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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Wie die Erwerbung von Helgoland"),
Samoa oder der Karolinengruppe, gehört
auch die Erwerbung von Kiautschau nach
ihrer Vorgeschichte in die Sphäre Bismarck-
scher Intentionen, deren Verwirklichung noch
in der Amtszeit des Altreichskanzlers versucht
oder angestrebt, aber nicht mehr erreicht
werden konnte. Auf Kiautschau wurde Bis¬
marck durch den berühmten Geographen
Ferdinand Freiherrn von Richthosen hin¬
gewiesen, der schon auf seiner ersten Reise
dorthin (1869), die Bedeutung der Provinz
Schankung inihrem vollen Umfang erkannte*").
Nachdem er ihre natürlichen Bodenschätze, be¬
sonders ihren Kohlenreichtum, eingehend unter¬
such! und zweifelsfrei festgestellt hatte, betonte
er bereits im Jahre 1870 in einem wissen¬
schaftlich noch heute unübertroffenen, von Über¬
treibungen freien Aufsatz**") der Preußischen
Jahrbücher (Band 91) den Wert, den diese
Bucht für eine europäische Kolonialmacht be¬
sitzen würde. Danach war Kiautschau an der
gesamten Küste des nördlichen Chinas die
"einzige natürliche Eingangspforte", die ihm
als Handels- und Flottenstützpunkt, als Brenn¬
punkt für den Handels- und Personenverkehr
des ganzen chinesischen Nordostens und als
maritimer Endpunkt eines einstmaligen --
inzwischen verwirklichten und nun an Japan
verlorenen -- ausgedehnten Eisenbahnnetzes
für eine Erwerbung und Erschließung ge¬
eignet erschien'!'),

[Spaltenumbruch]

Vielleicht war dieser Richthofensche Aufsatz
ein von Bismarck inspirierter Fühler zur
Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Viel¬
leicht ließ sich auch der Kanzler erst durch
diese Ausführungen über die Nützlichkeit einer
deutschen Besitzergreifung der Provinz Schan¬
kung überzeugen. Sicher ist nach Alfred
Kirchhofs Eröffnung*), daß Bismarck schon
1870 auf Grund Richthofenscher Mitteilungen
die Besetzung der Kiautschauvucht beabsichtigte,
aber: "Die deutschen Pläne gerieten durch den
Ausbruch des Krieges 1370 in den Hintergrund,
indessen war aufgeschoben nicht aufgehoben."
Als dann im Jahre 1898 die (dank der
deutsch-russischen Entente während des japanisch¬
chinesischen Krieges auf Anregung und im
Einverständnis mit dem Zaren**) geplante)
Erwerbung möglich war, erklärte sich denn
auch Bismarck damit einverstanden, für den
Fall, daß es "absolut sicher wäre, daß die
glücklich begonnene Sache auch richtig durch¬
geführt wird und wir uns nicht in die Nesseln
setzen." Freilich erschien ihm Kiautschau "groß
genug, um allerhand Dummheiten zu
machen"***).

Die Bismarckschen Befürchtungen sollten
sich in dieser Musterverbindung von handels¬
politischem Einflußgebiet und maritimen Stütz-
Punkt nicht verwirklichen. Eine unselige
Konstellation hat unsere asiatische Machtstellung
allein zu Fall bringen können. Diese Tat¬
sache ist indes nicht als Probe auf das Exempel
zu betrachten. Die Erwerbung Kiautschaus
war kein weltpolitisches Experiment, das sich
nunmehr als verfehltes Abenteuer erwiesen
hätte, als das es schon von der öffentlichen
Meinung in der Zeit ihres Vollzugs an¬
gesehen wurde, Wohl ist sie heute das Opfer
einer unsinnigen Mächtegruppierung geworden,
die nach diesem großen Kriege von selbst
wieder auseinanderfallen muß. Wohl ist sie
auch auf lange, vielleicht auf immer für
Deutschland verloren. Sollten wir darum

