Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.Luther und die neuhochdeutsche Schriftsprache gerade das förderte ihre räumliche Verbreitung, deun sie wurde, wie H. Paul Schöpfer der neuhochdeutschen Schriftsprache ist Luther nicht, wenigstens Luther und die neuhochdeutsche Schriftsprache gerade das förderte ihre räumliche Verbreitung, deun sie wurde, wie H. Paul Schöpfer der neuhochdeutschen Schriftsprache ist Luther nicht, wenigstens <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0265" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329493"/> <fw type="header" place="top"> Luther und die neuhochdeutsche Schriftsprache</fw><lb/> <p xml:id="ID_929" prev="#ID_928"> gerade das förderte ihre räumliche Verbreitung, deun sie wurde, wie H. Paul<lb/> 1909 im Literaturblatt für germanische und romanische Philologie 30 S. 148<lb/> betont, das Muster für Niederdeutschland, und dieser Anschluß Niederdeutsch¬<lb/> lands ist das eigentlich Entscheidende gewesen für die Entstehung einer von den<lb/> Mundarten scharf gegliederten Gemeinsprache. Allerdings kam der seit der<lb/> beginnenden Zurückdrängung des Lateins kulturell notwendige Entwicklungs¬<lb/> prozeß einer einzigen deutschen Schriftsprache noch nicht durch Luther zu Ende,<lb/> wohl aber später infolge Luthers: unter den hochdeutsch schreibenden Kanzleien,<lb/> deren Praxis 1531 Frangk widergibt, sind neben der kaiserlichen nur mittel-<lb/> und niederdeutsche, nämlich die von Böhmen, Meißen, Sachsen, Thüringen,<lb/> Hessen, Schlesien, doch auch von Pommern, der Mark und den umliegenden<lb/> Ländern. Als Luther seine schriftstellerische Tätigkeit begann, fand er fünf<lb/> hochdeutsche Drucksprachen vor. Aber schon 1593 kennt Helder nur noch<lb/> drei, nämlich die donauische, die Fortsetzung der kaiserlichen, die höchst¬<lb/> rheinische in der Schweiz und im Elsaß, und die mitteldeutsche, die schon<lb/> die Luthersprache schlechthin ist. In sie sind also die beiden andern mittel¬<lb/> deutschen Drucksprachen bereits eingemündet, so daß sie schon fünfzig Jahre<lb/> nach Luthers Tode die Schriftsprache des protestantischen Mittel- und<lb/> Niederdeutschlands war. Zwar verfloß noch etwa ein Jahrhundert, ehe<lb/> sie allmählich und unter hartem Widerstande der oberdeutschen Katholiken<lb/> allgemein mustergültig wurde, wie Burdach treffend nachgewiesen hat, da<lb/> diese aber in ihren Bibelübersetzungen sich möglichst an Luther anschlössen,<lb/> wurden sie selbst Schrittmacher seiner Sprache. Daß aber selbst die grimmigsten<lb/> Feinde aller deutschen Art, die Jesuiten, im katholischen Deutschland den Sieges¬<lb/> lauf jener auf die Dauer nicht hemmen konnten, beweist die in ihr liegende<lb/> Kraft. Luthers Verdienst wird auch dadurch wenig geschmälert, daß andere,<lb/> besonders norddeutsche, auf dem von ihm gelegten Grunde weiter bauten, den<lb/> norddeutschen Anflug verstärkend und manche veralteten Formen sowie übrig<lb/> gebliebenen Jnkonsequenzen beseitigend, wie Opitz, Bödiker, Gottsched. Gerade<lb/> dadurch wurde der Erneuerungsprozeß lebendig erhalten. Auch der Umstand<lb/> spricht nicht dagegen, daß man Luthers Sprache, wie die der obersächsischen<lb/> Kanzlei, das meißnische Hochdeutsch nannte. Luther ist ja der erste Klassiker<lb/> derselben geworden. Wenig hat es auch zu bedeuten, daß schon 1748 der<lb/> rationalistische Gottsched in seiner deutschen Sprachkunst Luther unter den<lb/> mustergültigen Schriftstellern nicht mehr erwähnt. Denn Lessing und Goethe,<lb/> dessen bedeutendste Nachfolger in der neuhochdeutschen Prosa, haben offen an¬<lb/> erkannt, wieviel sie Luther verdanken. Da unsere Schriftsprache wie jede lebende<lb/> Sprache in steter Wandlung begriffen ist, so war natürlich schon zu Gottscheds<lb/> Zeit vieles an der Sprache Luthers veraltet und ist es natürlich jetzt noch mehr;<lb/> aber auch an der Lessings und Goethes ist jetzt bereits manches veraltet. Das alles<lb/> kann aber doch nur dazu führen, mehrere Perioden der neuhochdeutschen Schrift¬<lb/> sprache zu unterscheiden; die letzte dürfte erst mit der amtlichen Einführung<lb/> der einheitlichen Rechtschreibung beginnen.</p><lb/> <p xml:id="ID_930"> Schöpfer der neuhochdeutschen Schriftsprache ist Luther nicht, wenigstens<lb/> nicht in dem Sinne wie Ulfilas der der gotischen. Aber er ist ihr das ge¬<lb/> worden, was Wolfram der Gral- und Goethe der Faustsage ward, oder Bismarck<lb/> dem deutschen Reiche. Luther muß als der Mann gelten, der für ihre Ent¬<lb/> stehung die gewaltigste Tat vollbracht hat.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0265]
