Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.Luther und die neuhochdeutsche Schriftsprache eine im Stil und Satzbau klassische deutsche Bibel schenkte, der kursächsischen Der Ausdruck: "ich rede nach der sächsischen Kanzlei. deutet an, daß Auch der Rechtschreibung der Wittenberger Druckereien, die gleichfalls im Dieser und alle Zeitgenossen, die Luthers Schriftsprache erwähnen, betrachten Das entspricht durchaus den Tatsachen. Luthers scharfer Blick erkannte Aber auch den willkürlichen Änderungen des Lautstandes und der Laut- Luther und die neuhochdeutsche Schriftsprache eine im Stil und Satzbau klassische deutsche Bibel schenkte, der kursächsischen Der Ausdruck: „ich rede nach der sächsischen Kanzlei. deutet an, daß Auch der Rechtschreibung der Wittenberger Druckereien, die gleichfalls im Dieser und alle Zeitgenossen, die Luthers Schriftsprache erwähnen, betrachten Das entspricht durchaus den Tatsachen. Luthers scharfer Blick erkannte Aber auch den willkürlichen Änderungen des Lautstandes und der Laut- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0262" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329490"/> <fw type="header" place="top"> Luther und die neuhochdeutsche Schriftsprache</fw><lb/> <p xml:id="ID_915" prev="#ID_914"> eine im Stil und Satzbau klassische deutsche Bibel schenkte, der kursächsischen<lb/> Kanzlei vor der kaiserlichen den Vorzug gab. So verlegte Luther Deutsch¬<lb/> lands sprachlichen Schwerpunkt von der Donau an die Mittelelbe, der nun auch<lb/> Niederdeutschland näher kam. In sprachlicher Beziehung sind Friedrich der<lb/> Weise und Luther des deutschgesinnten Kaisers Maximilian Nachfolger geworden.<lb/> "</p><lb/> <p xml:id="ID_916"> Der Ausdruck: „ich rede nach der sächsischen Kanzlei. deutet an, daß<lb/> Luther gar nicht eine buchstabengetreue Nachahmung derselben meint. Und in<lb/> der Tat gleicht Luthers Landstand und Rechtschreibung zwar meist denen der<lb/> kursächsischen Kanzlei, weicht aber auch in mehreren Punkten von ihr ab und<lb/> stimmt dann teils mit der kaiserlichen, teils mit der des nordöstlichen Thüringens<lb/> überein. Ersteres ist der Fall bei „ne" und „ne" für mittelhochdeutsches „no"<lb/> und „ne", so „guet, bucken" und bei „ce" für langes „e". so „seer", letzteres<lb/> bei „el" und „ep" für kaiserliches und sehr oft auch kursächsisches „al" und<lb/> „ar>", bei „i" in den Endungen, das sich schon nach 1520 gar nicht mehr in<lb/> den Schreiben der kursächsischen Kanzlei findet, in denen Luthers aber erst nach<lb/> 1525 zu schwinden beginnt, so in „stehn", bei „le" sür verlängertes „i", so<lb/> in „diese", das die kursächsische und kaiserliche Kanzlei um 1520 meidet, bei<lb/> „dd" für „d". das Luther bis 1534 liebt, so in „otter".</p><lb/> <p xml:id="ID_917"> Auch der Rechtschreibung der Wittenberger Druckereien, die gleichfalls im<lb/> wesentlichen auf der kursächsischen Kanzlei fußten, näherte Luther seit 1521 die<lb/> seinige etwas an; so ersetzte er sein früheres anlautendes „ez" durch deren „dz".<lb/> Auch den Umlautsbezeichnnngen von „ö und ü" hat wohl nicht bloß der Vor¬<lb/> gang der noroostthüringischen Kanzleien, sondern auch der der westdeutschen<lb/> Druckereien später die Herrschaft in Luthers Drucken verschafft, desgleichen den<lb/> westmitteldeutschen Formen „almosen, bösen ^ Busen, wase --- Base". Ähnlich<lb/> verfuhr auch 1531 sein Verherrlicher Fabian Frangk in seinem Kanzleibüchlein.</p><lb/> <p xml:id="ID_918"> Dieser und alle Zeitgenossen, die Luthers Schriftsprache erwähnen, betrachten<lb/> sie keineswegs als Neuschöpfung. Auch führt er in einem Atem Kaiser Maximilians<lb/> Kanzlei und Luthers Schreiben als beste Muster der deutschen Sprache an,<lb/> wobei auch die Gleichstellung der Luthersprache mit der kaiserlichen Kanzlei¬<lb/> sprache vor 1520 zu beachten ist. Ähnliches Lob spendet jener 1527 der<lb/> katholische Herzog Georg von Sachsen. 1533 G. Witzel. 1535 W. Rihel. 1536<lb/> E. Albertus. Doch am treffendsten bezeichnet Luthers Stellung zur neuhoch¬<lb/> deutschen Schriftsprache 1546 Justus Jonas: „Es haben auch die Kanzleien<lb/> zum Teil von ihm gelernt recht deutsch schreiben und reden; denn er hat die<lb/> deutsche Sprache wieder recht Herfür gebracht." Er stellt ihn also bereits als<lb/> Reformator der Kanzleisprache hin.</p><lb/> <p xml:id="ID_919"> Das entspricht durchaus den Tatsachen. Luthers scharfer Blick erkannte<lb/> sehr bald die Reformbedürftigkeit jener. Schon 1523 schreibt er in der Vor¬<lb/> rede zum Alten Testament: „Ich hab auch noch bis her kein Buch noch Brief<lb/> gelesen, da rechte Art deutscher Sprach innen were. Es achtet auch niemand<lb/> recht deutsch zu reden, sonderlich der Herrn Kanzeleien und die Lumpenprediger<lb/> und Puppenschreiber, die sich lassen bunten, sie haben Macht deutsche Sprach<lb/> zu endern."</p><lb/> <p xml:id="ID_920" next="#ID_921"> Aber auch den willkürlichen Änderungen des Lautstandes und der Laut-<lb/> bezeichnung, die sich damals die Drucker erlaubten, trat Luther später energisch<lb/> entgegen, indem er. wie H, Luffts Karrektor, Christoph Walther, berichtet, be¬<lb/> stimmte Druckanweisungen gab, „alle Wörter in der Biblia und zwar auch in allen<lb/> anderen Büchern Lutheri mit recht eigenen und gebürlichen Buchstaben zu drücken"<lb/> und „viele gleichlautende Wörter mit sonderlichen Buchstaben zu drücken" sowie</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0262]
Luther und die neuhochdeutsche Schriftsprache
eine im Stil und Satzbau klassische deutsche Bibel schenkte, der kursächsischen
Kanzlei vor der kaiserlichen den Vorzug gab. So verlegte Luther Deutsch¬
lands sprachlichen Schwerpunkt von der Donau an die Mittelelbe, der nun auch
Niederdeutschland näher kam. In sprachlicher Beziehung sind Friedrich der
Weise und Luther des deutschgesinnten Kaisers Maximilian Nachfolger geworden.
