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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Vom Recht der Zukunft

einkommens und damit der gesamten Kultur in Kauf nehmen wollen. Jetzt
wissen wir, dasz jede Schwächung unserer materiellen und geistigen Kräfte das
Dasein unseres Volkes in Frage stellen würde.

Die Befürchtung, daß die sozialistische Gesellschaftsordnung vielleicht eine
gerechtere Verteilung der nationalen Arbeiterfrage, aber zugleich dessen Schmälerung
herbeiführen würde, hat in Verbindung mit anderen Bedenken veranlaßt, Mittel¬
wege zwischen der dem Wirtschaftsleben durch die Privatrechtsordnung gewiesenen
Bahn und der Klasse des Sozialismus zu suchen und zu versuchen. So ver¬
schiedenartig diese Projekte und Experimente vom Revisionismus über den Staats-
oder Kathedersozialismus bis zur Bodenreform sind, stimmen sie doch in der
Tendenz überein, unter Erhaltung der Privatrechtsordnung deren Wirkungs¬
gebiet zugunsten des öffentlichen Rechts einzuschränken.

Ob von Kompromißsystemen die Überwindung des Klassengegensatzes zu
erwarten ist, kann jetzt nicht kritisch beleuchtet werden. Es wird nur gestattet
sein, zur Anregung des Zweifels folgende Fragen zu stellen. Wenn der
Klassengegensatz aus der Privatrechtsordnung erwächst, kann dann ,schon eine
teilweise Verdrängung des Privatrechts den Klassenkampf ganz beseitigen? Wenn
eine sozialistische Rechtsordnung eine Verminderung der Arbeitsenergie und
damit des Arbeitsertrages befürchten läßt, wird nicht schon eine Mitherrschaft
des Sozialismus eine Verarmung der Volkswirtschaft herbeiführen? Wenn ein
Kompromiß vom Privatrecht und Sozialismus die heilsamen wie die kultur¬
schädlichen Wirkungen beider Rechtssysteme abgeschwächt vereinigt, ist dann zu
hoffen, daß man sich ohne schwere Kämpfe darüber einigen wird, in welchen
Dosen Privatrecht und Sozialrecht miteinander zu mischen sind?

Andere Mittel zur Beseitigung des Klassengesetzes, als die vollständige oder
teilweise Verdrängung des Privatrechts, sind der Gesetzgebung nicht empfohlen.
So scheint, wer ihre Tauglichkeit bezweifelt, bekennen zu müssen: nach dem
Kampf der Völker muß der Kampf der Klassen und ihrer Parteien von neuem
entbrennen.

Und doch gibt es einen anderen Weg.

Die Mittel zur Sozialreform sind nicht in der Verdrängung, sondern in
der Fortbildung des Privatrechts zu suchen; nicht gegen das Privatrecht, sondern
mit dem Privatrecht läßt sich der Gegensatz der Klassen überwinden.

Ein neuer Gedanke pflegt dem Mißtrauen zu begegnen: wäre er wahr
und brauchbar, so wäre er gewiß schon lange gedacht. So wird es auch dem
Gedanken gehen, es könne statt durch den Abbruch des Privatrechts durch dessen
Umbau die kapitalistische Gesellschaftsordnung derart verändert werden, daß der
Gegensatz der Klassen verschwindet.

Allein es ist wohl erklärlich, daß an diese Möglichkeit nicht gedacht worden ist.

Das Volksleben, insbesondere das Wirtschaftsleben ist oft mit einem Strom
verglichen worden. Ist es ein Strom, so wird das Bett dieses Stroms durch
Sittlichkeit, Sitte und Recht gebildet.


Vom Recht der Zukunft

einkommens und damit der gesamten Kultur in Kauf nehmen wollen. Jetzt
wissen wir, dasz jede Schwächung unserer materiellen und geistigen Kräfte das
Dasein unseres Volkes in Frage stellen würde.

Die Befürchtung, daß die sozialistische Gesellschaftsordnung vielleicht eine
gerechtere Verteilung der nationalen Arbeiterfrage, aber zugleich dessen Schmälerung
herbeiführen würde, hat in Verbindung mit anderen Bedenken veranlaßt, Mittel¬
wege zwischen der dem Wirtschaftsleben durch die Privatrechtsordnung gewiesenen
Bahn und der Klasse des Sozialismus zu suchen und zu versuchen. So ver¬
schiedenartig diese Projekte und Experimente vom Revisionismus über den Staats-
oder Kathedersozialismus bis zur Bodenreform sind, stimmen sie doch in der
Tendenz überein, unter Erhaltung der Privatrechtsordnung deren Wirkungs¬
gebiet zugunsten des öffentlichen Rechts einzuschränken.

Ob von Kompromißsystemen die Überwindung des Klassengegensatzes zu
erwarten ist, kann jetzt nicht kritisch beleuchtet werden. Es wird nur gestattet
sein, zur Anregung des Zweifels folgende Fragen zu stellen. Wenn der
Klassengegensatz aus der Privatrechtsordnung erwächst, kann dann ,schon eine
teilweise Verdrängung des Privatrechts den Klassenkampf ganz beseitigen? Wenn
eine sozialistische Rechtsordnung eine Verminderung der Arbeitsenergie und
damit des Arbeitsertrages befürchten läßt, wird nicht schon eine Mitherrschaft
des Sozialismus eine Verarmung der Volkswirtschaft herbeiführen? Wenn ein
Kompromiß vom Privatrecht und Sozialismus die heilsamen wie die kultur¬
schädlichen Wirkungen beider Rechtssysteme abgeschwächt vereinigt, ist dann zu
hoffen, daß man sich ohne schwere Kämpfe darüber einigen wird, in welchen
Dosen Privatrecht und Sozialrecht miteinander zu mischen sind?

