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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Belgrad, Czernowitz, Lemborg

Ein lehrreiches Gegenstück ist Czernowitz in der Bukowina.

Dieser Ort hat früher zum Fürstentum Moldau (jetzt nördliches Rumänien)
gehört.*) Schon seit dem Ende des vierzehnten Jahrhunderts kamen deutsche
Kaufleute in die Stadt und in andere Orte der Moldau. Aus den deutschen
Ansiedlungen Siebenbürgens und aus den deutschen Städten Galiziens zogen
sie herbei, um die Erzeugnisse des deutschen Gewerbefleißes gegen die Roh¬
produkte des Ostens einzutauschen. Bis in die "Tartarei" (Südrußland) ging
dieser Handel. Wir haben Beweise dafür, daß sich schon seit dem Ende des
vierzehnten Jahrhunderts zahlreiche Deutsche in moldauischen Städten nieder¬
ließen. Gleichzeitig haben sie ihre deutsche Stadtverfassung eingeführt: "Vögte"
und "Schulzen" standen an der Spitze ihrer Gemeinwesen; ein ganz nach
deutschem Muster gebildeter "Rat" oder "geschworene Bürger" sprachen Recht
und verwalteten die Orte. Die Handwerker waren in Zünfte vereinigt. Deutsche Ur¬
kunden des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts sind aus diesen Orten erhalten.
So hatte sich in der Bukowina, ebenso wie in Ungarn-Siebenbürgen und in Polen-
Galizien schon im Mittelalter ein blühendes deutsches Leben entwickelt. Doch seit
dem sechzehnten Jahrhundert ging es infolge der Ungunst der Verhältnisse zurück.
Kaum war aber die Bukowina 1779 von Österreich erworben worden, so begann so¬
fort wie in Ungarn die Förderung der deutschen Ansiedlung. Von der großen Kaiserin
Maria Theresia und Kaiser Josef dem Zweiten, aber auch später von der
österreichischen Regierung gefördert, siedelten sich zahlreiche Deutsche in der
Bukowina, davon nicht wenige in Czernowitz selbst an. Soldaten und Beamte,
Geistliche und Lehrer, vor allem aber Bürger, Handwerker und Kaufleute.
Ihnen ist zuzuschreiben, daß das elende Dorf von zweihundert Lehmhütten
allmählich zu einer stattlichen Stadt sich entwickelte, die heute 90 000 Bewohner zählt!
Nur ein Sechstel davon sind eigentliche Deutsche, trotzdem ist aber Deutsch die
vorherrschende Umgangssprache und der Ort weist einen durchaus deutschen
Charakter auf. Ermöglicht wurde diese günstige Entwicklung nur dadurch, daß
die Bukowina von Wien aus deutsch regiert wurde, daß vom Zentrum des
Reiches deutscher Geist in das ferne Land strömte und so die Entwicklung der
deutschen Kultur förderte. Nach hundert Jahren österreichischer Herrschaft war
die Bukowina so weit gekommen, daß 1875 hier eine deutsche Universität
begründet werden konnte, die von allen Nationen des Ländchens als wahrhafte
Kulturnotwendigkeit begrüßt wurde. So ist Czernowitz auch heute ein Bollwerk
deutscher, westeuropäischer Kultur gegen Osten. Nur die enge Zugehörigkeit zu
Österreich ist aber das belebende Element dieser Erscheinung I Eine Abtrennung
oder auch nur eine Lockerung des Verhältnisses zur Zentrale würde unbedingt
den Rückgang, wenn nicht den Verfall herbeiführen.

In dieser Beziehung bietet die Geschichte Lembergs ein interessantes Beispiel.



*) Man vergl. Kaindl: Geschichte von Czernowitz; derselbe, Geschichte der Bukowina;
derselbe, Geschichte der Deutschen in den Karpathenländern.
Belgrad, Czernowitz, Lemborg

Ein lehrreiches Gegenstück ist Czernowitz in der Bukowina.

Dieser Ort hat früher zum Fürstentum Moldau (jetzt nördliches Rumänien)
gehört.*) Schon seit dem Ende des vierzehnten Jahrhunderts kamen deutsche
Kaufleute in die Stadt und in andere Orte der Moldau. Aus den deutschen
Ansiedlungen Siebenbürgens und aus den deutschen Städten Galiziens zogen
sie herbei, um die Erzeugnisse des deutschen Gewerbefleißes gegen die Roh¬
produkte des Ostens einzutauschen. Bis in die „Tartarei" (Südrußland) ging
dieser Handel. Wir haben Beweise dafür, daß sich schon seit dem Ende des
vierzehnten Jahrhunderts zahlreiche Deutsche in moldauischen Städten nieder¬
ließen. Gleichzeitig haben sie ihre deutsche Stadtverfassung eingeführt: „Vögte"
und „Schulzen" standen an der Spitze ihrer Gemeinwesen; ein ganz nach
deutschem Muster gebildeter „Rat" oder „geschworene Bürger" sprachen Recht
und verwalteten die Orte. Die Handwerker waren in Zünfte vereinigt. Deutsche Ur¬
kunden des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts sind aus diesen Orten erhalten.
So hatte sich in der Bukowina, ebenso wie in Ungarn-Siebenbürgen und in Polen-
Galizien schon im Mittelalter ein blühendes deutsches Leben entwickelt. Doch seit
dem sechzehnten Jahrhundert ging es infolge der Ungunst der Verhältnisse zurück.
Kaum war aber die Bukowina 1779 von Österreich erworben worden, so begann so¬
fort wie in Ungarn die Förderung der deutschen Ansiedlung. Von der großen Kaiserin
Maria Theresia und Kaiser Josef dem Zweiten, aber auch später von der
österreichischen Regierung gefördert, siedelten sich zahlreiche Deutsche in der
Bukowina, davon nicht wenige in Czernowitz selbst an. Soldaten und Beamte,
Geistliche und Lehrer, vor allem aber Bürger, Handwerker und Kaufleute.
Ihnen ist zuzuschreiben, daß das elende Dorf von zweihundert Lehmhütten
allmählich zu einer stattlichen Stadt sich entwickelte, die heute 90 000 Bewohner zählt!
Nur ein Sechstel davon sind eigentliche Deutsche, trotzdem ist aber Deutsch die
vorherrschende Umgangssprache und der Ort weist einen durchaus deutschen
Charakter auf. Ermöglicht wurde diese günstige Entwicklung nur dadurch, daß
die Bukowina von Wien aus deutsch regiert wurde, daß vom Zentrum des
Reiches deutscher Geist in das ferne Land strömte und so die Entwicklung der
deutschen Kultur förderte. Nach hundert Jahren österreichischer Herrschaft war
die Bukowina so weit gekommen, daß 1875 hier eine deutsche Universität
begründet werden konnte, die von allen Nationen des Ländchens als wahrhafte
Kulturnotwendigkeit begrüßt wurde. So ist Czernowitz auch heute ein Bollwerk
deutscher, westeuropäischer Kultur gegen Osten. Nur die enge Zugehörigkeit zu
Österreich ist aber das belebende Element dieser Erscheinung I Eine Abtrennung
oder auch nur eine Lockerung des Verhältnisses zur Zentrale würde unbedingt
den Rückgang, wenn nicht den Verfall herbeiführen.

