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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Deutschlands wirtschaftliche Kriegführung und Kricgslage

Immerhin kann festgestellt werden, daß in einzelnen Punkten auch die
wirtschaftliche Kriegführung Deutschlands die reine Verteidigungsstellung durch¬
brochen hat und zum Angriff übergegangen ist.

Nicht nur militärischer, sondern auch wirtschaftlicher Angriffskrieg war es,
wenn wir an der Ost- wie an der Westgrenze die seindliche Grenze zuerst gerade
in jenen Gebieten überschritten, die an unsere Kohlen- und Erzbecken angrenzten
und den Feinden wertvolle Rohstoffe zu liefern in der Lage waren, solange
sie nicht durch unsere Truppen besetzt waren. Nicht nur maritimer, sondern
auch wirtschaftlicher Angriffskrieg war es, wenn gleich zu Kriegsbeginn unsere
flinken Kreuzer und todesmutigen Minenleger sich vor russischen Häfen und in
englischen Flußmündungen tummelten.

Soweit aber die wirtschaftliche Kriegführung nicht einfach eine Begleit¬
erscheinung des Angriffskrieges zu Lande und zu Wasser war, sondern den
Maßnahmen der Zioilverwaltung vorbehalten blieb, verharrten wir fast aus¬
schließlich in der Verteidigungsstellung. Nur ganz vereinzelte Bestimmungen
der deutschen Ausfuhrverbote trugen allenfalls das Gepräge eines wirtschaftlichen
Angriffskrieges. Im allgemeinen wurde nur die Ausfuhr solcher Stoffe und
Erzeugnisse verboten, die unmittelbar für den Heeresbedarf angefordert wurden.

Unter den vereinzelten Bestimmungen, die darüber hinaus -- nicht ohne
Erfolg -- dem Zweck zu dienen hatten, die Gegner wirtschaftlich zu schädigen,
verdienen Hervorhebung das Ausfuhrverbot für Zucker und für Farbstoffe.

Tas letztere führte zu erheblicher Beeinträchtigung der an die Verwendung
deutscher Farbstoffe gewohnten britischen Baumwollindustrie.

Das Zuckerausfuhrverbot wurde auf Drängen neutraler Mächte durch¬
löchert, aber alsbald wieder verschärft, da man erkannte, daß das Unterbleiben
der Zuckerzufuhr aus Deutschland England wirtschaftlich nicht unerheblich traf
und es unklug gewesen wäre, der erneuten Versorgung Englands mit deutschem
Zucker auf dem Wege über neutrale Länder neue Pforten zu öffnen.

Im großen und ganzen aber beschränkte sich die wirtschaftliche Kriegführung
in Deutschland auf solche Verteidigungsmaßregeln, deren Zweck es war, das durch
die Mobilmachung zunächst unterbundene deutsche Volkswirtschastsgetriebe neu
zu beleben. Zu diesen: Ende wurde der deutsche Arbeitsmarkt den Kriegs¬
bedürfnissen gemäß umgestaltet, wurden Organisationen geschaffen, wie der
Kriegsausschuß der deutschen Industrie und die verschiedenen Kriegsrohstoff-
gesellschaften.

Angesichts der Tatsache, daß Deutschlands wirtschaftliche Kriegführung sich
in so hohem Grade auf die Verteidigung beschränkte, indessen unsere Gegner
in weitesten Maße angriffsweise vorgingen, verdient es doppelte Beachtung
und Anerkennung, daß die wirtschaftliche Kriegslage in Deutschland sich im
wesentlichen doch beträchtlich günstiger gestaltete als die Wirtschaftslage im
feindlichen Ausland während des Krieges. Selbstverständlich waren auch im
Deutschen Reich große wirtschaftliche Erschwernisse und Umgestaltungen schlechtweg


Grenzboten IV 1914 1ö
Deutschlands wirtschaftliche Kriegführung und Kricgslage

Immerhin kann festgestellt werden, daß in einzelnen Punkten auch die
wirtschaftliche Kriegführung Deutschlands die reine Verteidigungsstellung durch¬
brochen hat und zum Angriff übergegangen ist.

Nicht nur militärischer, sondern auch wirtschaftlicher Angriffskrieg war es,
wenn wir an der Ost- wie an der Westgrenze die seindliche Grenze zuerst gerade
in jenen Gebieten überschritten, die an unsere Kohlen- und Erzbecken angrenzten
und den Feinden wertvolle Rohstoffe zu liefern in der Lage waren, solange
sie nicht durch unsere Truppen besetzt waren. Nicht nur maritimer, sondern
auch wirtschaftlicher Angriffskrieg war es, wenn gleich zu Kriegsbeginn unsere
flinken Kreuzer und todesmutigen Minenleger sich vor russischen Häfen und in
englischen Flußmündungen tummelten.

Soweit aber die wirtschaftliche Kriegführung nicht einfach eine Begleit¬
erscheinung des Angriffskrieges zu Lande und zu Wasser war, sondern den
Maßnahmen der Zioilverwaltung vorbehalten blieb, verharrten wir fast aus¬
schließlich in der Verteidigungsstellung. Nur ganz vereinzelte Bestimmungen
der deutschen Ausfuhrverbote trugen allenfalls das Gepräge eines wirtschaftlichen
Angriffskrieges. Im allgemeinen wurde nur die Ausfuhr solcher Stoffe und
Erzeugnisse verboten, die unmittelbar für den Heeresbedarf angefordert wurden.

Unter den vereinzelten Bestimmungen, die darüber hinaus — nicht ohne
Erfolg — dem Zweck zu dienen hatten, die Gegner wirtschaftlich zu schädigen,
verdienen Hervorhebung das Ausfuhrverbot für Zucker und für Farbstoffe.

