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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Lelgrad, Lzeriwwitz, Lemberg

Lemberg gehört zu den vielen Orten in Galizien (Polen), in denen sich
frühzeitig Deutsche niederließen. Schon um 1300, da noch ruthenische Fürsten
hier herrschten, begann die Ansiedlung der Deutschen in der "Löwenburg".
Wie schon früher in Krakau*) erhielten die Deutschen auch hier die Freiheit,
deutsches Recht einzuführen. Schon im vierzehnten Jahrhundert begegnen uns
in Lemberg deutsche Vögte und Stadtrichter. Die Amtssprache war deutsch.
Wir besitzen deutsche Zuschriften der Fürsten an die Lemberger; ebenso hat die
Stadtobrigkeit zahlreiche deutsche Urkunden ausgestellt; auch Zunftordnungen sind
in deutscher Sprache abgefaßt, so die Artikel der "Lcynenweber" von 1459 und
der Gesellenordnung von 1469, ferner die Kürschnerordnuug von 1470. In
den nach der Sitte der Zeit lateinisch aufgezeichneten Stadtbüchern kommen
zahlreiche deutsche Ausdrücke vor. Unendlich groß ist die Zahl der deutscheu
Bürger, die uns in den Urkunden und Stadtbüchern entgegentreten. Wir lernen
aus ihnen unzählige deutsche Handwerker und Kaufleute kennen. Unter den
ersteren ragen besonders die deutschen Buchdrucker und Goldarbeiter hervor.
Schon oben ist bemerkt worden, daß die deutschen Kaufleute aus Lemberg bis
in den fernen Osten Handelsbeziehungen unterhielten. Ebenso sind uns
aus Lemberg viele deutsche Künstler, Baumeister und Gelehrte bekannt. Wir
könnten lange Verzeichnisse von Lembergs Deutschen nennen, die der humanistischen
Richtung huldigten, Bücher- und Kunstsammlungen besaßen und selbst schrift¬
stellerisch tätig waren. Ebenso treten uns deutsche Namen entgegen, wenn wir unter
den Männern Umschau halten, die sich um die Verteidigung der Stadt in allerlei
Kriegsnöten Verdienste erwarben. Andere legten neue deutsche Ansiedlungen um
Lemberg an. So ist die heutige Vorstadt Zamarstynüw die Gründung eines
Sommerstein; der Bürger Goldberg errichtete das heutige Kulparküw, ebenso
geht Kleparüw auf einen Klopper zurück. Aus dem Mitgeteilten erhellt, daß
der Lemberger Chronist Zimorowicz (gestorben 1677) jenem Teil seiner Chronik,
der die Zeit von etwa 1300 bis 1550 behandelt, mit vollem Recht die Über¬
schrift "I^LOpoIlZ Qei-MÄMLÄ", das deutsche Lemberg, gegeben hat.

Seit dem sechzehnten Jahrhundert ist infolge der ungünstigen Verhältnisse,
wie überall in den Karpathenländern, auch in Lemberg das Deutschtum zurück¬
gegangen. Die zahlreichen Unruhen und Kriege, die Mißgunst des einheimischen
Adels, das Abströmen des deutschen Überschusses aus den Mutterländern über
See, statt wie früher nach dem Osten, der Niedergang Deutschlands, und noch
manche andere Faktoren haben den beklagenswerten Verfall der deutschen Kolonien
im Osten veranlaßt. Sobald aber Galizien 1772 von Maria Theresia erworben
worden war, begann sofort die Herbeiziehung deutscher Handwerker, Kaufleute
und Beamten, seit Kaiser Joseph dem Zweiten wurden dann auch deutsche
Bauern ins Land geführt. Wieder begann auch in Lemberg das Deutschtum



*) Man vergleiche meinen Roman "Die Tochter des Erbvogts" (Stuttgart, Deutsche
Verlagsanstalt).
Lelgrad, Lzeriwwitz, Lemberg

Lemberg gehört zu den vielen Orten in Galizien (Polen), in denen sich
frühzeitig Deutsche niederließen. Schon um 1300, da noch ruthenische Fürsten
hier herrschten, begann die Ansiedlung der Deutschen in der „Löwenburg".
Wie schon früher in Krakau*) erhielten die Deutschen auch hier die Freiheit,
deutsches Recht einzuführen. Schon im vierzehnten Jahrhundert begegnen uns
in Lemberg deutsche Vögte und Stadtrichter. Die Amtssprache war deutsch.
Wir besitzen deutsche Zuschriften der Fürsten an die Lemberger; ebenso hat die
Stadtobrigkeit zahlreiche deutsche Urkunden ausgestellt; auch Zunftordnungen sind
in deutscher Sprache abgefaßt, so die Artikel der „Lcynenweber" von 1459 und
der Gesellenordnung von 1469, ferner die Kürschnerordnuug von 1470. In
den nach der Sitte der Zeit lateinisch aufgezeichneten Stadtbüchern kommen
zahlreiche deutsche Ausdrücke vor. Unendlich groß ist die Zahl der deutscheu
Bürger, die uns in den Urkunden und Stadtbüchern entgegentreten. Wir lernen
aus ihnen unzählige deutsche Handwerker und Kaufleute kennen. Unter den
ersteren ragen besonders die deutschen Buchdrucker und Goldarbeiter hervor.
Schon oben ist bemerkt worden, daß die deutschen Kaufleute aus Lemberg bis
in den fernen Osten Handelsbeziehungen unterhielten. Ebenso sind uns
aus Lemberg viele deutsche Künstler, Baumeister und Gelehrte bekannt. Wir
könnten lange Verzeichnisse von Lembergs Deutschen nennen, die der humanistischen
Richtung huldigten, Bücher- und Kunstsammlungen besaßen und selbst schrift¬
stellerisch tätig waren. Ebenso treten uns deutsche Namen entgegen, wenn wir unter
den Männern Umschau halten, die sich um die Verteidigung der Stadt in allerlei
Kriegsnöten Verdienste erwarben. Andere legten neue deutsche Ansiedlungen um
Lemberg an. So ist die heutige Vorstadt Zamarstynüw die Gründung eines
Sommerstein; der Bürger Goldberg errichtete das heutige Kulparküw, ebenso
geht Kleparüw auf einen Klopper zurück. Aus dem Mitgeteilten erhellt, daß
der Lemberger Chronist Zimorowicz (gestorben 1677) jenem Teil seiner Chronik,
der die Zeit von etwa 1300 bis 1550 behandelt, mit vollem Recht die Über¬
schrift „I^LOpoIlZ Qei-MÄMLÄ", das deutsche Lemberg, gegeben hat.

