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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Neue Bücher über Musik

nommer, UM ihrem Sohne, der damals einundzwanzig Jahre zählte, aber noch
nie allein in die Welt gegangen war, zur Seite zu stehen, und war nun fern
von der Heimat in der fremden Weltstadt gestorben. Aus Mozarts Berichten
und aus dem, was sein Vater durch Baron Grimm, den Freund der Familie,
erfuhr, geht hervor, daß es der Sohn während der Krankheit der Mutter und
bei den Vorkehrungen zur Bestattung an der liebevollsten Fürsorge nicht fehlen
ließ. Aber seine Briefe atmen eine Ruhe und Gefaßtheit, die uns leicht wie
Kälte anmuten könnten. Gewahrt man jedoch, daß der gleiche Geist auch die
Briefe des schwer getroffenen Vaters durchdringt, so gelangt man zu der Über¬
zeugung, daß hier wirklich die tiefe Religiosität beider Männer zu der bewußten
Ergebung in einen höheren Willen geführt hat. Dieser Sinnesart, die aber
niemals in trägen Fatalismus umschlug, blieb Mozart Zeit seines Lebens treu.
Das beweist der bedeutungsvolle Brief, den er 1787 an den schwer erkrankten
Vater richtete. Darin heißt es, ihm sei das Glück zuteil geworden, die Mög¬
lichkeit des Todes täglich vor Augen zu haben, ohne sie zu fürchten; er lege
sich jeden Abend mit dem Bewußtsein nieder, vielleicht nicht wieder zu erwachen;
aber niemand könne behaupten, daß er darum im Leben mürrisch und nieder¬
gedrückt sei. Das klingt wie eine Vorahnung seines frühen Endes, und wir
sehen, daß ihn dieses sein Schicksal vollkommen vorbereitet und gefaßt antraf,
wovon denn auch sein Verhalten während seiner letzten Stunden deutliches
Zeugnis ablegte.

Es ist von vornherein nicht glaublich, daß ein Mann von solcher innerer
Festigkeit und Reise sich um seines äußeren Wohlergehens willen erniedrigt
haben sollte. Leider ist der Wahn noch immer nicht ausgerottet, Mozart und
eigentlich alle Musiker vor Beethoven seien Bedientennaturen gewesen, welchen
es vor allem auf die Gunst ihrer Brodherrn angekommen sei. Man bedenkt
nicht, daß im achtzehnten Jahrhundert die zahlreichen Fürstenhöfe und in
Österreich auch die Häuser des reichen Adels echte Pflanzstätten der Tonkunst,
also wichtigste Kulturträger waren, und daß ferner, wenn einmal ein Dienst¬
geber seine Macht mißbrauchte, der Künstler seine Würde ebenso gut wahren
konnte, wie es ihm gegenüber dem heutigen Beherrscher der materiellen Welt,
dem nackten Geschäftsbetrieb, möglich ist. Was sich schon aus der Biographie
Mozarts ergibt, findet in den Briefen seine Bestätigung, daß er nämlich ein
durchaus aufrechter, selbstbewußter Charakter war, dem jede Kriecherei fern lag.
"Nur nicht kriechen; denn das kann ich nicht leiden," schreibt er einmal an seinen
Vater, nachdem er ihn gebeten hat. bei einer einflußreichen Persönlichkeit einen
Schritt für ihn zu tun. Als der Erzbischof von Salzburg, der durch die
schmähliche Behandlung Mozarts zu trauriger Berühmtheit gelangt ist, 1777 dem
jungen Künstler den Neisemlaub verweigerte, nahm dieser kurz entschlossen seine
Entlassung. Freilich kehrte er zwei Jahre später, nachdem seine Hoffnungen
auf Anstellung an einem andern Hofe fehlgeschlagen waren, auf dringendes
Zureden des Vaters unter günstigeren Bedingungen in den ihm verhaßten Dienst


Neue Bücher über Musik

nommer, UM ihrem Sohne, der damals einundzwanzig Jahre zählte, aber noch
nie allein in die Welt gegangen war, zur Seite zu stehen, und war nun fern
von der Heimat in der fremden Weltstadt gestorben. Aus Mozarts Berichten
und aus dem, was sein Vater durch Baron Grimm, den Freund der Familie,
erfuhr, geht hervor, daß es der Sohn während der Krankheit der Mutter und
bei den Vorkehrungen zur Bestattung an der liebevollsten Fürsorge nicht fehlen
ließ. Aber seine Briefe atmen eine Ruhe und Gefaßtheit, die uns leicht wie
Kälte anmuten könnten. Gewahrt man jedoch, daß der gleiche Geist auch die
Briefe des schwer getroffenen Vaters durchdringt, so gelangt man zu der Über¬
zeugung, daß hier wirklich die tiefe Religiosität beider Männer zu der bewußten
Ergebung in einen höheren Willen geführt hat. Dieser Sinnesart, die aber
niemals in trägen Fatalismus umschlug, blieb Mozart Zeit seines Lebens treu.
Das beweist der bedeutungsvolle Brief, den er 1787 an den schwer erkrankten
Vater richtete. Darin heißt es, ihm sei das Glück zuteil geworden, die Mög¬
lichkeit des Todes täglich vor Augen zu haben, ohne sie zu fürchten; er lege
sich jeden Abend mit dem Bewußtsein nieder, vielleicht nicht wieder zu erwachen;
aber niemand könne behaupten, daß er darum im Leben mürrisch und nieder¬
gedrückt sei. Das klingt wie eine Vorahnung seines frühen Endes, und wir
sehen, daß ihn dieses sein Schicksal vollkommen vorbereitet und gefaßt antraf,
wovon denn auch sein Verhalten während seiner letzten Stunden deutliches
Zeugnis ablegte.