Tas letztere führte zu erheblicher Beeinträchtigung der an die Verwendung
deutscher Farbstoffe gewohnten britischen Baumwollindustrie.

Das Zuckerausfuhrverbot wurde auf Drängen neutraler Mächte durch¬
löchert, aber alsbald wieder verschärft, da man erkannte, daß das Unterbleiben
der Zuckerzufuhr aus Deutschland England wirtschaftlich nicht unerheblich traf
und es unklug gewesen wäre, der erneuten Versorgung Englands mit deutschem
Zucker auf dem Wege über neutrale Länder neue Pforten zu öffnen.

Im großen und ganzen aber beschränkte sich die wirtschaftliche Kriegführung
in Deutschland auf solche Verteidigungsmaßregeln, deren Zweck es war, das durch
die Mobilmachung zunächst unterbundene deutsche Volkswirtschastsgetriebe neu
zu beleben. Zu diesen: Ende wurde der deutsche Arbeitsmarkt den Kriegs¬
bedürfnissen gemäß umgestaltet, wurden Organisationen geschaffen, wie der
Kriegsausschuß der deutschen Industrie und die verschiedenen Kriegsrohstoff-
gesellschaften.

Angesichts der Tatsache, daß Deutschlands wirtschaftliche Kriegführung sich
in so hohem Grade auf die Verteidigung beschränkte, indessen unsere Gegner
in weitesten Maße angriffsweise vorgingen, verdient es doppelte Beachtung
und Anerkennung, daß die wirtschaftliche Kriegslage in Deutschland sich im
wesentlichen doch beträchtlich günstiger gestaltete als die Wirtschaftslage im
feindlichen Ausland während des Krieges. Selbstverständlich waren auch im
Deutschen Reich große wirtschaftliche Erschwernisse und Umgestaltungen schlechtweg


Grenzboten IV 1914 1ö
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[0253] Deutschlands wirtschaftliche Kriegführung und Kricgslage Immerhin kann festgestellt werden, daß in einzelnen Punkten auch die wirtschaftliche Kriegführung Deutschlands die reine Verteidigungsstellung durch¬ brochen hat und zum Angriff übergegangen ist. Nicht nur militärischer, sondern auch wirtschaftlicher Angriffskrieg war es, wenn wir an der Ost- wie an der Westgrenze die seindliche Grenze zuerst gerade in jenen Gebieten überschritten, die an unsere Kohlen- und Erzbecken angrenzten und den Feinden wertvolle Rohstoffe zu liefern in der Lage waren, solange sie nicht durch unsere Truppen besetzt waren. Nicht nur maritimer, sondern auch wirtschaftlicher Angriffskrieg war es, wenn gleich zu Kriegsbeginn unsere flinken Kreuzer und todesmutigen Minenleger sich vor russischen Häfen und in englischen Flußmündungen tummelten. Soweit aber die wirtschaftliche Kriegführung nicht einfach eine Begleit¬ erscheinung des Angriffskrieges zu Lande und zu Wasser war, sondern den Maßnahmen der Zioilverwaltung vorbehalten blieb, verharrten wir fast aus¬ schließlich in der Verteidigungsstellung. Nur ganz vereinzelte Bestimmungen der deutschen Ausfuhrverbote trugen allenfalls das Gepräge eines wirtschaftlichen Angriffskrieges. Im allgemeinen wurde nur die Ausfuhr solcher Stoffe und Erzeugnisse verboten, die unmittelbar für den Heeresbedarf angefordert wurden. Unter den vereinzelten Bestimmungen, die darüber hinaus — nicht ohne Erfolg — dem Zweck zu dienen hatten, die Gegner wirtschaftlich zu schädigen, verdienen Hervorhebung das Ausfuhrverbot für Zucker und für Farbstoffe. Tas letztere führte zu erheblicher Beeinträchtigung der an die Verwendung deutscher Farbstoffe gewohnten britischen Baumwollindustrie. Das Zuckerausfuhrverbot wurde auf Drängen neutraler Mächte durch¬ löchert, aber alsbald wieder verschärft, da man erkannte, daß das Unterbleiben der Zuckerzufuhr aus Deutschland England wirtschaftlich nicht unerheblich traf und es unklug gewesen wäre, der erneuten Versorgung Englands mit deutschem Zucker auf dem Wege über neutrale Länder neue Pforten zu öffnen. Im großen und ganzen aber beschränkte sich die wirtschaftliche Kriegführung in Deutschland auf solche Verteidigungsmaßregeln, deren Zweck es war, das durch die Mobilmachung zunächst unterbundene deutsche Volkswirtschastsgetriebe neu zu beleben. Zu diesen: Ende wurde der deutsche Arbeitsmarkt den Kriegs¬ bedürfnissen gemäß umgestaltet, wurden Organisationen geschaffen, wie der Kriegsausschuß der deutschen Industrie und die verschiedenen Kriegsrohstoff- gesellschaften. Angesichts der Tatsache, daß Deutschlands wirtschaftliche Kriegführung sich in so hohem Grade auf die Verteidigung beschränkte, indessen unsere Gegner in weitesten Maße angriffsweise vorgingen, verdient es doppelte Beachtung und Anerkennung, daß die wirtschaftliche Kriegslage in Deutschland sich im wesentlichen doch beträchtlich günstiger gestaltete als die Wirtschaftslage im feindlichen Ausland während des Krieges. Selbstverständlich waren auch im Deutschen Reich große wirtschaftliche Erschwernisse und Umgestaltungen schlechtweg Grenzboten IV 1914 1ö

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/253>, abgerufen am 02.07.2024.