Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.vom Roche der Zukunft Das Strombett macht nicht das Wasser und macht nicht, daß das Wasser Aber nur im begrenzenden Flußbett wird das fließende Wasser zum Fluß. Jede Veränderung des Flußbettes, mag sie durch die Strömung oder un¬ Soweit läßt sich der Vergleich wohl durchführen. Nun aber muß ein Man hat längst beobachtet, daß selbst durch unscheinbare Veränderungen Der Jurist hat nicht zu fragen, ob mit gleicher Sorgfalt beobachtet worden Solange solche umfassende Beobachtung fehlt, kann man nicht wohl daran vom Roche der Zukunft Das Strombett macht nicht das Wasser und macht nicht, daß das Wasser Aber nur im begrenzenden Flußbett wird das fließende Wasser zum Fluß. Jede Veränderung des Flußbettes, mag sie durch die Strömung oder un¬ Soweit läßt sich der Vergleich wohl durchführen. Nun aber muß ein Man hat längst beobachtet, daß selbst durch unscheinbare Veränderungen Der Jurist hat nicht zu fragen, ob mit gleicher Sorgfalt beobachtet worden Solange solche umfassende Beobachtung fehlt, kann man nicht wohl daran <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0309" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329537"/> <fw type="header" place="top"> vom Roche der Zukunft</fw><lb/> <p xml:id="ID_1102"> Das Strombett macht nicht das Wasser und macht nicht, daß das Wasser<lb/> strömt. So schaffen auch Sitte, Sittlichkeit und Recht nicht die wirtschaftenden<lb/> Menschen und die Impulse ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit.</p><lb/> <p xml:id="ID_1103"> Aber nur im begrenzenden Flußbett wird das fließende Wasser zum Fluß.<lb/> Nur in der Einfassung durch Sitte. Sittlichkeit und Recht wird das Wirtschaften<lb/> des Menschen zur Volkswirtschaft.</p><lb/> <p xml:id="ID_1104"> Jede Veränderung des Flußbettes, mag sie durch die Strömung oder un¬<lb/> abhängig von ihr durch vulkanische oder tektonische Einwirkungen, oder auch<lb/> durch menschliche Arbeit herbeigeführt sein, übt auf das fließende Wasser einen<lb/> größeren oder geringeren Einfluß aus. So läßt auch jede Wandlung von<lb/> Sitte und Sittlichkeit, öffentlichem und Privatrecht das Volksleben anders dahin-<lb/> fluten als bisher.</p><lb/> <p xml:id="ID_1105"> Soweit läßt sich der Vergleich wohl durchführen. Nun aber muß ein<lb/> Unterschied folgen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1106"> Man hat längst beobachtet, daß selbst durch unscheinbare Veränderungen<lb/> des Flußbettes ein Fluß gezwungen wird, seine Richtung zu ändern oder tiefer<lb/> und geschlossener zu fließen. Auf Grund dieser Beobachtungen vermag unsere<lb/> Strombautechnik mit Baggerungen. Anstauungen, Dammbauten erstaunliche<lb/> Einwirkungen auf die Stromlaufe auszuüben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1107"> Der Jurist hat nicht zu fragen, ob mit gleicher Sorgfalt beobachtet worden<lb/> ist, wie Veränderungen der Volksmoral oder Volkssitte das wirtschaftliche Leben<lb/> beeinflußt haben. Was das Privatrecht betrifft, auf das es hier ankommt,<lb/> fehlt es nicht ganz an der Beobachtung von Einwirkungen, die einzelne Ver¬<lb/> änderungen desselben auf die Volkswirtschaft ausgeübt haben. Wir wissen z. B.<lb/> dank den Forschungen von Nationalökonomen, wie verschieden sich die agrarischen<lb/> Verhältnisse gestaltet haben, je nachdem das Erbrecht den Übergang des Bauern¬<lb/> hofes auf einen Sohn und die Abfindung der übrigen Kinder, oder aber die<lb/> Teilung unter allen Söhnen und Töchtern vorsah. Wir haben Beobachtungen<lb/> darüber gesammelt, welche Bedeutung für die Entwicklung der Industrie die<lb/> Ausgestaltung des Privatrechts der Aktiengesellschaften oder für die Erhaltung<lb/> eines gewerblichen Mittelstandes das Genossenschaftsrecht gewonnen hat. Es ist<lb/> zu zeigen versucht worden, daß ohne gewisse Veränderungen im Hypothekenrecht<lb/> und im Recht der Wertpapiere die kapitalistische Wirtschaftsordnung mit der sie<lb/> charakterisierenden Vorherrschaft der Großunternehmungen sich in Deutschland<lb/> nicht oder nicht so schnell hätte durchsetzen können. Aber diese und andere<lb/> Einzelbeobachtungen ändern nichts daran, daß die, deren Sache es wäre, noch<lb/> kaum an die Aufgabe herangetreten sind, zu untersuchen, wie das Privatrecht<lb/> im ganzen und in allen seinen Teilen vom Altertum bis zur Gegenwart die<lb/> Ausgestaltung und Umgestaltung der Volkswirtschaft beeinflußt hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_1108" next="#ID_1109"> Solange solche umfassende Beobachtung fehlt, kann man nicht wohl daran<lb/> denken, durch Veränderung des Privatrechts die Volkswirtschaft zu reformieren,<lb/> und umgekehrt, solange man nicht an die Möglichkeit dachte, mit</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0309]
vom Roche der Zukunft
Das Strombett macht nicht das Wasser und macht nicht, daß das Wasser
strömt. So schaffen auch Sitte, Sittlichkeit und Recht nicht die wirtschaftenden
Menschen und die Impulse ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit.
