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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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vom Recht der Zukunft

Wie könnte bei dieser Grundstimmung ein Vorschlag, das Privatrecht in
größerem Umfang Zwecken der Volkswirtschaft und des gesellschaftlichen Lebens
dienstbar zu machen, auf die erforderliche Unterstützung rechnen?

Aber auch angenommen, es gelänge, das Interesse derer zu gewinnen,
die durch ihre Kenntnis des Privatrechts und seiner geschichtlichen Zusammen¬
hänge mit der Kulturentwicklung zum Urteil über die Tauglichkeit des Mittels
berufen wären, welche Schwierigkeiten würden sich auftürmen, ehe ein Entwurf
zum Gesetz werden könnte I

Auf einige Sympathien hätte zwar der Zweckgedanke auch schon in der
hinter uns liegenden Friedenszeit rechnen können.

Ein junger Philosoph hat in einem kurz vor dem Kriege erschienenen Buch
gesagt, was den begabten Arbeiter quält, sei die Aussichtslosigkeit des Empor¬
rückens. Die wichtigste Frage sei die, ob es nicht Mittel gäbe, die ohne den
Zwang des Sozialismus das Bildungsprivileg des Besitzes vereiteln und damit
den Grund beseitigen, aus dem der Kapitalismus kulturfeindlich zu nennen sei.

So haben auch andere gedacht, es sei nicht gut, wenn der talentvolle
Sohn des tüchtigen Fabrikarbeiters nur durch außergewöhnliche Glücksumstände
über die Volksschule hinaus gelangen könne. Das sei nicht gut, weil es eine
die Volkseinheit zerrüttende Verbitterung erzeuge. Neid und Mißachtung habe
es immer zwischen Besitzenden und Besitzlosen, zwischen Arm und Reich gegeben,
nicht aber die Entfremdung unserer Tage. Diese Entfremdung und damit der
Klassengegensatz sind erst erwachsen, seit dem Unbemittelten mehr und mehr, und
in Deutschland mehr als etwa in Amerika die Hoffnung schwand, sich oder doch
seine Kinder durch wirtschaftliche Tüchtigkeit zu höheren Sphären emporzuheben.
Es sei aber auch nicht gut für die wirtschaftliche Arbeit und die Kultur¬
entwicklung der Nation im ganzen, wenn die intellektuellen und ethischen Kräfte
der sogenannten unteren Klasse in Hoffnungslosigkeit verkümmern. Wir haben
uns bemüht, unserem Boden den größten Ertrag abzugewinnen, allen Natur¬
kräften die höchsten Leistungen abzuzwingen. Sollten wir nicht ebenso bestrebt
sein, die in den Menschen schlummernden Energien zu entwickeln und sie für
unser Wirtschafts- und Kulturleben auszunutzen?

Allein die so dachten und sich nicht mit unfruchtbarer Klage begnügten,
waren gewohnt, andere Wege zum Ziel zu empfehlen.

Jener Philosoph forderte eine Demokratisierung der Bildungsmittel in dem
Sinne, daß die Geburt fortan niemanden mehr, der von besonderer Begabung
ist, an einer höheren Laufbahn hindert. Die experimentelle Psychologie habe
schon gute Methoden zur Feststellung der Begabungen gefunden. Auf solche
Weise geschulte Kommissionen sollen die Talente der unteren Klassen in Sonder¬
schulen bringen, für die der Staat große Fonds zur Verfügung zu stellen habe.
So sollen die Begabtesten aus der Besitzlosigkeit über die Bildung zum Besitz
und zum maßgebenden Einfluß auf das Leben von Volk und Staat hinauf¬
geführt werden.


vom Recht der Zukunft

Wie könnte bei dieser Grundstimmung ein Vorschlag, das Privatrecht in
größerem Umfang Zwecken der Volkswirtschaft und des gesellschaftlichen Lebens
dienstbar zu machen, auf die erforderliche Unterstützung rechnen?

Aber auch angenommen, es gelänge, das Interesse derer zu gewinnen,
die durch ihre Kenntnis des Privatrechts und seiner geschichtlichen Zusammen¬
hänge mit der Kulturentwicklung zum Urteil über die Tauglichkeit des Mittels
berufen wären, welche Schwierigkeiten würden sich auftürmen, ehe ein Entwurf
zum Gesetz werden könnte I

Auf einige Sympathien hätte zwar der Zweckgedanke auch schon in der
hinter uns liegenden Friedenszeit rechnen können.

Ein junger Philosoph hat in einem kurz vor dem Kriege erschienenen Buch
gesagt, was den begabten Arbeiter quält, sei die Aussichtslosigkeit des Empor¬
rückens. Die wichtigste Frage sei die, ob es nicht Mittel gäbe, die ohne den
Zwang des Sozialismus das Bildungsprivileg des Besitzes vereiteln und damit
den Grund beseitigen, aus dem der Kapitalismus kulturfeindlich zu nennen sei.