Andere Mittel zur Beseitigung des Klassengesetzes, als die vollständige oder
teilweise Verdrängung des Privatrechts, sind der Gesetzgebung nicht empfohlen.
So scheint, wer ihre Tauglichkeit bezweifelt, bekennen zu müssen: nach dem
Kampf der Völker muß der Kampf der Klassen und ihrer Parteien von neuem
entbrennen.

Und doch gibt es einen anderen Weg.

Die Mittel zur Sozialreform sind nicht in der Verdrängung, sondern in
der Fortbildung des Privatrechts zu suchen; nicht gegen das Privatrecht, sondern
mit dem Privatrecht läßt sich der Gegensatz der Klassen überwinden.

Ein neuer Gedanke pflegt dem Mißtrauen zu begegnen: wäre er wahr
und brauchbar, so wäre er gewiß schon lange gedacht. So wird es auch dem
Gedanken gehen, es könne statt durch den Abbruch des Privatrechts durch dessen
Umbau die kapitalistische Gesellschaftsordnung derart verändert werden, daß der
Gegensatz der Klassen verschwindet.

Allein es ist wohl erklärlich, daß an diese Möglichkeit nicht gedacht worden ist.

Das Volksleben, insbesondere das Wirtschaftsleben ist oft mit einem Strom
verglichen worden. Ist es ein Strom, so wird das Bett dieses Stroms durch
Sittlichkeit, Sitte und Recht gebildet.


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[0308] Vom Recht der Zukunft einkommens und damit der gesamten Kultur in Kauf nehmen wollen. Jetzt wissen wir, dasz jede Schwächung unserer materiellen und geistigen Kräfte das Dasein unseres Volkes in Frage stellen würde. Die Befürchtung, daß die sozialistische Gesellschaftsordnung vielleicht eine gerechtere Verteilung der nationalen Arbeiterfrage, aber zugleich dessen Schmälerung herbeiführen würde, hat in Verbindung mit anderen Bedenken veranlaßt, Mittel¬ wege zwischen der dem Wirtschaftsleben durch die Privatrechtsordnung gewiesenen Bahn und der Klasse des Sozialismus zu suchen und zu versuchen. So ver¬ schiedenartig diese Projekte und Experimente vom Revisionismus über den Staats- oder Kathedersozialismus bis zur Bodenreform sind, stimmen sie doch in der Tendenz überein, unter Erhaltung der Privatrechtsordnung deren Wirkungs¬ gebiet zugunsten des öffentlichen Rechts einzuschränken. Ob von Kompromißsystemen die Überwindung des Klassengegensatzes zu erwarten ist, kann jetzt nicht kritisch beleuchtet werden. Es wird nur gestattet sein, zur Anregung des Zweifels folgende Fragen zu stellen. Wenn der Klassengegensatz aus der Privatrechtsordnung erwächst, kann dann ,schon eine teilweise Verdrängung des Privatrechts den Klassenkampf ganz beseitigen? Wenn eine sozialistische Rechtsordnung eine Verminderung der Arbeitsenergie und damit des Arbeitsertrages befürchten läßt, wird nicht schon eine Mitherrschaft des Sozialismus eine Verarmung der Volkswirtschaft herbeiführen? Wenn ein Kompromiß vom Privatrecht und Sozialismus die heilsamen wie die kultur¬ schädlichen Wirkungen beider Rechtssysteme abgeschwächt vereinigt, ist dann zu hoffen, daß man sich ohne schwere Kämpfe darüber einigen wird, in welchen Dosen Privatrecht und Sozialrecht miteinander zu mischen sind? Andere Mittel zur Beseitigung des Klassengesetzes, als die vollständige oder teilweise Verdrängung des Privatrechts, sind der Gesetzgebung nicht empfohlen. So scheint, wer ihre Tauglichkeit bezweifelt, bekennen zu müssen: nach dem Kampf der Völker muß der Kampf der Klassen und ihrer Parteien von neuem entbrennen. Und doch gibt es einen anderen Weg. Die Mittel zur Sozialreform sind nicht in der Verdrängung, sondern in der Fortbildung des Privatrechts zu suchen; nicht gegen das Privatrecht, sondern mit dem Privatrecht läßt sich der Gegensatz der Klassen überwinden. Ein neuer Gedanke pflegt dem Mißtrauen zu begegnen: wäre er wahr und brauchbar, so wäre er gewiß schon lange gedacht. So wird es auch dem Gedanken gehen, es könne statt durch den Abbruch des Privatrechts durch dessen Umbau die kapitalistische Gesellschaftsordnung derart verändert werden, daß der Gegensatz der Klassen verschwindet. Allein es ist wohl erklärlich, daß an diese Möglichkeit nicht gedacht worden ist. Das Volksleben, insbesondere das Wirtschaftsleben ist oft mit einem Strom verglichen worden. Ist es ein Strom, so wird das Bett dieses Stroms durch Sittlichkeit, Sitte und Recht gebildet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/308>, abgerufen am 04.07.2024.