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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Hundertundfünfzig Jahre deutscher Kunst

Paar schnäbelnder Tauben (^ 665) -- auftritt, das jedes "Einstiches" bar
ist. Hier hat der Künstler, was er mit eigenem Auge gesehen, mit sicherer,
dabei feinfühligster Hand auf die Leinwand gebracht, hat keine der Feinheiten
in den Schattierungen des grauen Gefieders des Täuberich mit seinem metallisch
funkelnden grünen Fleck am Halse unterschlagen, hat den prächtigen Kontrast
des leuchtenden Weiß der Taube zu der dunkleren Färbung des Täuberich mit
sicherem Blick hervorgehoben, hat das ganze Wesen der Tiere in einem Moment
konzentriertesten Seins und nichts als dieses Wesen fixiert und so ein Werk zu¬
stande gebracht, das uns wie das eines großen Malers des neunzehnten Jahr¬
hunderts anmutet. Ähnliches muß man von dem erstaunlichen Apfelstilleben
Balthasar Denners (1685 bis 1749) sagen, das die Jahreszahl 1698 trägt,
also mit vierzehn Jahren gemalt worden ist. Hält man dieses Werk, das
genaue und dabei kühne "impressionistische" Naturbeobachtung mit einem wahrhaft
erlesenen Farbengeschmack verbindet: man beachte z. B. das Fleisch der ge¬
schälten Äpfel, das Stoffliche der Decke, die für damals ganz neue, wie ein
Morgenlied anmutende Harmonie Heller, klingender Farben, das Rot der
Schalen, das Weißrosa des Apfelfleisches, das helle Grün der Decke -- hält
man ihm die späteren Bildnisse Denners entgegen, auf denen er Strich um
Strich jede Runzel getreulich abkonterfeit, so möchte man eine solche Meta¬
morphose kaum für möglich halten. Erklärt wird sie zum Teil wohl dadurch,
daß für die kühne Naturinterpretation der Jugendjahre keine gleich kühnen
Augen sich damals fanden, für die anderen Werke aber die "Ähnlichkeit" in
den Bürgerkreisen, für die Denner schuf, gern gesehen wurde. Und da die
Kunst nach Brot gehen mußte, sah sich Denner genötigt zu malen, wie sein
Publikum es wünschte. In diesem Zusammenhang ist es vielleicht geraten
darauf hinzuweisen, daß wenn die damalige Kunst, die ja zum großen Teil
eine Fürsten- und Hofkunst war, eine bloß bürgerliche gewesen wäre, statt all¬
mählich eine bürgerliche zu werden, es ihr sicher nicht zum Vorteil gereicht
hätte.

Daß das bürgerliche Element eine verhältnismäßig so geringe Bedeutung
für die damalige Malerei besitzt, ist wohl auch der Grund für die verhältnis¬
mäßige Seltenheit des Genre- und Sittenbildes. Chodowiecki, der da vor allem
zu nennen ist, gehört ja in seinem Schaffen erst der zweiten Hälfte des acht¬
zehnten Jahrhunderts an. Von ihm sieht man auf der Ausstellung unter anderen
zwei sehr reizende Interieurs, die echte Biedermeierstimmung atmen, und einige
sehr feine Zeichnungen, so die eines sitzenden Mädchens. Einen Genremaler
ganz eigener Art aber kann man hier doch kennen lernen, der aus Prag
stammt und sich offenbar bei seinem venezianischen Zeitgenossen F. Guardi so¬
zusagen selbst gefunden hat. Das ist Norbert Grund (1714 bis 1767), von
dem in Darmstadt eine ganze Kollektion kleiner Bilder zu sehen ist, die durch
den musikalischen Rhythmus, der in ihnen lebt -- in der Art sowohl, wie eine
Farbe, vor allem ein Helles Rot, sich aus der oft perlgrauen Umgebung ab-


Hundertundfünfzig Jahre deutscher Kunst

Paar schnäbelnder Tauben (^ 665) — auftritt, das jedes „Einstiches" bar
ist. Hier hat der Künstler, was er mit eigenem Auge gesehen, mit sicherer,
dabei feinfühligster Hand auf die Leinwand gebracht, hat keine der Feinheiten
in den Schattierungen des grauen Gefieders des Täuberich mit seinem metallisch
funkelnden grünen Fleck am Halse unterschlagen, hat den prächtigen Kontrast
des leuchtenden Weiß der Taube zu der dunkleren Färbung des Täuberich mit
sicherem Blick hervorgehoben, hat das ganze Wesen der Tiere in einem Moment
konzentriertesten Seins und nichts als dieses Wesen fixiert und so ein Werk zu¬
stande gebracht, das uns wie das eines großen Malers des neunzehnten Jahr¬
hunderts anmutet. Ähnliches muß man von dem erstaunlichen Apfelstilleben
Balthasar Denners (1685 bis 1749) sagen, das die Jahreszahl 1698 trägt,
also mit vierzehn Jahren gemalt worden ist. Hält man dieses Werk, das
genaue und dabei kühne „impressionistische" Naturbeobachtung mit einem wahrhaft
erlesenen Farbengeschmack verbindet: man beachte z. B. das Fleisch der ge¬
schälten Äpfel, das Stoffliche der Decke, die für damals ganz neue, wie ein
Morgenlied anmutende Harmonie Heller, klingender Farben, das Rot der
Schalen, das Weißrosa des Apfelfleisches, das helle Grün der Decke — hält
man ihm die späteren Bildnisse Denners entgegen, auf denen er Strich um
Strich jede Runzel getreulich abkonterfeit, so möchte man eine solche Meta¬
morphose kaum für möglich halten. Erklärt wird sie zum Teil wohl dadurch,
daß für die kühne Naturinterpretation der Jugendjahre keine gleich kühnen
Augen sich damals fanden, für die anderen Werke aber die „Ähnlichkeit" in
den Bürgerkreisen, für die Denner schuf, gern gesehen wurde. Und da die
Kunst nach Brot gehen mußte, sah sich Denner genötigt zu malen, wie sein
Publikum es wünschte. In diesem Zusammenhang ist es vielleicht geraten
darauf hinzuweisen, daß wenn die damalige Kunst, die ja zum großen Teil
eine Fürsten- und Hofkunst war, eine bloß bürgerliche gewesen wäre, statt all¬
mählich eine bürgerliche zu werden, es ihr sicher nicht zum Vorteil gereicht
hätte.

Daß das bürgerliche Element eine verhältnismäßig so geringe Bedeutung
für die damalige Malerei besitzt, ist wohl auch der Grund für die verhältnis¬
mäßige Seltenheit des Genre- und Sittenbildes. Chodowiecki, der da vor allem
zu nennen ist, gehört ja in seinem Schaffen erst der zweiten Hälfte des acht¬
zehnten Jahrhunderts an. Von ihm sieht man auf der Ausstellung unter anderen
zwei sehr reizende Interieurs, die echte Biedermeierstimmung atmen, und einige
sehr feine Zeichnungen, so die eines sitzenden Mädchens. Einen Genremaler
ganz eigener Art aber kann man hier doch kennen lernen, der aus Prag
stammt und sich offenbar bei seinem venezianischen Zeitgenossen F. Guardi so¬
zusagen selbst gefunden hat. Das ist Norbert Grund (1714 bis 1767), von
dem in Darmstadt eine ganze Kollektion kleiner Bilder zu sehen ist, die durch
den musikalischen Rhythmus, der in ihnen lebt — in der Art sowohl, wie eine
Farbe, vor allem ein Helles Rot, sich aus der oft perlgrauen Umgebung ab-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/99>, abgerufen am 01.09.2024.