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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Holland

bereitungen in Ruhe und Überlegung. Wir sollten uns also besser nicht bereits
heute den Kopf derjenigen Staaten zerbrechen, die nicht offen mit uns sind,
nicht mit uns sein können oder wollen. Wir sollten ihnen vor allen
Dingen nicht, beleidigt ohne ersichtlichen Grund, zu nahe treten und damit
gegen unsere spätere politische Aktion im Auslande Stimmung machen.
Wir sollten, im Gegenteil, ihnen ihre schwierige Stellung erleichtern und
ihnen durch unbefangene Schilderungen und Betrachtungen ihrer wie der
allgemeinen Lage Gelegenheit geben, auch über sich selbst und über uns sich
ein besseres Urteil zu bilden. Mögen sie auch mehr oder weniger nicht unsere
Freunde sein, sie können sie werden. Je stärker wir sind und werden, desto
willkommener und notwendiger werden uns Freunde sein. Und dann noch
eins: Mäßigung im Denken, Sprechen und Handeln! Ich möchte in dieser
Richtung an die treffenden Worte erinnern, die vor vielen Wochen schon Immanuel
Heult, der Reichstagsabgeordnete und Pfarrer an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis¬
kirche in einem Aufsatze, betitelt: "Wir und das Ausland" schrieb. Sie lauteten:
"Allerdings ist es mehr als fraglich, ob jeder soviel Takt und Einsicht besitzt,
um in dieser Sache reden zu dürfen .... Nein, nicht jeder ist befugt, in
dieser Sache (der geistigen und journalistischen Propaganda in das Ausland. D.V.)
öffentlich zu wirken, schon aus dem Grunde nicht, weil nicht jeder die Sprache
des Auslandes redet und nicht jeder im Auslande unsere Sprache versteht."
Gegen solche elementare Grundsätze der Realpolitik ist in letzter Zeit häufig
verstoßen worden. Wer Blinden die Augen öffnen will, muß selbst sehen, muß
vor allem ruhig und unbefangen bleiben können. Nur in dem Bewußtsein
völliger Unvoreingenommenheit wage ich mich deshalb an ein überaus dorniges
und schwieriges Thema, das unvorsichtige Überstürzung zu verwirren und noch
schwieliger zu gestalten droht. Ich meine das holländische. Jeder, der die
Ausflüsse der öffentlichen Meinung bei uns bezüglich Hollands aufmerksam
verfolgt hat, versteht die Notwendigkeit vorstehender einleitender Worte. Um
Holland abzuwägen, bedarf es eines Jmkerhandschuhes und einer Jmkermaske.
Dieses Land ist uns ein noch fremder, noch nicht an uns gewöhnter Schwarm.
Er kann sich allerdings an uns gewöhnen und uns guten Honig bescheren,
zunächst aber müssen wir ihn zu behandeln lernen, sonst fliegt er uns, beleidigt,
auf Nimmerwiedersehen davon.

Die holländische Frage -- es gibt in der Tat eine solche für uns schon
gegenwärtig -- läßt sich nicht im Rahmen einer räumlich beschränkten Betrachtung
erschöpfend abtun. Sie dünkt mich jedenfalls viel interessanter und für die zu¬
künftige Sicherheit des Deutschen Reiches viel bedeutsamer, als die halb gelöste
belgische, oder irgendeines anderen europäischen neutralen Staates. Wir
müssen deshalb heute schon weiter denken, über die dankbare Genugtuung hinaus,
daß Holland durch seine stritte und gewissenhafte Neutralität, mag sie in
erster Linie auch durch den Selbsterhaltungstrieb vorgeschrieben und eingegeben
worden sein, uns, vor allem im strategischen Sinne, einen nicht hoch genug


Holland

bereitungen in Ruhe und Überlegung. Wir sollten uns also besser nicht bereits
heute den Kopf derjenigen Staaten zerbrechen, die nicht offen mit uns sind,
nicht mit uns sein können oder wollen. Wir sollten ihnen vor allen
Dingen nicht, beleidigt ohne ersichtlichen Grund, zu nahe treten und damit
gegen unsere spätere politische Aktion im Auslande Stimmung machen.
Wir sollten, im Gegenteil, ihnen ihre schwierige Stellung erleichtern und
ihnen durch unbefangene Schilderungen und Betrachtungen ihrer wie der
allgemeinen Lage Gelegenheit geben, auch über sich selbst und über uns sich
ein besseres Urteil zu bilden. Mögen sie auch mehr oder weniger nicht unsere
Freunde sein, sie können sie werden. Je stärker wir sind und werden, desto
willkommener und notwendiger werden uns Freunde sein. Und dann noch
eins: Mäßigung im Denken, Sprechen und Handeln! Ich möchte in dieser
Richtung an die treffenden Worte erinnern, die vor vielen Wochen schon Immanuel
Heult, der Reichstagsabgeordnete und Pfarrer an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis¬
kirche in einem Aufsatze, betitelt: „Wir und das Ausland" schrieb. Sie lauteten:
„Allerdings ist es mehr als fraglich, ob jeder soviel Takt und Einsicht besitzt,
um in dieser Sache reden zu dürfen .... Nein, nicht jeder ist befugt, in
dieser Sache (der geistigen und journalistischen Propaganda in das Ausland. D.V.)
öffentlich zu wirken, schon aus dem Grunde nicht, weil nicht jeder die Sprache
des Auslandes redet und nicht jeder im Auslande unsere Sprache versteht."
Gegen solche elementare Grundsätze der Realpolitik ist in letzter Zeit häufig
verstoßen worden. Wer Blinden die Augen öffnen will, muß selbst sehen, muß
vor allem ruhig und unbefangen bleiben können. Nur in dem Bewußtsein
völliger Unvoreingenommenheit wage ich mich deshalb an ein überaus dorniges
und schwieriges Thema, das unvorsichtige Überstürzung zu verwirren und noch
schwieliger zu gestalten droht. Ich meine das holländische. Jeder, der die
Ausflüsse der öffentlichen Meinung bei uns bezüglich Hollands aufmerksam
verfolgt hat, versteht die Notwendigkeit vorstehender einleitender Worte. Um
Holland abzuwägen, bedarf es eines Jmkerhandschuhes und einer Jmkermaske.
Dieses Land ist uns ein noch fremder, noch nicht an uns gewöhnter Schwarm.
Er kann sich allerdings an uns gewöhnen und uns guten Honig bescheren,
zunächst aber müssen wir ihn zu behandeln lernen, sonst fliegt er uns, beleidigt,
auf Nimmerwiedersehen davon.