So haben auch andere gedacht, es sei nicht gut, wenn der talentvolle
Sohn des tüchtigen Fabrikarbeiters nur durch außergewöhnliche Glücksumstände
über die Volksschule hinaus gelangen könne. Das sei nicht gut, weil es eine
die Volkseinheit zerrüttende Verbitterung erzeuge. Neid und Mißachtung habe
es immer zwischen Besitzenden und Besitzlosen, zwischen Arm und Reich gegeben,
nicht aber die Entfremdung unserer Tage. Diese Entfremdung und damit der
Klassengegensatz sind erst erwachsen, seit dem Unbemittelten mehr und mehr, und
in Deutschland mehr als etwa in Amerika die Hoffnung schwand, sich oder doch
seine Kinder durch wirtschaftliche Tüchtigkeit zu höheren Sphären emporzuheben.
Es sei aber auch nicht gut für die wirtschaftliche Arbeit und die Kultur¬
entwicklung der Nation im ganzen, wenn die intellektuellen und ethischen Kräfte
der sogenannten unteren Klasse in Hoffnungslosigkeit verkümmern. Wir haben
uns bemüht, unserem Boden den größten Ertrag abzugewinnen, allen Natur¬
kräften die höchsten Leistungen abzuzwingen. Sollten wir nicht ebenso bestrebt
sein, die in den Menschen schlummernden Energien zu entwickeln und sie für
unser Wirtschafts- und Kulturleben auszunutzen?

Allein die so dachten und sich nicht mit unfruchtbarer Klage begnügten,
waren gewohnt, andere Wege zum Ziel zu empfehlen.

Jener Philosoph forderte eine Demokratisierung der Bildungsmittel in dem
Sinne, daß die Geburt fortan niemanden mehr, der von besonderer Begabung
ist, an einer höheren Laufbahn hindert. Die experimentelle Psychologie habe
schon gute Methoden zur Feststellung der Begabungen gefunden. Auf solche
Weise geschulte Kommissionen sollen die Talente der unteren Klassen in Sonder¬
schulen bringen, für die der Staat große Fonds zur Verfügung zu stellen habe.
So sollen die Begabtesten aus der Besitzlosigkeit über die Bildung zum Besitz
und zum maßgebenden Einfluß auf das Leben von Volk und Staat hinauf¬
geführt werden.


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[0314] vom Recht der Zukunft Wie könnte bei dieser Grundstimmung ein Vorschlag, das Privatrecht in größerem Umfang Zwecken der Volkswirtschaft und des gesellschaftlichen Lebens dienstbar zu machen, auf die erforderliche Unterstützung rechnen? Aber auch angenommen, es gelänge, das Interesse derer zu gewinnen, die durch ihre Kenntnis des Privatrechts und seiner geschichtlichen Zusammen¬ hänge mit der Kulturentwicklung zum Urteil über die Tauglichkeit des Mittels berufen wären, welche Schwierigkeiten würden sich auftürmen, ehe ein Entwurf zum Gesetz werden könnte I Auf einige Sympathien hätte zwar der Zweckgedanke auch schon in der hinter uns liegenden Friedenszeit rechnen können. Ein junger Philosoph hat in einem kurz vor dem Kriege erschienenen Buch gesagt, was den begabten Arbeiter quält, sei die Aussichtslosigkeit des Empor¬ rückens. Die wichtigste Frage sei die, ob es nicht Mittel gäbe, die ohne den Zwang des Sozialismus das Bildungsprivileg des Besitzes vereiteln und damit den Grund beseitigen, aus dem der Kapitalismus kulturfeindlich zu nennen sei. So haben auch andere gedacht, es sei nicht gut, wenn der talentvolle Sohn des tüchtigen Fabrikarbeiters nur durch außergewöhnliche Glücksumstände über die Volksschule hinaus gelangen könne. Das sei nicht gut, weil es eine die Volkseinheit zerrüttende Verbitterung erzeuge. Neid und Mißachtung habe es immer zwischen Besitzenden und Besitzlosen, zwischen Arm und Reich gegeben, nicht aber die Entfremdung unserer Tage. Diese Entfremdung und damit der Klassengegensatz sind erst erwachsen, seit dem Unbemittelten mehr und mehr, und in Deutschland mehr als etwa in Amerika die Hoffnung schwand, sich oder doch seine Kinder durch wirtschaftliche Tüchtigkeit zu höheren Sphären emporzuheben. Es sei aber auch nicht gut für die wirtschaftliche Arbeit und die Kultur¬ entwicklung der Nation im ganzen, wenn die intellektuellen und ethischen Kräfte der sogenannten unteren Klasse in Hoffnungslosigkeit verkümmern. Wir haben uns bemüht, unserem Boden den größten Ertrag abzugewinnen, allen Natur¬ kräften die höchsten Leistungen abzuzwingen. Sollten wir nicht ebenso bestrebt sein, die in den Menschen schlummernden Energien zu entwickeln und sie für unser Wirtschafts- und Kulturleben auszunutzen? Allein die so dachten und sich nicht mit unfruchtbarer Klage begnügten, waren gewohnt, andere Wege zum Ziel zu empfehlen. Jener Philosoph forderte eine Demokratisierung der Bildungsmittel in dem Sinne, daß die Geburt fortan niemanden mehr, der von besonderer Begabung ist, an einer höheren Laufbahn hindert. Die experimentelle Psychologie habe schon gute Methoden zur Feststellung der Begabungen gefunden. Auf solche Weise geschulte Kommissionen sollen die Talente der unteren Klassen in Sonder¬ schulen bringen, für die der Staat große Fonds zur Verfügung zu stellen habe. So sollen die Begabtesten aus der Besitzlosigkeit über die Bildung zum Besitz und zum maßgebenden Einfluß auf das Leben von Volk und Staat hinauf¬ geführt werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/314>, abgerufen am 04.07.2024.