[Ende Spaltensatz]
*) Vgl. meine ausführliche Abhandlung,
Bismarck und die Helgolandfrage, Zeitschrift
für Kolonialpolitik 1910, S. 635 bis 562.
**) Vgl, seine "Tagebücher aus China"
I 192 und sein großes, teilweise posthumes
Chinawerk it 262 ff.
*"") Vgl, dazu auch China II 134 ff,, 192,
199 ff,, 210, 262 ff, Preuß, Jahrbücher a. ni, O.
183 ff., 189, 253 ff. Dazu Hirth, Deutsche
Kolonialzeitung 1897, 538 ff. Rohrbach,
Deutschland unter den Weltvölkern 339,
v. Tirpitz in der Budgetkommission des Reichs¬
tages vom 17. März 1914.
1') Preuß. Jahrb. 177, 188, China 272 ff.,
"Schankung und seine Eingangspforte Kiaut¬
schau" IV und 260. Vgl. auch Hettner,
Geograph. Zeitschrift XII (1906) S. 11,
Drygalski,"MännerderWissenschaft"IV(1906).
*) Hofmann, Fürst Bismarck (1890 bis
1893), Bd. 2, 415.
**) Vgl. Hohenlohe, Denkwürdigkeiten II,
521.
***) Poschinger, Also sprach Bismarck III
841, 849, 354; Anm. S, 110 dagegen klingt
unglaubhaft.
Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Wie die Erwerbung von Helgoland"),
Samoa oder der Karolinengruppe, gehört
auch die Erwerbung von Kiautschau nach
ihrer Vorgeschichte in die Sphäre Bismarck-
scher Intentionen, deren Verwirklichung noch
in der Amtszeit des Altreichskanzlers versucht
oder angestrebt, aber nicht mehr erreicht
werden konnte. Auf Kiautschau wurde Bis¬
marck durch den berühmten Geographen
Ferdinand Freiherrn von Richthosen hin¬
gewiesen, der schon auf seiner ersten Reise
dorthin (1869), die Bedeutung der Provinz
Schankung inihrem vollen Umfang erkannte*").
Nachdem er ihre natürlichen Bodenschätze, be¬
sonders ihren Kohlenreichtum, eingehend unter¬
such! und zweifelsfrei festgestellt hatte, betonte
er bereits im Jahre 1870 in einem wissen¬
schaftlich noch heute unübertroffenen, von Über¬
treibungen freien Aufsatz**") der Preußischen
Jahrbücher (Band 91) den Wert, den diese
Bucht für eine europäische Kolonialmacht be¬
sitzen würde. Danach war Kiautschau an der
gesamten Küste des nördlichen Chinas die
„einzige natürliche Eingangspforte", die ihm
als Handels- und Flottenstützpunkt, als Brenn¬
punkt für den Handels- und Personenverkehr
des ganzen chinesischen Nordostens und als
maritimer Endpunkt eines einstmaligen —
inzwischen verwirklichten und nun an Japan
verlorenen — ausgedehnten Eisenbahnnetzes
für eine Erwerbung und Erschließung ge¬
eignet erschien'!'),

[Spaltenumbruch]

Vielleicht war dieser Richthofensche Aufsatz
ein von Bismarck inspirierter Fühler zur
Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Viel¬
leicht ließ sich auch der Kanzler erst durch
diese Ausführungen über die Nützlichkeit einer
deutschen Besitzergreifung der Provinz Schan¬
kung überzeugen. Sicher ist nach Alfred
Kirchhofs Eröffnung*), daß Bismarck schon
1870 auf Grund Richthofenscher Mitteilungen
die Besetzung der Kiautschauvucht beabsichtigte,
aber: „Die deutschen Pläne gerieten durch den
Ausbruch des Krieges 1370 in den Hintergrund,
indessen war aufgeschoben nicht aufgehoben."
Als dann im Jahre 1898 die (dank der
deutsch-russischen Entente während des japanisch¬
chinesischen Krieges auf Anregung und im
Einverständnis mit dem Zaren**) geplante)
Erwerbung möglich war, erklärte sich denn
auch Bismarck damit einverstanden, für den
Fall, daß es „absolut sicher wäre, daß die
glücklich begonnene Sache auch richtig durch¬
geführt wird und wir uns nicht in die Nesseln
setzen." Freilich erschien ihm Kiautschau „groß
genug, um allerhand Dummheiten zu
machen"***).