In dieser Beziehung bietet die Geschichte Lembergs ein interessantes Beispiel.



*) Man vergl. Kaindl: Geschichte von Czernowitz; derselbe, Geschichte der Bukowina;
derselbe, Geschichte der Deutschen in den Karpathenländern.
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[0283] Belgrad, Czernowitz, Lemborg Ein lehrreiches Gegenstück ist Czernowitz in der Bukowina. Dieser Ort hat früher zum Fürstentum Moldau (jetzt nördliches Rumänien) gehört.*) Schon seit dem Ende des vierzehnten Jahrhunderts kamen deutsche Kaufleute in die Stadt und in andere Orte der Moldau. Aus den deutschen Ansiedlungen Siebenbürgens und aus den deutschen Städten Galiziens zogen sie herbei, um die Erzeugnisse des deutschen Gewerbefleißes gegen die Roh¬ produkte des Ostens einzutauschen. Bis in die „Tartarei" (Südrußland) ging dieser Handel. Wir haben Beweise dafür, daß sich schon seit dem Ende des vierzehnten Jahrhunderts zahlreiche Deutsche in moldauischen Städten nieder¬ ließen. Gleichzeitig haben sie ihre deutsche Stadtverfassung eingeführt: „Vögte" und „Schulzen" standen an der Spitze ihrer Gemeinwesen; ein ganz nach deutschem Muster gebildeter „Rat" oder „geschworene Bürger" sprachen Recht und verwalteten die Orte. Die Handwerker waren in Zünfte vereinigt. Deutsche Ur¬ kunden des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts sind aus diesen Orten erhalten. So hatte sich in der Bukowina, ebenso wie in Ungarn-Siebenbürgen und in Polen- Galizien schon im Mittelalter ein blühendes deutsches Leben entwickelt. Doch seit dem sechzehnten Jahrhundert ging es infolge der Ungunst der Verhältnisse zurück. Kaum war aber die Bukowina 1779 von Österreich erworben worden, so begann so¬ fort wie in Ungarn die Förderung der deutschen Ansiedlung. Von der großen Kaiserin Maria Theresia und Kaiser Josef dem Zweiten, aber auch später von der österreichischen Regierung gefördert, siedelten sich zahlreiche Deutsche in der Bukowina, davon nicht wenige in Czernowitz selbst an. Soldaten und Beamte, Geistliche und Lehrer, vor allem aber Bürger, Handwerker und Kaufleute. Ihnen ist zuzuschreiben, daß das elende Dorf von zweihundert Lehmhütten allmählich zu einer stattlichen Stadt sich entwickelte, die heute 90 000 Bewohner zählt! Nur ein Sechstel davon sind eigentliche Deutsche, trotzdem ist aber Deutsch die vorherrschende Umgangssprache und der Ort weist einen durchaus deutschen Charakter auf. Ermöglicht wurde diese günstige Entwicklung nur dadurch, daß die Bukowina von Wien aus deutsch regiert wurde, daß vom Zentrum des Reiches deutscher Geist in das ferne Land strömte und so die Entwicklung der deutschen Kultur förderte. Nach hundert Jahren österreichischer Herrschaft war die Bukowina so weit gekommen, daß 1875 hier eine deutsche Universität begründet werden konnte, die von allen Nationen des Ländchens als wahrhafte Kulturnotwendigkeit begrüßt wurde. So ist Czernowitz auch heute ein Bollwerk deutscher, westeuropäischer Kultur gegen Osten. Nur die enge Zugehörigkeit zu Österreich ist aber das belebende Element dieser Erscheinung I Eine Abtrennung oder auch nur eine Lockerung des Verhältnisses zur Zentrale würde unbedingt den Rückgang, wenn nicht den Verfall herbeiführen. In dieser Beziehung bietet die Geschichte Lembergs ein interessantes Beispiel. *) Man vergl. Kaindl: Geschichte von Czernowitz; derselbe, Geschichte der Bukowina; derselbe, Geschichte der Deutschen in den Karpathenländern.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/283>, abgerufen am 02.07.2024.