Die holländische Frage — es gibt in der Tat eine solche für uns schon
gegenwärtig — läßt sich nicht im Rahmen einer räumlich beschränkten Betrachtung
erschöpfend abtun. Sie dünkt mich jedenfalls viel interessanter und für die zu¬
künftige Sicherheit des Deutschen Reiches viel bedeutsamer, als die halb gelöste
belgische, oder irgendeines anderen europäischen neutralen Staates. Wir
müssen deshalb heute schon weiter denken, über die dankbare Genugtuung hinaus,
daß Holland durch seine stritte und gewissenhafte Neutralität, mag sie in
erster Linie auch durch den Selbsterhaltungstrieb vorgeschrieben und eingegeben
worden sein, uns, vor allem im strategischen Sinne, einen nicht hoch genug


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[0366] Holland bereitungen in Ruhe und Überlegung. Wir sollten uns also besser nicht bereits heute den Kopf derjenigen Staaten zerbrechen, die nicht offen mit uns sind, nicht mit uns sein können oder wollen. Wir sollten ihnen vor allen Dingen nicht, beleidigt ohne ersichtlichen Grund, zu nahe treten und damit gegen unsere spätere politische Aktion im Auslande Stimmung machen. Wir sollten, im Gegenteil, ihnen ihre schwierige Stellung erleichtern und ihnen durch unbefangene Schilderungen und Betrachtungen ihrer wie der allgemeinen Lage Gelegenheit geben, auch über sich selbst und über uns sich ein besseres Urteil zu bilden. Mögen sie auch mehr oder weniger nicht unsere Freunde sein, sie können sie werden. Je stärker wir sind und werden, desto willkommener und notwendiger werden uns Freunde sein. Und dann noch eins: Mäßigung im Denken, Sprechen und Handeln! Ich möchte in dieser Richtung an die treffenden Worte erinnern, die vor vielen Wochen schon Immanuel Heult, der Reichstagsabgeordnete und Pfarrer an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis¬ kirche in einem Aufsatze, betitelt: „Wir und das Ausland" schrieb. Sie lauteten: „Allerdings ist es mehr als fraglich, ob jeder soviel Takt und Einsicht besitzt, um in dieser Sache reden zu dürfen .... Nein, nicht jeder ist befugt, in dieser Sache (der geistigen und journalistischen Propaganda in das Ausland. D.V.) öffentlich zu wirken, schon aus dem Grunde nicht, weil nicht jeder die Sprache des Auslandes redet und nicht jeder im Auslande unsere Sprache versteht." Gegen solche elementare Grundsätze der Realpolitik ist in letzter Zeit häufig verstoßen worden. Wer Blinden die Augen öffnen will, muß selbst sehen, muß vor allem ruhig und unbefangen bleiben können. Nur in dem Bewußtsein völliger Unvoreingenommenheit wage ich mich deshalb an ein überaus dorniges und schwieriges Thema, das unvorsichtige Überstürzung zu verwirren und noch schwieliger zu gestalten droht. Ich meine das holländische. Jeder, der die Ausflüsse der öffentlichen Meinung bei uns bezüglich Hollands aufmerksam verfolgt hat, versteht die Notwendigkeit vorstehender einleitender Worte. Um Holland abzuwägen, bedarf es eines Jmkerhandschuhes und einer Jmkermaske. Dieses Land ist uns ein noch fremder, noch nicht an uns gewöhnter Schwarm. Er kann sich allerdings an uns gewöhnen und uns guten Honig bescheren, zunächst aber müssen wir ihn zu behandeln lernen, sonst fliegt er uns, beleidigt, auf Nimmerwiedersehen davon. Die holländische Frage — es gibt in der Tat eine solche für uns schon gegenwärtig — läßt sich nicht im Rahmen einer räumlich beschränkten Betrachtung erschöpfend abtun. Sie dünkt mich jedenfalls viel interessanter und für die zu¬ künftige Sicherheit des Deutschen Reiches viel bedeutsamer, als die halb gelöste belgische, oder irgendeines anderen europäischen neutralen Staates. Wir müssen deshalb heute schon weiter denken, über die dankbare Genugtuung hinaus, daß Holland durch seine stritte und gewissenhafte Neutralität, mag sie in erster Linie auch durch den Selbsterhaltungstrieb vorgeschrieben und eingegeben worden sein, uns, vor allem im strategischen Sinne, einen nicht hoch genug

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/366>, abgerufen am 04.07.2024.