Es ist von vornherein nicht glaublich, daß ein Mann von solcher innerer
Festigkeit und Reise sich um seines äußeren Wohlergehens willen erniedrigt
haben sollte. Leider ist der Wahn noch immer nicht ausgerottet, Mozart und
eigentlich alle Musiker vor Beethoven seien Bedientennaturen gewesen, welchen
es vor allem auf die Gunst ihrer Brodherrn angekommen sei. Man bedenkt
nicht, daß im achtzehnten Jahrhundert die zahlreichen Fürstenhöfe und in
Österreich auch die Häuser des reichen Adels echte Pflanzstätten der Tonkunst,
also wichtigste Kulturträger waren, und daß ferner, wenn einmal ein Dienst¬
geber seine Macht mißbrauchte, der Künstler seine Würde ebenso gut wahren
konnte, wie es ihm gegenüber dem heutigen Beherrscher der materiellen Welt,
dem nackten Geschäftsbetrieb, möglich ist. Was sich schon aus der Biographie
Mozarts ergibt, findet in den Briefen seine Bestätigung, daß er nämlich ein
durchaus aufrechter, selbstbewußter Charakter war, dem jede Kriecherei fern lag.
„Nur nicht kriechen; denn das kann ich nicht leiden," schreibt er einmal an seinen
Vater, nachdem er ihn gebeten hat. bei einer einflußreichen Persönlichkeit einen
Schritt für ihn zu tun. Als der Erzbischof von Salzburg, der durch die
schmähliche Behandlung Mozarts zu trauriger Berühmtheit gelangt ist, 1777 dem
jungen Künstler den Neisemlaub verweigerte, nahm dieser kurz entschlossen seine
Entlassung. Freilich kehrte er zwei Jahre später, nachdem seine Hoffnungen
auf Anstellung an einem andern Hofe fehlgeschlagen waren, auf dringendes
Zureden des Vaters unter günstigeren Bedingungen in den ihm verhaßten Dienst


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[0294] Neue Bücher über Musik nommer, UM ihrem Sohne, der damals einundzwanzig Jahre zählte, aber noch nie allein in die Welt gegangen war, zur Seite zu stehen, und war nun fern von der Heimat in der fremden Weltstadt gestorben. Aus Mozarts Berichten und aus dem, was sein Vater durch Baron Grimm, den Freund der Familie, erfuhr, geht hervor, daß es der Sohn während der Krankheit der Mutter und bei den Vorkehrungen zur Bestattung an der liebevollsten Fürsorge nicht fehlen ließ. Aber seine Briefe atmen eine Ruhe und Gefaßtheit, die uns leicht wie Kälte anmuten könnten. Gewahrt man jedoch, daß der gleiche Geist auch die Briefe des schwer getroffenen Vaters durchdringt, so gelangt man zu der Über¬ zeugung, daß hier wirklich die tiefe Religiosität beider Männer zu der bewußten Ergebung in einen höheren Willen geführt hat. Dieser Sinnesart, die aber niemals in trägen Fatalismus umschlug, blieb Mozart Zeit seines Lebens treu. Das beweist der bedeutungsvolle Brief, den er 1787 an den schwer erkrankten Vater richtete. Darin heißt es, ihm sei das Glück zuteil geworden, die Mög¬ lichkeit des Todes täglich vor Augen zu haben, ohne sie zu fürchten; er lege sich jeden Abend mit dem Bewußtsein nieder, vielleicht nicht wieder zu erwachen; aber niemand könne behaupten, daß er darum im Leben mürrisch und nieder¬ gedrückt sei. Das klingt wie eine Vorahnung seines frühen Endes, und wir sehen, daß ihn dieses sein Schicksal vollkommen vorbereitet und gefaßt antraf, wovon denn auch sein Verhalten während seiner letzten Stunden deutliches Zeugnis ablegte. Es ist von vornherein nicht glaublich, daß ein Mann von solcher innerer Festigkeit und Reise sich um seines äußeren Wohlergehens willen erniedrigt haben sollte. Leider ist der Wahn noch immer nicht ausgerottet, Mozart und eigentlich alle Musiker vor Beethoven seien Bedientennaturen gewesen, welchen es vor allem auf die Gunst ihrer Brodherrn angekommen sei. Man bedenkt nicht, daß im achtzehnten Jahrhundert die zahlreichen Fürstenhöfe und in Österreich auch die Häuser des reichen Adels echte Pflanzstätten der Tonkunst, also wichtigste Kulturträger waren, und daß ferner, wenn einmal ein Dienst¬ geber seine Macht mißbrauchte, der Künstler seine Würde ebenso gut wahren konnte, wie es ihm gegenüber dem heutigen Beherrscher der materiellen Welt, dem nackten Geschäftsbetrieb, möglich ist. Was sich schon aus der Biographie Mozarts ergibt, findet in den Briefen seine Bestätigung, daß er nämlich ein durchaus aufrechter, selbstbewußter Charakter war, dem jede Kriecherei fern lag. „Nur nicht kriechen; denn das kann ich nicht leiden," schreibt er einmal an seinen Vater, nachdem er ihn gebeten hat. bei einer einflußreichen Persönlichkeit einen Schritt für ihn zu tun. Als der Erzbischof von Salzburg, der durch die schmähliche Behandlung Mozarts zu trauriger Berühmtheit gelangt ist, 1777 dem jungen Künstler den Neisemlaub verweigerte, nahm dieser kurz entschlossen seine Entlassung. Freilich kehrte er zwei Jahre später, nachdem seine Hoffnungen auf Anstellung an einem andern Hofe fehlgeschlagen waren, auf dringendes Zureden des Vaters unter günstigeren Bedingungen in den ihm verhaßten Dienst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/294>, abgerufen am 04.07.2024.