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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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vom Recht der Zukunft

aber zugleich ist ein Teil des Flußgebietes versumpft. Es wird darauf ankommen,
aus dem von der kapitalistischen Strömung selbst abgelagerten Gestein Dämme
zu bauen, die den Fluß nötigen, alle seine Gewässer ungetrennt dem Meere
zuzuführen -- ohne Bild ausgedrückt: es kommt darauf an, durch die Umbildung
von Einrichtungen der modernen kapitalistischen Gesetzgebung, insbesondere des
Handelsgesetzbuchs, die Scheidung einer besitzenden und einer besitzlosen Klasse
aufzuheben.

Mit der Einsicht, daß das Privatrecht dazu Mittel bieten kann, wäre indessen
noch nichts getan. Wird es auch möglich sein, diese Mittel zur Anwendung zu
bringen, den Gedanken in die Tat umzusetzen?

Bei den Erfindungen unserer Technik hat regelmäßig nicht der Erfindungs¬
gedanke die schwerste Arbeit gekostet. Größere Schwierigkeiten waren zu über¬
winden, wenn es galt, den Erfindungsgedanken zur praktischen Verwendung
auszubilden, über seine Brauchbarkeit aufzuklären, für den Zweck, dem die
Erfindung dienen soll, zu interessieren, für die Verwirklichung dieses Zwecks
den Willen und die Kunst der maßgebenden Kreise zu gewinnen.

Der Gedanke, daß durch privatrechtliche Neuerungen der Arbeit das Auf¬
steigen zu Besitz, Bildung, Ehre und Einfluß im öffentlichen Leben garantiert
und damit der Klassengegensatz beseitigt werden könnte, wird dem gleichen
Schicksal nicht entgehen können. Die Schwierigkeiten, die sich seiner Verwirk¬
lichung entgegenstellen, sind groß, so groß, daß sie noch vor wenigen Monaten
als unüberwindlich erscheinen mußten.

Nicht als ob es übermäßig schwierig sein würde, die erforderlichen Ge¬
setzesvorschriften zu entwerfen. Die nötigen Novellen würden vermutlich sehr
viel einfacher und kürzer ausfallen als etwa die Reichsversicherungsordnung.

Allel/schon zur Verbreitung des so völlig unpopulären Gedankens, daß
mit privatrechtlicher Gesetzgebung Sozialpolitik größeren Stils zu treiben sei,
bedürfte es der Beihilfe der Jurisprudenz im ganzen. Im Juristenkreise wird
aber der Gedanke einer Abneigung begegnen, von der keineswegs behauptet
werden soll, daß sie unberechtigt und auf Vorurteile zurückzuführen sei. Ein
auf ungenügender Kenntnis der geschichtlichen Wechselwirkungen beruhendes
Vorurteil ist es allerdings, wenn man annimmt, daß das Privatrecht mit der
Volkswirtschaft und der Gesellschaftsordnung nichts zu tun habe und die
privatrechtliche Gesetzgebung deshalb die Volkswirtschaft und die Gesellschafts¬
ordnung überhaupt nicht beeinflussen könne. Anders aber steht es um die
Meinung, daß die privatrechtliche Gesetzgebung solchen Einfluß nicht ausüben
solle, daß sie das Privatrecht entwürdige, wenn sie mit seiner Hilfe das gesell¬
schaftliche Leben regulieren und korrigieren wolle. Diese Meinung fußt auf
der Anschauung, daß man das Recht überhaupt nicht als Mittel zum Zweck
gebrauchen dürfe. Das war die Auffassung eines Savignn, und man wird
dieser Auffassung keinesfalls Größe und Würde absprechen dürfen. Das Recht
ist danach Selbstzweck, denn es ist etwas Heiliges, und das Heilige soll der


vom Recht der Zukunft

aber zugleich ist ein Teil des Flußgebietes versumpft. Es wird darauf ankommen,
aus dem von der kapitalistischen Strömung selbst abgelagerten Gestein Dämme
zu bauen, die den Fluß nötigen, alle seine Gewässer ungetrennt dem Meere
zuzuführen — ohne Bild ausgedrückt: es kommt darauf an, durch die Umbildung
von Einrichtungen der modernen kapitalistischen Gesetzgebung, insbesondere des
Handelsgesetzbuchs, die Scheidung einer besitzenden und einer besitzlosen Klasse
aufzuheben.

Mit der Einsicht, daß das Privatrecht dazu Mittel bieten kann, wäre indessen
noch nichts getan. Wird es auch möglich sein, diese Mittel zur Anwendung zu
bringen, den Gedanken in die Tat umzusetzen?

Bei den Erfindungen unserer Technik hat regelmäßig nicht der Erfindungs¬
gedanke die schwerste Arbeit gekostet. Größere Schwierigkeiten waren zu über¬
winden, wenn es galt, den Erfindungsgedanken zur praktischen Verwendung
auszubilden, über seine Brauchbarkeit aufzuklären, für den Zweck, dem die
Erfindung dienen soll, zu interessieren, für die Verwirklichung dieses Zwecks
den Willen und die Kunst der maßgebenden Kreise zu gewinnen.

Der Gedanke, daß durch privatrechtliche Neuerungen der Arbeit das Auf¬
steigen zu Besitz, Bildung, Ehre und Einfluß im öffentlichen Leben garantiert
und damit der Klassengegensatz beseitigt werden könnte, wird dem gleichen
Schicksal nicht entgehen können. Die Schwierigkeiten, die sich seiner Verwirk¬
lichung entgegenstellen, sind groß, so groß, daß sie noch vor wenigen Monaten
als unüberwindlich erscheinen mußten.

Nicht als ob es übermäßig schwierig sein würde, die erforderlichen Ge¬
setzesvorschriften zu entwerfen. Die nötigen Novellen würden vermutlich sehr
viel einfacher und kürzer ausfallen als etwa die Reichsversicherungsordnung.

Allel/schon zur Verbreitung des so völlig unpopulären Gedankens, daß
mit privatrechtlicher Gesetzgebung Sozialpolitik größeren Stils zu treiben sei,
bedürfte es der Beihilfe der Jurisprudenz im ganzen. Im Juristenkreise wird
aber der Gedanke einer Abneigung begegnen, von der keineswegs behauptet
werden soll, daß sie unberechtigt und auf Vorurteile zurückzuführen sei. Ein
auf ungenügender Kenntnis der geschichtlichen Wechselwirkungen beruhendes
Vorurteil ist es allerdings, wenn man annimmt, daß das Privatrecht mit der
Volkswirtschaft und der Gesellschaftsordnung nichts zu tun habe und die
privatrechtliche Gesetzgebung deshalb die Volkswirtschaft und die Gesellschafts¬
ordnung überhaupt nicht beeinflussen könne. Anders aber steht es um die
Meinung, daß die privatrechtliche Gesetzgebung solchen Einfluß nicht ausüben
solle, daß sie das Privatrecht entwürdige, wenn sie mit seiner Hilfe das gesell¬
schaftliche Leben regulieren und korrigieren wolle. Diese Meinung fußt auf
der Anschauung, daß man das Recht überhaupt nicht als Mittel zum Zweck
gebrauchen dürfe. Das war die Auffassung eines Savignn, und man wird
dieser Auffassung keinesfalls Größe und Würde absprechen dürfen. Das Recht
ist danach Selbstzweck, denn es ist etwas Heiliges, und das Heilige soll der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/312>, abgerufen am 04.07.2024.