Seit dem sechzehnten Jahrhundert ist infolge der ungünstigen Verhältnisse,
wie überall in den Karpathenländern, auch in Lemberg das Deutschtum zurück¬
gegangen. Die zahlreichen Unruhen und Kriege, die Mißgunst des einheimischen
Adels, das Abströmen des deutschen Überschusses aus den Mutterländern über
See, statt wie früher nach dem Osten, der Niedergang Deutschlands, und noch
manche andere Faktoren haben den beklagenswerten Verfall der deutschen Kolonien
im Osten veranlaßt. Sobald aber Galizien 1772 von Maria Theresia erworben
worden war, begann sofort die Herbeiziehung deutscher Handwerker, Kaufleute
und Beamten, seit Kaiser Joseph dem Zweiten wurden dann auch deutsche
Bauern ins Land geführt. Wieder begann auch in Lemberg das Deutschtum



*) Man vergleiche meinen Roman „Die Tochter des Erbvogts" (Stuttgart, Deutsche
Verlagsanstalt).
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[0284] Lelgrad, Lzeriwwitz, Lemberg Lemberg gehört zu den vielen Orten in Galizien (Polen), in denen sich frühzeitig Deutsche niederließen. Schon um 1300, da noch ruthenische Fürsten hier herrschten, begann die Ansiedlung der Deutschen in der „Löwenburg". Wie schon früher in Krakau*) erhielten die Deutschen auch hier die Freiheit, deutsches Recht einzuführen. Schon im vierzehnten Jahrhundert begegnen uns in Lemberg deutsche Vögte und Stadtrichter. Die Amtssprache war deutsch. Wir besitzen deutsche Zuschriften der Fürsten an die Lemberger; ebenso hat die Stadtobrigkeit zahlreiche deutsche Urkunden ausgestellt; auch Zunftordnungen sind in deutscher Sprache abgefaßt, so die Artikel der „Lcynenweber" von 1459 und der Gesellenordnung von 1469, ferner die Kürschnerordnuug von 1470. In den nach der Sitte der Zeit lateinisch aufgezeichneten Stadtbüchern kommen zahlreiche deutsche Ausdrücke vor. Unendlich groß ist die Zahl der deutscheu Bürger, die uns in den Urkunden und Stadtbüchern entgegentreten. Wir lernen aus ihnen unzählige deutsche Handwerker und Kaufleute kennen. Unter den ersteren ragen besonders die deutschen Buchdrucker und Goldarbeiter hervor. Schon oben ist bemerkt worden, daß die deutschen Kaufleute aus Lemberg bis in den fernen Osten Handelsbeziehungen unterhielten. Ebenso sind uns aus Lemberg viele deutsche Künstler, Baumeister und Gelehrte bekannt. Wir könnten lange Verzeichnisse von Lembergs Deutschen nennen, die der humanistischen Richtung huldigten, Bücher- und Kunstsammlungen besaßen und selbst schrift¬ stellerisch tätig waren. Ebenso treten uns deutsche Namen entgegen, wenn wir unter den Männern Umschau halten, die sich um die Verteidigung der Stadt in allerlei Kriegsnöten Verdienste erwarben. Andere legten neue deutsche Ansiedlungen um Lemberg an. So ist die heutige Vorstadt Zamarstynüw die Gründung eines Sommerstein; der Bürger Goldberg errichtete das heutige Kulparküw, ebenso geht Kleparüw auf einen Klopper zurück. Aus dem Mitgeteilten erhellt, daß der Lemberger Chronist Zimorowicz (gestorben 1677) jenem Teil seiner Chronik, der die Zeit von etwa 1300 bis 1550 behandelt, mit vollem Recht die Über¬ schrift „I^LOpoIlZ Qei-MÄMLÄ", das deutsche Lemberg, gegeben hat. Seit dem sechzehnten Jahrhundert ist infolge der ungünstigen Verhältnisse, wie überall in den Karpathenländern, auch in Lemberg das Deutschtum zurück¬ gegangen. Die zahlreichen Unruhen und Kriege, die Mißgunst des einheimischen Adels, das Abströmen des deutschen Überschusses aus den Mutterländern über See, statt wie früher nach dem Osten, der Niedergang Deutschlands, und noch manche andere Faktoren haben den beklagenswerten Verfall der deutschen Kolonien im Osten veranlaßt. Sobald aber Galizien 1772 von Maria Theresia erworben worden war, begann sofort die Herbeiziehung deutscher Handwerker, Kaufleute und Beamten, seit Kaiser Joseph dem Zweiten wurden dann auch deutsche Bauern ins Land geführt. Wieder begann auch in Lemberg das Deutschtum *) Man vergleiche meinen Roman „Die Tochter des Erbvogts" (Stuttgart, Deutsche Verlagsanstalt).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/284>, abgerufen am 30.06.2024.