Die Bismarckschen Befürchtungen sollten
sich in dieser Musterverbindung von handels¬
politischem Einflußgebiet und maritimen Stütz-
Punkt nicht verwirklichen. Eine unselige
Konstellation hat unsere asiatische Machtstellung
allein zu Fall bringen können. Diese Tat¬
sache ist indes nicht als Probe auf das Exempel
zu betrachten. Die Erwerbung Kiautschaus
war kein weltpolitisches Experiment, das sich
nunmehr als verfehltes Abenteuer erwiesen
hätte, als das es schon von der öffentlichen
Meinung in der Zeit ihres Vollzugs an¬
gesehen wurde, Wohl ist sie heute das Opfer
einer unsinnigen Mächtegruppierung geworden,
die nach diesem großen Kriege von selbst
wieder auseinanderfallen muß. Wohl ist sie
auch auf lange, vielleicht auf immer für
Deutschland verloren. Sollten wir darum

[Ende Spaltensatz]
*) Vgl. meine ausführliche Abhandlung,
Bismarck und die Helgolandfrage, Zeitschrift
für Kolonialpolitik 1910, S. 635 bis 562.
**) Vgl, seine „Tagebücher aus China"
I 192 und sein großes, teilweise posthumes
Chinawerk it 262 ff.
*"") Vgl, dazu auch China II 134 ff,, 192,
199 ff,, 210, 262 ff, Preuß, Jahrbücher a. ni, O.
183 ff., 189, 253 ff. Dazu Hirth, Deutsche
Kolonialzeitung 1897, 538 ff. Rohrbach,
Deutschland unter den Weltvölkern 339,
v. Tirpitz in der Budgetkommission des Reichs¬
tages vom 17. März 1914.
1') Preuß. Jahrb. 177, 188, China 272 ff.,
„Schankung und seine Eingangspforte Kiaut¬
schau" IV und 260. Vgl. auch Hettner,
Geograph. Zeitschrift XII (1906) S. 11,
Drygalski,„MännerderWissenschaft"IV(1906).
*) Hofmann, Fürst Bismarck (1890 bis
1893), Bd. 2, 415.
**) Vgl. Hohenlohe, Denkwürdigkeiten II,
521.
***) Poschinger, Also sprach Bismarck III
841, 849, 354; Anm. S, 110 dagegen klingt
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[0267] Maßgebliches und Unmaßgebliches Wie die Erwerbung von Helgoland"), Samoa oder der Karolinengruppe, gehört auch die Erwerbung von Kiautschau nach ihrer Vorgeschichte in die Sphäre Bismarck- scher Intentionen, deren Verwirklichung noch in der Amtszeit des Altreichskanzlers versucht oder angestrebt, aber nicht mehr erreicht werden konnte. Auf Kiautschau wurde Bis¬ marck durch den berühmten Geographen Ferdinand Freiherrn von Richthosen hin¬ gewiesen, der schon auf seiner ersten Reise dorthin (1869), die Bedeutung der Provinz Schankung inihrem vollen Umfang erkannte*"). Nachdem er ihre natürlichen Bodenschätze, be¬ sonders ihren Kohlenreichtum, eingehend unter¬ such! und zweifelsfrei festgestellt hatte, betonte er bereits im Jahre 1870 in einem wissen¬ schaftlich noch heute unübertroffenen, von Über¬ treibungen freien Aufsatz**") der Preußischen Jahrbücher (Band 91) den Wert, den diese Bucht für eine europäische Kolonialmacht be¬ sitzen würde. Danach war Kiautschau an der gesamten Küste des nördlichen Chinas die „einzige natürliche Eingangspforte", die ihm als Handels- und Flottenstützpunkt, als Brenn¬ punkt für den Handels- und Personenverkehr des ganzen chinesischen Nordostens und als maritimer Endpunkt eines einstmaligen — inzwischen verwirklichten und nun an Japan verlorenen — ausgedehnten Eisenbahnnetzes für eine Erwerbung und Erschließung ge¬ eignet erschien'!'), Vielleicht war dieser Richthofensche Aufsatz ein von Bismarck inspirierter Fühler zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Viel¬ leicht ließ sich auch der Kanzler erst durch diese Ausführungen über die Nützlichkeit einer deutschen Besitzergreifung der Provinz Schan¬ kung überzeugen. Sicher ist nach Alfred Kirchhofs Eröffnung*), daß Bismarck schon 1870 auf Grund Richthofenscher Mitteilungen die Besetzung der Kiautschauvucht beabsichtigte, aber: „Die deutschen Pläne gerieten durch den Ausbruch des Krieges 1370 in den Hintergrund, indessen war aufgeschoben nicht aufgehoben." Als dann im Jahre 1898 die (dank der deutsch-russischen Entente während des japanisch¬ chinesischen Krieges auf Anregung und im Einverständnis mit dem Zaren**) geplante) Erwerbung möglich war, erklärte sich denn auch Bismarck damit einverstanden, für den Fall, daß es „absolut sicher wäre, daß die glücklich begonnene Sache auch richtig durch¬ geführt wird und wir uns nicht in die Nesseln setzen." Freilich erschien ihm Kiautschau „groß genug, um allerhand Dummheiten zu machen"***). Die Bismarckschen Befürchtungen sollten sich in dieser Musterverbindung von handels¬ politischem Einflußgebiet und maritimen Stütz- Punkt nicht verwirklichen. Eine unselige Konstellation hat unsere asiatische Machtstellung allein zu Fall bringen können. Diese Tat¬ sache ist indes nicht als Probe auf das Exempel zu betrachten. Die Erwerbung Kiautschaus war kein weltpolitisches Experiment, das sich nunmehr als verfehltes Abenteuer erwiesen hätte, als das es schon von der öffentlichen Meinung in der Zeit ihres Vollzugs an¬ gesehen wurde, Wohl ist sie heute das Opfer einer unsinnigen Mächtegruppierung geworden, die nach diesem großen Kriege von selbst wieder auseinanderfallen muß. Wohl ist sie auch auf lange, vielleicht auf immer für Deutschland verloren. Sollten wir darum *) Vgl. meine ausführliche Abhandlung, Bismarck und die Helgolandfrage, Zeitschrift für Kolonialpolitik 1910, S. 635 bis 562. **) Vgl, seine „Tagebücher aus China" I 192 und sein großes, teilweise posthumes Chinawerk it 262 ff. *"") Vgl, dazu auch China II 134 ff,, 192, 199 ff,, 210, 262 ff, Preuß, Jahrbücher a. ni, O. 183 ff., 189, 253 ff. Dazu Hirth, Deutsche Kolonialzeitung 1897, 538 ff. Rohrbach, Deutschland unter den Weltvölkern 339, v. Tirpitz in der Budgetkommission des Reichs¬ tages vom 17. März 1914. 1') Preuß. Jahrb. 177, 188, China 272 ff., „Schankung und seine Eingangspforte Kiaut¬ schau" IV und 260. Vgl. auch Hettner, Geograph. Zeitschrift XII (1906) S. 11, Drygalski,„MännerderWissenschaft"IV(1906). *) Hofmann, Fürst Bismarck (1890 bis 1893), Bd. 2, 415. **) Vgl. Hohenlohe, Denkwürdigkeiten II, 521. ***) Poschinger, Also sprach Bismarck III 841, 849, 354; Anm. S, 110 dagegen klingt unglaubhaft.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/267>, abgerufen am 01.07.2024.