Aber nur im begrenzenden Flußbett wird das fließende Wasser zum Fluß.
Nur in der Einfassung durch Sitte. Sittlichkeit und Recht wird das Wirtschaften
des Menschen zur Volkswirtschaft.
Jede Veränderung des Flußbettes, mag sie durch die Strömung oder un¬
abhängig von ihr durch vulkanische oder tektonische Einwirkungen, oder auch
durch menschliche Arbeit herbeigeführt sein, übt auf das fließende Wasser einen
größeren oder geringeren Einfluß aus. So läßt auch jede Wandlung von
Sitte und Sittlichkeit, öffentlichem und Privatrecht das Volksleben anders dahin-
fluten als bisher.
Soweit läßt sich der Vergleich wohl durchführen. Nun aber muß ein
Unterschied folgen.
Man hat längst beobachtet, daß selbst durch unscheinbare Veränderungen
des Flußbettes ein Fluß gezwungen wird, seine Richtung zu ändern oder tiefer
und geschlossener zu fließen. Auf Grund dieser Beobachtungen vermag unsere
Strombautechnik mit Baggerungen. Anstauungen, Dammbauten erstaunliche
Einwirkungen auf die Stromlaufe auszuüben.
Der Jurist hat nicht zu fragen, ob mit gleicher Sorgfalt beobachtet worden
ist, wie Veränderungen der Volksmoral oder Volkssitte das wirtschaftliche Leben
beeinflußt haben. Was das Privatrecht betrifft, auf das es hier ankommt,
fehlt es nicht ganz an der Beobachtung von Einwirkungen, die einzelne Ver¬
änderungen desselben auf die Volkswirtschaft ausgeübt haben. Wir wissen z. B.
dank den Forschungen von Nationalökonomen, wie verschieden sich die agrarischen
Verhältnisse gestaltet haben, je nachdem das Erbrecht den Übergang des Bauern¬
hofes auf einen Sohn und die Abfindung der übrigen Kinder, oder aber die
Teilung unter allen Söhnen und Töchtern vorsah. Wir haben Beobachtungen
darüber gesammelt, welche Bedeutung für die Entwicklung der Industrie die
Ausgestaltung des Privatrechts der Aktiengesellschaften oder für die Erhaltung
eines gewerblichen Mittelstandes das Genossenschaftsrecht gewonnen hat. Es ist
zu zeigen versucht worden, daß ohne gewisse Veränderungen im Hypothekenrecht
und im Recht der Wertpapiere die kapitalistische Wirtschaftsordnung mit der sie
charakterisierenden Vorherrschaft der Großunternehmungen sich in Deutschland
nicht oder nicht so schnell hätte durchsetzen können. Aber diese und andere
Einzelbeobachtungen ändern nichts daran, daß die, deren Sache es wäre, noch
kaum an die Aufgabe herangetreten sind, zu untersuchen, wie das Privatrecht
im ganzen und in allen seinen Teilen vom Altertum bis zur Gegenwart die
Ausgestaltung und Umgestaltung der Volkswirtschaft beeinflußt hat.
Solange solche umfassende Beobachtung fehlt, kann man nicht wohl daran
denken, durch Veränderung des Privatrechts die Volkswirtschaft zu reformieren,
und umgekehrt, solange man nicht an die Möglichkeit dachte, mit
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