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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Hundertundfünfzig Jahre deutscher Kunst

auf der Berliner Ausstellung der Kunst des neunzehnten Jahrhunderts erschienen
war, und der verstorbene Lichtwarck die Meinung ausgesprochen hatte, eine
zusammenfassende Darbietung der vorhergehenden Kunst sei dringend erforderlich.
Drittens kann man diese Ausstellung als die sehr wertvolle, ja notwendige
Ergänzung zu der bisher allein genügend bekannten deutschen Kunst der Zeit
von 1650 -- bis 1800 -- der Architektur des Barock und Rokoko und ihrer
dekorativen Hilfskräfte -- ansehen, die es endlich ermöglicht, die Malerei der
damaligen Zeit in ihrem Zusammenhang und ihrer Entwicklung wie auch --
und das ist das überraschendste und wichtigste Moment der Ausstellung -- in
zahlreichen individuellen Künstlererscheinungen kennen zu lernen.

Solche Künstlerpersönlichkeiten mit eigener Note tauchen schon in der frühen
Zeit der in der Ausstellung zur Anschauung gelangenden Periode auf; und wir
finden sie dann in den folgenden Zeiten auf allen Gebieten der Malerei: dem
Porträt, der Landschaft, dem Tierstück und Reiterbild, dem Stilleben und auch
dem kirchlichen Bilde. Da die kirchliche Kunst jener Zeit ihren Hauptausdruck
in der Wandmalerei -- großen Deckengemälden vor allem -- fand, ist sie be¬
greiflicherweise am spärlichsten in Darmstadt vertreten, und da sie gerade von
süddeutschen Malern besonders gepflegt wurde, was sich aus konfessionellen
Gründen leicht erklärt, so kommt es, daß im großen und ganzen die nord¬
deutsche Malerei reicher auf der Ausstellung vertreten ist als die süddeutsche.
Man hat aber doch einen hochinteressanter Saal kirchlicher Kunst in Darmstadt
zusammengestellt, der unter anderen verschiedene Skizzen zu großen Gemälden,
eine Reihe Statuen und Silbersachen und anderes mehr enthält und uns sehr
wohl ein Bild dieser Kunst zu geben vermag. Unter den Statuen befinden
sich mehrere eines bayerischen Bildhauers, des Balthasar Permoser (1651 bis
1732), die, wie z. B. der "Heilige Ambrosius", bei aller äußeren "Auf¬
machung" im Stile der Zeit eine ganz erstaunliche Vertiefung und Verinner-
lichung zeigen und in der Durchmodellierung des Kopfes wie der Hände einen
bedeutenden Meister verraten. Zu einer solchen Vereinigung, ja Versöhnung
von äußerlichen und innerlichem war eben nur ein hervorragender und eigener
Meister imstande. Aus ein paar anderen kirchlichen Künstlern -- Malern --
spricht auch schon ein besonderer Ton. Anton Franz Maulpertsch (1724 bis
1796) hat sich offenbar an Tiepolo geschult, wie ja überhaupt die kirchlichen
Maler des deutschen Südens begreiflicherweise nach Italien zu tendieren. Aber
wenn er auch in Venedig in die Schule gegangen -- und charakeristischerweise
bei dem schon eine neue Welt ankündigenden Meister, so verraten seine kühnen
Skizzen aus der Kaiserlichen Galerie in Wien doch eine solche Macht der Be¬
wegung und zugleich Ursprünglichkeit in der Wahl Heller, wie Fanfarenstöße
wirkender, ganz gegen alle überkommenen Regeln zusammengestellter, dabei mit
einem wahren kuno8o hingesetzter Farben, daß von "Abhängigkeit" bei ihm
eigentlich keine Rede mehr sein kann. So ist kein "Nachahmer" zu arbeiten
imstande; so "schafft" nur ein Eigener. Man sehe sich daraufhin den wilden


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Hundertundfünfzig Jahre deutscher Kunst

auf der Berliner Ausstellung der Kunst des neunzehnten Jahrhunderts erschienen
war, und der verstorbene Lichtwarck die Meinung ausgesprochen hatte, eine
zusammenfassende Darbietung der vorhergehenden Kunst sei dringend erforderlich.
Drittens kann man diese Ausstellung als die sehr wertvolle, ja notwendige
Ergänzung zu der bisher allein genügend bekannten deutschen Kunst der Zeit
von 1650 — bis 1800 — der Architektur des Barock und Rokoko und ihrer
dekorativen Hilfskräfte — ansehen, die es endlich ermöglicht, die Malerei der
damaligen Zeit in ihrem Zusammenhang und ihrer Entwicklung wie auch —
und das ist das überraschendste und wichtigste Moment der Ausstellung — in
zahlreichen individuellen Künstlererscheinungen kennen zu lernen.

Solche Künstlerpersönlichkeiten mit eigener Note tauchen schon in der frühen
Zeit der in der Ausstellung zur Anschauung gelangenden Periode auf; und wir
finden sie dann in den folgenden Zeiten auf allen Gebieten der Malerei: dem
Porträt, der Landschaft, dem Tierstück und Reiterbild, dem Stilleben und auch
dem kirchlichen Bilde. Da die kirchliche Kunst jener Zeit ihren Hauptausdruck
in der Wandmalerei — großen Deckengemälden vor allem — fand, ist sie be¬
greiflicherweise am spärlichsten in Darmstadt vertreten, und da sie gerade von
süddeutschen Malern besonders gepflegt wurde, was sich aus konfessionellen
Gründen leicht erklärt, so kommt es, daß im großen und ganzen die nord¬
deutsche Malerei reicher auf der Ausstellung vertreten ist als die süddeutsche.
Man hat aber doch einen hochinteressanter Saal kirchlicher Kunst in Darmstadt
zusammengestellt, der unter anderen verschiedene Skizzen zu großen Gemälden,
eine Reihe Statuen und Silbersachen und anderes mehr enthält und uns sehr
wohl ein Bild dieser Kunst zu geben vermag. Unter den Statuen befinden
sich mehrere eines bayerischen Bildhauers, des Balthasar Permoser (1651 bis
1732), die, wie z. B. der „Heilige Ambrosius", bei aller äußeren „Auf¬
machung" im Stile der Zeit eine ganz erstaunliche Vertiefung und Verinner-
lichung zeigen und in der Durchmodellierung des Kopfes wie der Hände einen
bedeutenden Meister verraten. Zu einer solchen Vereinigung, ja Versöhnung
von äußerlichen und innerlichem war eben nur ein hervorragender und eigener
Meister imstande. Aus ein paar anderen kirchlichen Künstlern — Malern —
spricht auch schon ein besonderer Ton. Anton Franz Maulpertsch (1724 bis
1796) hat sich offenbar an Tiepolo geschult, wie ja überhaupt die kirchlichen
Maler des deutschen Südens begreiflicherweise nach Italien zu tendieren. Aber
wenn er auch in Venedig in die Schule gegangen — und charakeristischerweise
bei dem schon eine neue Welt ankündigenden Meister, so verraten seine kühnen
Skizzen aus der Kaiserlichen Galerie in Wien doch eine solche Macht der Be¬
wegung und zugleich Ursprünglichkeit in der Wahl Heller, wie Fanfarenstöße
wirkender, ganz gegen alle überkommenen Regeln zusammengestellter, dabei mit
einem wahren kuno8o hingesetzter Farben, daß von „Abhängigkeit" bei ihm
eigentlich keine Rede mehr sein kann. So ist kein „Nachahmer" zu arbeiten
imstande; so „schafft" nur ein Eigener. Man sehe sich daraufhin den wilden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/95>, abgerufen am 27.07.2024.