheit eines wenig rühmlichen Unter¬ gangs ihrer Armada auf der Scheide verschaffen zu wollen. Nein, wenn Holland eine große Karte spielt, so geschieht das auf dem Meere und in seinen Kolonien, auf dem Gebiete seines nationalen Reichtums. Eine neue Kriegsanleihe von 420 Millionen Mark, das Bereithalten einer Armee von zweihunderttausend Mann, der weitere Ausbau der Befestigungen Seelands, die Unterbindung des neutralen Handels zur See, die Hemmung seines kolonialen Handels, die Ver¬ pflegung von einigen hunderttausend flüchtigen Belgiern, die Einschränkung seiner kontinentalen Ausfuhr — das alles sind Opfer, die zählen und die ihren Preis haben. Je offener und rückhaltsloser man auch diesen politischen und materiellen Opfermut bewundern kann und soll, um so ehrlicher muß man sich aber auch die Frage vorlegen: unterläuft diese Rechnung der Selbstaufopferung nicht ein großer Irrtum, waren wirklich nur die Hartnäckigkeit und das System, von der einmal eingeschlagenen Bahn nie abzuweichen, die wahren Triebfedern für das Tragen dieser Herkuleslasten? Holland weist bis jetzt noch stolz jeden Anspruch auf irgendeine spätere Entschädigung zurück: es will das bleiben, was es gewesen ist: selbständig, mit allen Nationen gut Freund und ehrlicher Handelsmakler. Gut! Aber wird es, wie auch immer der Krieg ausläuft, für einen neutralen Staat wie Holland möglich sein, nur nach der bisherigen Schablone Freunde zu besitzen? Es hat in diesem Augenblick bereits einen Staat gegen sich, der ihm seine Neutralität nie ver¬ gessen und vergeben wird: England. Diese Feindschaft kann in irgendeiner Form zu einem eklatanten, vielleicht gar blutigen Austrage kommen. England hat Hollands Neutralität zur See vergewaltigt, und Holland hat dagegen protestiert. Es hat allein, ohne sich den Schritten der skandinavischen Länder anzuschließen, seine Protestnote an England gesandt. Dabei kann es aber nicht stehen bleiben, es wird nach dem Kriege versuchen müssen, will es nicht die Achtung vor sich selbst und vor der übrigen Kulturwelt einbüßen, seinem Proteste einen diplomatischen Nachdruck zu verleihen. Da hätte es also 23*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/367>, abgerufen am 04.07.2024.