Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Neue Bismarckgcsprcichc

Könige nur von Paris aus zugehen/ Damals wußte ich noch nicht, daß wir
am Vorabend der Republik standen. Damals konnten wir den Kaiser wieder
einsetzen und würden es getan haben, die Armee hätte ihn zurückerhalten. Die
Pariser Gewalthaber zogen mich ganze vierzehn Tage hin. Ich konnte nicht
länger warten und so war ich denn mit der Republik einverstanden. Noch
heute bedauere ich nicht, dies getan zu haben, obgleich ich damals noch nicht
ganz sicher war, ob man nicht klug daran handeln würde, das Kaiserreich
wieder herzustellen. Unsere Unterhaltung dauerte etwa eine Stunde, vermied
jedoch ein weiteres Eingehen auf die Übergabe der Armee. Wie ich schon sagte,
war ich achtundvierzig Stunden ohne Speise und Trank, und meine Kleidung
schmutzbefleckt. Die Schlachtenatmosphäre hatte mich geschwärzt. Ich benutzte
dies als Entschuldigung, um mich nach einem angemessenen Aufenthaltsort für
den Kaiser umzusehen und schied so von ihm. Nachdem trafen sich der König
und der Kaiser, und auf beiden Seiten flössen Tränen. Ich sah Napoleon nur
noch einmal, als er durch Kassel kam. Der Zug und sein Gefolge hielten auf
dem Bahnhof. Ich bemerkte, daß sich die Wagen in tadelloser Sauberkeit und
Ordnung befanden, als ob sie gerade aus dem Kutschhause in Versailles gekommen
und nicht drei Monate unterwegs gewesen wären. Ich hob meine Hand, und
er grüßte mich in gleicher Weise.

Napoleon war ein braver Mann.

Während des ganzen Feldzuges war er kränklich, seine Nerven waren
gänzlich zerrissen. Er hat zu viel unter dem beherrschenden Einfluß der Kaiserin
gestanden, welche zum großen Teil am Kriege schuldig war. Ich hätte ihn auf
den Thron zurückbringen können; die Gelegenheit dazu bot sich mir, doch, wie
gesagt, ich bedauere die Wendung nicht, welche die Politik nahm."

Aus Richmonds Frage, ob der Augenblick der Übergabe für Napoleon nicht
schrecklich gewesen sei, antwortete Bismarck: "Nein, ich glaube nicht. In der
Nacht vor der Schlacht haben in der französischen Armee aufrührerische Zu¬
sammenkünfte stattgefunden, und ich glaube zuverlässig, daß er sich in unserer
Mitte sicherer fühlte als zwischen seinem eigenen Volke."




Neue Bismarckgcsprcichc

Könige nur von Paris aus zugehen/ Damals wußte ich noch nicht, daß wir
am Vorabend der Republik standen. Damals konnten wir den Kaiser wieder
einsetzen und würden es getan haben, die Armee hätte ihn zurückerhalten. Die
Pariser Gewalthaber zogen mich ganze vierzehn Tage hin. Ich konnte nicht
länger warten und so war ich denn mit der Republik einverstanden. Noch
heute bedauere ich nicht, dies getan zu haben, obgleich ich damals noch nicht
ganz sicher war, ob man nicht klug daran handeln würde, das Kaiserreich
wieder herzustellen. Unsere Unterhaltung dauerte etwa eine Stunde, vermied
jedoch ein weiteres Eingehen auf die Übergabe der Armee. Wie ich schon sagte,
war ich achtundvierzig Stunden ohne Speise und Trank, und meine Kleidung
schmutzbefleckt. Die Schlachtenatmosphäre hatte mich geschwärzt. Ich benutzte
dies als Entschuldigung, um mich nach einem angemessenen Aufenthaltsort für
den Kaiser umzusehen und schied so von ihm. Nachdem trafen sich der König
und der Kaiser, und auf beiden Seiten flössen Tränen. Ich sah Napoleon nur
noch einmal, als er durch Kassel kam. Der Zug und sein Gefolge hielten auf
dem Bahnhof. Ich bemerkte, daß sich die Wagen in tadelloser Sauberkeit und
Ordnung befanden, als ob sie gerade aus dem Kutschhause in Versailles gekommen
und nicht drei Monate unterwegs gewesen wären. Ich hob meine Hand, und
er grüßte mich in gleicher Weise.

Napoleon war ein braver Mann.

Während des ganzen Feldzuges war er kränklich, seine Nerven waren
gänzlich zerrissen. Er hat zu viel unter dem beherrschenden Einfluß der Kaiserin
gestanden, welche zum großen Teil am Kriege schuldig war. Ich hätte ihn auf
den Thron zurückbringen können; die Gelegenheit dazu bot sich mir, doch, wie
gesagt, ich bedauere die Wendung nicht, welche die Politik nahm."

Aus Richmonds Frage, ob der Augenblick der Übergabe für Napoleon nicht
schrecklich gewesen sei, antwortete Bismarck: „Nein, ich glaube nicht. In der
Nacht vor der Schlacht haben in der französischen Armee aufrührerische Zu¬
sammenkünfte stattgefunden, und ich glaube zuverlässig, daß er sich in unserer
Mitte sicherer fühlte als zwischen seinem eigenen Volke."




