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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Deutschlands wirtschaftliche Kriegführung und Uriegslagc

unvermeidlich. Die Einziehung der leistungsfähigsten Arbeitskräfte, das völlige
Darniederliegen des Verkehrs in der ersten Mobilmachungszeit, das Schlummern
des Unternehmungsgeistes der Wirtschaftsleiter bis zu den ersten, neue Zuversicht
gewährenden Waffenerfolgen führten mit Notwendigkeit zu mancherlei Er¬
schütterungen. Nach und nach aber erfolgt auf dem Arbeitsmarkt eine fort¬
schreitende Anpassung an die Kriegsbedürfnisse, wird das Stilliegen der
Luxusindustrie ausgeglichen durch die wesentlich gesteigerte Beschäftigung in
allen mit Kriegslieferungen beschäftigten Industrien, rollen die durch die Kriegs¬
anleihe gesammelten Milliarden in Gestalt von Ausgaben der Heeres- und
Flottenleitung neu belebend durch die Volkswirtschaft.

Es kommt hinzu, daß dem "meerbeherrschenden" England und seiner
Einlreisungspolitik keineswegs gelungen ist, Deutschland völlig vom Außenhandel
abzuschneiden. Nur auf dem Papier hat England die Nordsee gesperrt; in
Wahrheit aber hat es den Versuch einer wirksamen Blockade zu keiner Zeit
gewagt. Die Ostsee vollends wird durch unsere Kriegsflotte als freier Tummel¬
platz der Handelsflotte offen gehalten, wodurch ein beträchtlicher Außenhandel
durch neutrale Vermittelung ermöglicht bleibt. Auch die Neutralität Italiens
gewährt unserem Handel den Vorteil, notwendige Verbindungen auf Umwegen
offen zu halten.

Der hochverdiente Reichsbankpräsident konnte in der Sitzung des Zentral¬
ausschusses der Reichsbank vom 29. September d. I. auf Grund seiner Kenntnis
der seit Kriegsbeginn nicht mehr veröffentlichten Statistik des deutschen Außen¬
handels die Erklärung abgeben:

"Auch der Außenhandel ist zu einem sehr starken Teil erhalten geblieben; und
es ist von besonderem Interesse, daß unsere Ausfuhr im August trotz aller ihr berei¬
teten Hemmungen absolut wie relativ weniger zurückgegangen ist als die Englands."

Dazu ist zu bemerken, daß die Abnahme der englischen Ausfuhr im August
sich auf etwa 45 Prozent bezifferte.

Noch stärker war der Ausfuhrausfall in Rußland, das im weiteren Verlauf
des Krieges auch von dem Handelsverkehr über das Schwarze Meer abgesperrt
worden ist.

Da die wichtigsten Jndustriebezirke Frankreichs in das Reich der Schlacht¬
felder gezogen worden sind, kann schwerlich bezweifelt werden, daß die wirt¬
schaftliche Kriegslage in Deutschland sich günstiger stellt als in den feindlichen
Ländern, trotzdem die wirtschaftliche Kriegführung Deutschlands, wie gesagt,
sich sast ganz auf die Verteidigung beschränkt und -- von vereinzelten Maßnahmen
abgesehen -- nicht angriffsweise betrieben wird.

Diese Erscheinung verdanken wir der starken inneren Konsolidierung der
deutschen Volkswirtschaft mit Hilfe einer folgerichtigen Wirtschaftspolitik, die es
verstanden hat, die ungeheuren deutschen Produktivkräfte in Landwirtschaft und
Industrie möglichst gleichmäßig zu entwickeln und auf der ganzen Linie zur
vollen Geltung zu bringen.




Deutschlands wirtschaftliche Kriegführung und Uriegslagc

unvermeidlich. Die Einziehung der leistungsfähigsten Arbeitskräfte, das völlige
Darniederliegen des Verkehrs in der ersten Mobilmachungszeit, das Schlummern
des Unternehmungsgeistes der Wirtschaftsleiter bis zu den ersten, neue Zuversicht
gewährenden Waffenerfolgen führten mit Notwendigkeit zu mancherlei Er¬
schütterungen. Nach und nach aber erfolgt auf dem Arbeitsmarkt eine fort¬
schreitende Anpassung an die Kriegsbedürfnisse, wird das Stilliegen der
Luxusindustrie ausgeglichen durch die wesentlich gesteigerte Beschäftigung in
allen mit Kriegslieferungen beschäftigten Industrien, rollen die durch die Kriegs¬
anleihe gesammelten Milliarden in Gestalt von Ausgaben der Heeres- und
Flottenleitung neu belebend durch die Volkswirtschaft.

Es kommt hinzu, daß dem „meerbeherrschenden" England und seiner
Einlreisungspolitik keineswegs gelungen ist, Deutschland völlig vom Außenhandel
abzuschneiden. Nur auf dem Papier hat England die Nordsee gesperrt; in
Wahrheit aber hat es den Versuch einer wirksamen Blockade zu keiner Zeit
gewagt. Die Ostsee vollends wird durch unsere Kriegsflotte als freier Tummel¬
platz der Handelsflotte offen gehalten, wodurch ein beträchtlicher Außenhandel
durch neutrale Vermittelung ermöglicht bleibt. Auch die Neutralität Italiens
gewährt unserem Handel den Vorteil, notwendige Verbindungen auf Umwegen
offen zu halten.