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Der Ausdruck: „ich rede nach der sächsischen Kanzlei. deutet an, daß
Luther gar nicht eine buchstabengetreue Nachahmung derselben meint. Und in
der Tat gleicht Luthers Landstand und Rechtschreibung zwar meist denen der
kursächsischen Kanzlei, weicht aber auch in mehreren Punkten von ihr ab und
stimmt dann teils mit der kaiserlichen, teils mit der des nordöstlichen Thüringens
überein. Ersteres ist der Fall bei „ne" und „ne" für mittelhochdeutsches „no"
und „ne", so „guet, bucken" und bei „ce" für langes „e". so „seer", letzteres
bei „el" und „ep" für kaiserliches und sehr oft auch kursächsisches „al" und
„ar>", bei „i" in den Endungen, das sich schon nach 1520 gar nicht mehr in
den Schreiben der kursächsischen Kanzlei findet, in denen Luthers aber erst nach
1525 zu schwinden beginnt, so in „stehn", bei „le" sür verlängertes „i", so
in „diese", das die kursächsische und kaiserliche Kanzlei um 1520 meidet, bei
„dd" für „d". das Luther bis 1534 liebt, so in „otter".
Auch der Rechtschreibung der Wittenberger Druckereien, die gleichfalls im
wesentlichen auf der kursächsischen Kanzlei fußten, näherte Luther seit 1521 die
seinige etwas an; so ersetzte er sein früheres anlautendes „ez" durch deren „dz".
Auch den Umlautsbezeichnnngen von „ö und ü" hat wohl nicht bloß der Vor¬
gang der noroostthüringischen Kanzleien, sondern auch der der westdeutschen
Druckereien später die Herrschaft in Luthers Drucken verschafft, desgleichen den
westmitteldeutschen Formen „almosen, bösen ^ Busen, wase --- Base". Ähnlich
verfuhr auch 1531 sein Verherrlicher Fabian Frangk in seinem Kanzleibüchlein.
Dieser und alle Zeitgenossen, die Luthers Schriftsprache erwähnen, betrachten
sie keineswegs als Neuschöpfung. Auch führt er in einem Atem Kaiser Maximilians
Kanzlei und Luthers Schreiben als beste Muster der deutschen Sprache an,
wobei auch die Gleichstellung der Luthersprache mit der kaiserlichen Kanzlei¬
sprache vor 1520 zu beachten ist. Ähnliches Lob spendet jener 1527 der
katholische Herzog Georg von Sachsen. 1533 G. Witzel. 1535 W. Rihel. 1536
E. Albertus. Doch am treffendsten bezeichnet Luthers Stellung zur neuhoch¬
deutschen Schriftsprache 1546 Justus Jonas: „Es haben auch die Kanzleien
zum Teil von ihm gelernt recht deutsch schreiben und reden; denn er hat die
deutsche Sprache wieder recht Herfür gebracht." Er stellt ihn also bereits als
Reformator der Kanzleisprache hin.
Das entspricht durchaus den Tatsachen. Luthers scharfer Blick erkannte
sehr bald die Reformbedürftigkeit jener. Schon 1523 schreibt er in der Vor¬
rede zum Alten Testament: „Ich hab auch noch bis her kein Buch noch Brief
gelesen, da rechte Art deutscher Sprach innen were. Es achtet auch niemand
recht deutsch zu reden, sonderlich der Herrn Kanzeleien und die Lumpenprediger
und Puppenschreiber, die sich lassen bunten, sie haben Macht deutsche Sprach
zu endern."
Aber auch den willkürlichen Änderungen des Lautstandes und der Laut-
bezeichnung, die sich damals die Drucker erlaubten, trat Luther später energisch
entgegen, indem er. wie H, Luffts Karrektor, Christoph Walther, berichtet, be¬
stimmte Druckanweisungen gab, „alle Wörter in der Biblia und zwar auch in allen
anderen Büchern Lutheri mit recht eigenen und gebürlichen Buchstaben zu drücken"
und „viele gleichlautende Wörter mit sonderlichen Buchstaben zu drücken" sowie
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