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0156" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329384"/>
          <fw type="header" place="top"> Neue Bismarckgcsprcichc</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_504" prev="#ID_503"> Könige nur von Paris aus zugehen/ Damals wußte ich noch nicht, daß wir<lb/>
am Vorabend der Republik standen. Damals konnten wir den Kaiser wieder<lb/>
einsetzen und würden es getan haben, die Armee hätte ihn zurückerhalten. Die<lb/>
Pariser Gewalthaber zogen mich ganze vierzehn Tage hin. Ich konnte nicht<lb/>
länger warten und so war ich denn mit der Republik einverstanden. Noch<lb/>
heute bedauere ich nicht, dies getan zu haben, obgleich ich damals noch nicht<lb/>
ganz sicher war, ob man nicht klug daran handeln würde, das Kaiserreich<lb/>
wieder herzustellen. Unsere Unterhaltung dauerte etwa eine Stunde, vermied<lb/>
jedoch ein weiteres Eingehen auf die Übergabe der Armee. Wie ich schon sagte,<lb/>
war ich achtundvierzig Stunden ohne Speise und Trank, und meine Kleidung<lb/>
schmutzbefleckt. Die Schlachtenatmosphäre hatte mich geschwärzt. Ich benutzte<lb/>
dies als Entschuldigung, um mich nach einem angemessenen Aufenthaltsort für<lb/>
den Kaiser umzusehen und schied so von ihm. Nachdem trafen sich der König<lb/>
und der Kaiser, und auf beiden Seiten flössen Tränen. Ich sah Napoleon nur<lb/>
noch einmal, als er durch Kassel kam. Der Zug und sein Gefolge hielten auf<lb/>
dem Bahnhof. Ich bemerkte, daß sich die Wagen in tadelloser Sauberkeit und<lb/>
Ordnung befanden, als ob sie gerade aus dem Kutschhause in Versailles gekommen<lb/>
und nicht drei Monate unterwegs gewesen wären. Ich hob meine Hand, und<lb/>
er grüßte mich in gleicher Weise.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_505"> Napoleon war ein braver Mann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_506"> Während des ganzen Feldzuges war er kränklich, seine Nerven waren<lb/>
gänzlich zerrissen. Er hat zu viel unter dem beherrschenden Einfluß der Kaiserin<lb/>
gestanden, welche zum großen Teil am Kriege schuldig war. Ich hätte ihn auf<lb/>
den Thron zurückbringen können; die Gelegenheit dazu bot sich mir, doch, wie<lb/>
gesagt, ich bedauere die Wendung nicht, welche die Politik nahm."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_507"> Aus Richmonds Frage, ob der Augenblick der Übergabe für Napoleon nicht<lb/>
schrecklich gewesen sei, antwortete Bismarck: &#x201E;Nein, ich glaube nicht. In der<lb/>
Nacht vor der Schlacht haben in der französischen Armee aufrührerische Zu¬<lb/>
sammenkünfte stattgefunden, und ich glaube zuverlässig, daß er sich in unserer<lb/>
Mitte sicherer fühlte als zwischen seinem eigenen Volke."</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0156] Neue Bismarckgcsprcichc Könige nur von Paris aus zugehen/ Damals wußte ich noch nicht, daß wir am Vorabend der Republik standen. Damals konnten wir den Kaiser wieder einsetzen und würden es getan haben, die Armee hätte ihn zurückerhalten. Die Pariser Gewalthaber zogen mich ganze vierzehn Tage hin. Ich konnte nicht länger warten und so war ich denn mit der Republik einverstanden. Noch heute bedauere ich nicht, dies getan zu haben, obgleich ich damals noch nicht ganz sicher war, ob man nicht klug daran handeln würde, das Kaiserreich wieder herzustellen. Unsere Unterhaltung dauerte etwa eine Stunde, vermied jedoch ein weiteres Eingehen auf die Übergabe der Armee. Wie ich schon sagte, war ich achtundvierzig Stunden ohne Speise und Trank, und meine Kleidung schmutzbefleckt. Die Schlachtenatmosphäre hatte mich geschwärzt. Ich benutzte dies als Entschuldigung, um mich nach einem angemessenen Aufenthaltsort für den Kaiser umzusehen und schied so von ihm. Nachdem trafen sich der König und der Kaiser, und auf beiden Seiten flössen Tränen. Ich sah Napoleon nur noch einmal, als er durch Kassel kam. Der Zug und sein Gefolge hielten auf dem Bahnhof. Ich bemerkte, daß sich die Wagen in tadelloser Sauberkeit und Ordnung befanden, als ob sie gerade aus dem Kutschhause in Versailles gekommen und nicht drei Monate unterwegs gewesen wären. Ich hob meine Hand, und er grüßte mich in gleicher Weise. Napoleon war ein braver Mann. Während des ganzen Feldzuges war er kränklich, seine Nerven waren gänzlich zerrissen. Er hat zu viel unter dem beherrschenden Einfluß der Kaiserin gestanden, welche zum großen Teil am Kriege schuldig war. Ich hätte ihn auf den Thron zurückbringen können; die Gelegenheit dazu bot sich mir, doch, wie gesagt, ich bedauere die Wendung nicht, welche die Politik nahm." Aus Richmonds Frage, ob der Augenblick der Übergabe für Napoleon nicht schrecklich gewesen sei, antwortete Bismarck: „Nein, ich glaube nicht. In der Nacht vor der Schlacht haben in der französischen Armee aufrührerische Zu¬ sammenkünfte stattgefunden, und ich glaube zuverlässig, daß er sich in unserer Mitte sicherer fühlte als zwischen seinem eigenen Volke."

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/156
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/156>, abgerufen am 30.06.2024.