Der hochverdiente Reichsbankpräsident konnte in der Sitzung des Zentral¬
ausschusses der Reichsbank vom 29. September d. I. auf Grund seiner Kenntnis
der seit Kriegsbeginn nicht mehr veröffentlichten Statistik des deutschen Außen¬
handels die Erklärung abgeben:

„Auch der Außenhandel ist zu einem sehr starken Teil erhalten geblieben; und
es ist von besonderem Interesse, daß unsere Ausfuhr im August trotz aller ihr berei¬
teten Hemmungen absolut wie relativ weniger zurückgegangen ist als die Englands."

Dazu ist zu bemerken, daß die Abnahme der englischen Ausfuhr im August
sich auf etwa 45 Prozent bezifferte.

Noch stärker war der Ausfuhrausfall in Rußland, das im weiteren Verlauf
des Krieges auch von dem Handelsverkehr über das Schwarze Meer abgesperrt
worden ist.

Da die wichtigsten Jndustriebezirke Frankreichs in das Reich der Schlacht¬
felder gezogen worden sind, kann schwerlich bezweifelt werden, daß die wirt¬
schaftliche Kriegslage in Deutschland sich günstiger stellt als in den feindlichen
Ländern, trotzdem die wirtschaftliche Kriegführung Deutschlands, wie gesagt,
sich sast ganz auf die Verteidigung beschränkt und — von vereinzelten Maßnahmen
abgesehen — nicht angriffsweise betrieben wird.

Diese Erscheinung verdanken wir der starken inneren Konsolidierung der
deutschen Volkswirtschaft mit Hilfe einer folgerichtigen Wirtschaftspolitik, die es
verstanden hat, die ungeheuren deutschen Produktivkräfte in Landwirtschaft und
Industrie möglichst gleichmäßig zu entwickeln und auf der ganzen Linie zur
vollen Geltung zu bringen.




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[0254] Deutschlands wirtschaftliche Kriegführung und Uriegslagc unvermeidlich. Die Einziehung der leistungsfähigsten Arbeitskräfte, das völlige Darniederliegen des Verkehrs in der ersten Mobilmachungszeit, das Schlummern des Unternehmungsgeistes der Wirtschaftsleiter bis zu den ersten, neue Zuversicht gewährenden Waffenerfolgen führten mit Notwendigkeit zu mancherlei Er¬ schütterungen. Nach und nach aber erfolgt auf dem Arbeitsmarkt eine fort¬ schreitende Anpassung an die Kriegsbedürfnisse, wird das Stilliegen der Luxusindustrie ausgeglichen durch die wesentlich gesteigerte Beschäftigung in allen mit Kriegslieferungen beschäftigten Industrien, rollen die durch die Kriegs¬ anleihe gesammelten Milliarden in Gestalt von Ausgaben der Heeres- und Flottenleitung neu belebend durch die Volkswirtschaft. Es kommt hinzu, daß dem „meerbeherrschenden" England und seiner Einlreisungspolitik keineswegs gelungen ist, Deutschland völlig vom Außenhandel abzuschneiden. Nur auf dem Papier hat England die Nordsee gesperrt; in Wahrheit aber hat es den Versuch einer wirksamen Blockade zu keiner Zeit gewagt. Die Ostsee vollends wird durch unsere Kriegsflotte als freier Tummel¬ platz der Handelsflotte offen gehalten, wodurch ein beträchtlicher Außenhandel durch neutrale Vermittelung ermöglicht bleibt. Auch die Neutralität Italiens gewährt unserem Handel den Vorteil, notwendige Verbindungen auf Umwegen offen zu halten. Der hochverdiente Reichsbankpräsident konnte in der Sitzung des Zentral¬ ausschusses der Reichsbank vom 29. September d. I. auf Grund seiner Kenntnis der seit Kriegsbeginn nicht mehr veröffentlichten Statistik des deutschen Außen¬ handels die Erklärung abgeben: „Auch der Außenhandel ist zu einem sehr starken Teil erhalten geblieben; und es ist von besonderem Interesse, daß unsere Ausfuhr im August trotz aller ihr berei¬ teten Hemmungen absolut wie relativ weniger zurückgegangen ist als die Englands." Dazu ist zu bemerken, daß die Abnahme der englischen Ausfuhr im August sich auf etwa 45 Prozent bezifferte. Noch stärker war der Ausfuhrausfall in Rußland, das im weiteren Verlauf des Krieges auch von dem Handelsverkehr über das Schwarze Meer abgesperrt worden ist. Da die wichtigsten Jndustriebezirke Frankreichs in das Reich der Schlacht¬ felder gezogen worden sind, kann schwerlich bezweifelt werden, daß die wirt¬ schaftliche Kriegslage in Deutschland sich günstiger stellt als in den feindlichen Ländern, trotzdem die wirtschaftliche Kriegführung Deutschlands, wie gesagt, sich sast ganz auf die Verteidigung beschränkt und — von vereinzelten Maßnahmen abgesehen — nicht angriffsweise betrieben wird. Diese Erscheinung verdanken wir der starken inneren Konsolidierung der deutschen Volkswirtschaft mit Hilfe einer folgerichtigen Wirtschaftspolitik, die es verstanden hat, die ungeheuren deutschen Produktivkräfte in Landwirtschaft und Industrie möglichst gleichmäßig zu entwickeln und auf der ganzen Linie zur vollen Geltung zu bringen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/254>, abgerufen am 30.06.2024.