Luther und die neuhochdeutsche Schriftsprache
gerade das förderte ihre räumliche Verbreitung, deun sie wurde, wie H. Paul
1909 im Literaturblatt für germanische und romanische Philologie 30 S. 148
betont, das Muster für Niederdeutschland, und dieser Anschluß Niederdeutsch¬
lands ist das eigentlich Entscheidende gewesen für die Entstehung einer von den
Mundarten scharf gegliederten Gemeinsprache. Allerdings kam der seit der
beginnenden Zurückdrängung des Lateins kulturell notwendige Entwicklungs¬
prozeß einer einzigen deutschen Schriftsprache noch nicht durch Luther zu Ende,
wohl aber später infolge Luthers: unter den hochdeutsch schreibenden Kanzleien,
deren Praxis 1531 Frangk widergibt, sind neben der kaiserlichen nur mittel-
und niederdeutsche, nämlich die von Böhmen, Meißen, Sachsen, Thüringen,
Hessen, Schlesien, doch auch von Pommern, der Mark und den umliegenden
Ländern. Als Luther seine schriftstellerische Tätigkeit begann, fand er fünf
hochdeutsche Drucksprachen vor. Aber schon 1593 kennt Helder nur noch
drei, nämlich die donauische, die Fortsetzung der kaiserlichen, die höchst¬
rheinische in der Schweiz und im Elsaß, und die mitteldeutsche, die schon
die Luthersprache schlechthin ist. In sie sind also die beiden andern mittel¬
deutschen Drucksprachen bereits eingemündet, so daß sie schon fünfzig Jahre
nach Luthers Tode die Schriftsprache des protestantischen Mittel- und
Niederdeutschlands war. Zwar verfloß noch etwa ein Jahrhundert, ehe
sie allmählich und unter hartem Widerstande der oberdeutschen Katholiken
allgemein mustergültig wurde, wie Burdach treffend nachgewiesen hat, da
diese aber in ihren Bibelübersetzungen sich möglichst an Luther anschlössen,
wurden sie selbst Schrittmacher seiner Sprache. Daß aber selbst die grimmigsten
Feinde aller deutschen Art, die Jesuiten, im katholischen Deutschland den Sieges¬
lauf jener auf die Dauer nicht hemmen konnten, beweist die in ihr liegende
Kraft. Luthers Verdienst wird auch dadurch wenig geschmälert, daß andere,
besonders norddeutsche, auf dem von ihm gelegten Grunde weiter bauten, den
norddeutschen Anflug verstärkend und manche veralteten Formen sowie übrig
gebliebenen Jnkonsequenzen beseitigend, wie Opitz, Bödiker, Gottsched. Gerade
dadurch wurde der Erneuerungsprozeß lebendig erhalten. Auch der Umstand
spricht nicht dagegen, daß man Luthers Sprache, wie die der obersächsischen
Kanzlei, das meißnische Hochdeutsch nannte. Luther ist ja der erste Klassiker
derselben geworden. Wenig hat es auch zu bedeuten, daß schon 1748 der
rationalistische Gottsched in seiner deutschen Sprachkunst Luther unter den
mustergültigen Schriftstellern nicht mehr erwähnt. Denn Lessing und Goethe,
dessen bedeutendste Nachfolger in der neuhochdeutschen Prosa, haben offen an¬
erkannt, wieviel sie Luther verdanken. Da unsere Schriftsprache wie jede lebende
Sprache in steter Wandlung begriffen ist, so war natürlich schon zu Gottscheds
Zeit vieles an der Sprache Luthers veraltet und ist es natürlich jetzt noch mehr;
aber auch an der Lessings und Goethes ist jetzt bereits manches veraltet. Das alles
kann aber doch nur dazu führen, mehrere Perioden der neuhochdeutschen Schrift¬
sprache zu unterscheiden; die letzte dürfte erst mit der amtlichen Einführung
der einheitlichen Rechtschreibung beginnen.
Schöpfer der neuhochdeutschen Schriftsprache ist Luther nicht, wenigstens
nicht in dem Sinne wie Ulfilas der der gotischen. Aber er ist ihr das ge¬
worden, was Wolfram der Gral- und Goethe der Faustsage ward, oder Bismarck
dem deutschen Reiche. Luther muß als der Mann gelten, der für ihre Ent¬
stehung die gewaltigste Tat vollbracht hat.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |