Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Aapitalzins

weil der Zins existiert, ist uns der gegenwärtige Besitz mehr wert, als der zu¬
künftige ... Die verschiedene Wertschätzung ist nicht den Menschen von Natur
aus mitgegeben, sondern erst durch die Tatsache des Zinses hervorgerufen."
Auch Röscher*) setzt der Theorie die Tatsache entgegen, "daß gerade arme und
rohe Völker, die doch am wenigsten für die Zukunft sorgen, den höchsten Zinsfuß
haben!

Julius Wolf*") macht außerdem darauf aufmerksam, daß diese Theorie nur
die Frage beantwortet, warum der Gläubiger Zins verlangt und nicht klar
macht, warum der Schuldner den Zins auch wirklich bezahlt.

In der Anwendung dieser Theorie, lediglich vom Gesichtspunkt der Gläubiger
aus. scheint mir eine entfernte Ähnlichkeit mit der Abstinenztheorie zu bestehen.
Wie dort der Zins als eine Vergütung für den Verzicht der Kapitalisten auf
den Genußgebrauch angesehen wird, so kann auch hier von einer Vergütung
gesprochen werden, die für den Verzicht des Gläubigers auf den höheren Gegen¬
wartswert gezahlt bzw. gefordert wird.

Keine der angeführten Theorien ist nach obigen Ausführungen einwandfrei.
Es gibt aber eine neue Theorie, die allen Einwänden standhält. Sie ist von
Dr. Otto Conrad***) aufgestellt worden und leitet den Zins aus der Unent-
behrlichkeit und gleichzeitigen Monopolstellung des Kapitals her. Weil das
Kapital mit seinem hohen Gebrauchswert unentbehrlich zur Güterherstellung ist,
und weil bei weitem nicht so viel Kapital vorhanden ist, daß alle Nachfrage
nach ihm, alle seine Verwendungsmöglichkeiten gedeckt werden können, deshalb
wirft das Kapital Zinsen ab. deshalb muß derjenige, der Kapital braucht.
Zinsen zahlen. Diese Theorie ist fraglos richtig, denn der Grund, weshalb
für irgendeine Sache oder eine Leistung überall im Wirtschaftsleben ein Preis
bezahlt wird, ist das Vorhandensein zweier einem Gute oder einer Leistung
gleichzeitig anhaftenden Eigenschaften, nämlich die des Gebrauchswertes und die der
Begrenztheit der von dem Gut vorhandenen Menge unter der Grenze des
Bedarfs. Diese Theorie -- ich möchte sie "Preistheorie" taufen -- ist weiter
nichts, als eine Folgerung aus dem Gesetz von Angebot und Nachfrage, die
auf alle Güter und auf alle Preisvorgänge im Wirtschaftsleben ebensogut paßt,
wie auf das Kapital.

Daß das Gesetz von Angebot und Nachfrage die Höhe des Preises regelt,
ist eine unumstößliche Tatsache. Der Mensch "fragt" eine Sache oder eine
Leistung an. weil er das betreffende Gut braucht, brauchen muß. brauchen will
oder brauchen kann. Er kann das Gut, wenn es überhaupt existiert, bekommen,
<iber nur gegen Bezahlung. Warum? Weil nicht eine so große Menge von
den "gefragten" Gütern vorhanden ist. daß alle Nachfrager davon bekommen
können. Wer soll es nun erhalten? Natürlich der, der das meiste als Ent-





*) a. a. O., ß 189, Anmerkung S.
*"
) a. a. O,
'
***) Dr. Otto Conrad, Kapitalzins a. a. O.
I*
Aapitalzins

weil der Zins existiert, ist uns der gegenwärtige Besitz mehr wert, als der zu¬
künftige ... Die verschiedene Wertschätzung ist nicht den Menschen von Natur
aus mitgegeben, sondern erst durch die Tatsache des Zinses hervorgerufen."
Auch Röscher*) setzt der Theorie die Tatsache entgegen, „daß gerade arme und
rohe Völker, die doch am wenigsten für die Zukunft sorgen, den höchsten Zinsfuß
haben!

Julius Wolf*") macht außerdem darauf aufmerksam, daß diese Theorie nur
die Frage beantwortet, warum der Gläubiger Zins verlangt und nicht klar
macht, warum der Schuldner den Zins auch wirklich bezahlt.

In der Anwendung dieser Theorie, lediglich vom Gesichtspunkt der Gläubiger
aus. scheint mir eine entfernte Ähnlichkeit mit der Abstinenztheorie zu bestehen.
Wie dort der Zins als eine Vergütung für den Verzicht der Kapitalisten auf
den Genußgebrauch angesehen wird, so kann auch hier von einer Vergütung
gesprochen werden, die für den Verzicht des Gläubigers auf den höheren Gegen¬
wartswert gezahlt bzw. gefordert wird.

Keine der angeführten Theorien ist nach obigen Ausführungen einwandfrei.
Es gibt aber eine neue Theorie, die allen Einwänden standhält. Sie ist von
Dr. Otto Conrad***) aufgestellt worden und leitet den Zins aus der Unent-
behrlichkeit und gleichzeitigen Monopolstellung des Kapitals her. Weil das
Kapital mit seinem hohen Gebrauchswert unentbehrlich zur Güterherstellung ist,
und weil bei weitem nicht so viel Kapital vorhanden ist, daß alle Nachfrage
nach ihm, alle seine Verwendungsmöglichkeiten gedeckt werden können, deshalb
wirft das Kapital Zinsen ab. deshalb muß derjenige, der Kapital braucht.
Zinsen zahlen. Diese Theorie ist fraglos richtig, denn der Grund, weshalb
für irgendeine Sache oder eine Leistung überall im Wirtschaftsleben ein Preis
bezahlt wird, ist das Vorhandensein zweier einem Gute oder einer Leistung
gleichzeitig anhaftenden Eigenschaften, nämlich die des Gebrauchswertes und die der
Begrenztheit der von dem Gut vorhandenen Menge unter der Grenze des
Bedarfs. Diese Theorie — ich möchte sie „Preistheorie" taufen — ist weiter
nichts, als eine Folgerung aus dem Gesetz von Angebot und Nachfrage, die
auf alle Güter und auf alle Preisvorgänge im Wirtschaftsleben ebensogut paßt,
wie auf das Kapital.

Daß das Gesetz von Angebot und Nachfrage die Höhe des Preises regelt,
ist eine unumstößliche Tatsache. Der Mensch „fragt" eine Sache oder eine
Leistung an. weil er das betreffende Gut braucht, brauchen muß. brauchen will
oder brauchen kann. Er kann das Gut, wenn es überhaupt existiert, bekommen,
<iber nur gegen Bezahlung. Warum? Weil nicht eine so große Menge von
den „gefragten" Gütern vorhanden ist. daß alle Nachfrager davon bekommen
können. Wer soll es nun erhalten? Natürlich der, der das meiste als Ent-





*) a. a. O., ß 189, Anmerkung S.
*"
) a. a. O,
'
***) Dr. Otto Conrad, Kapitalzins a. a. O.
I*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0047" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328781"/>
          <fw type="header" place="top"> Aapitalzins</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_121" prev="#ID_120"> weil der Zins existiert, ist uns der gegenwärtige Besitz mehr wert, als der zu¬<lb/>
künftige ... Die verschiedene Wertschätzung ist nicht den Menschen von Natur<lb/>
aus mitgegeben, sondern erst durch die Tatsache des Zinses hervorgerufen."<lb/>
Auch Röscher*) setzt der Theorie die Tatsache entgegen, &#x201E;daß gerade arme und<lb/>
rohe Völker, die doch am wenigsten für die Zukunft sorgen, den höchsten Zinsfuß<lb/>
haben!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_122"> Julius Wolf*") macht außerdem darauf aufmerksam, daß diese Theorie nur<lb/>
die Frage beantwortet, warum der Gläubiger Zins verlangt und nicht klar<lb/>
macht, warum der Schuldner den Zins auch wirklich bezahlt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_123"> In der Anwendung dieser Theorie, lediglich vom Gesichtspunkt der Gläubiger<lb/>
aus. scheint mir eine entfernte Ähnlichkeit mit der Abstinenztheorie zu bestehen.<lb/>
Wie dort der Zins als eine Vergütung für den Verzicht der Kapitalisten auf<lb/>
den Genußgebrauch angesehen wird, so kann auch hier von einer Vergütung<lb/>
gesprochen werden, die für den Verzicht des Gläubigers auf den höheren Gegen¬<lb/>
wartswert gezahlt bzw. gefordert wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_124"> Keine der angeführten Theorien ist nach obigen Ausführungen einwandfrei.<lb/>
Es gibt aber eine neue Theorie, die allen Einwänden standhält. Sie ist von<lb/>
Dr. Otto Conrad***) aufgestellt worden und leitet den Zins aus der Unent-<lb/>
behrlichkeit und gleichzeitigen Monopolstellung des Kapitals her. Weil das<lb/>
Kapital mit seinem hohen Gebrauchswert unentbehrlich zur Güterherstellung ist,<lb/>
und weil bei weitem nicht so viel Kapital vorhanden ist, daß alle Nachfrage<lb/>
nach ihm, alle seine Verwendungsmöglichkeiten gedeckt werden können, deshalb<lb/>
wirft das Kapital Zinsen ab. deshalb muß derjenige, der Kapital braucht.<lb/>
Zinsen zahlen. Diese Theorie ist fraglos richtig, denn der Grund, weshalb<lb/>
für irgendeine Sache oder eine Leistung überall im Wirtschaftsleben ein Preis<lb/>
bezahlt wird, ist das Vorhandensein zweier einem Gute oder einer Leistung<lb/>
gleichzeitig anhaftenden Eigenschaften, nämlich die des Gebrauchswertes und die der<lb/>
Begrenztheit der von dem Gut vorhandenen Menge unter der Grenze des<lb/>
Bedarfs. Diese Theorie &#x2014; ich möchte sie &#x201E;Preistheorie" taufen &#x2014; ist weiter<lb/>
nichts, als eine Folgerung aus dem Gesetz von Angebot und Nachfrage, die<lb/>
auf alle Güter und auf alle Preisvorgänge im Wirtschaftsleben ebensogut paßt,<lb/>
wie auf das Kapital.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_125" next="#ID_126"> Daß das Gesetz von Angebot und Nachfrage die Höhe des Preises regelt,<lb/>
ist eine unumstößliche Tatsache. Der Mensch &#x201E;fragt" eine Sache oder eine<lb/>
Leistung an. weil er das betreffende Gut braucht, brauchen muß. brauchen will<lb/>
oder brauchen kann. Er kann das Gut, wenn es überhaupt existiert, bekommen,<lb/>
&lt;iber nur gegen Bezahlung. Warum? Weil nicht eine so große Menge von<lb/>
den &#x201E;gefragten" Gütern vorhanden ist. daß alle Nachfrager davon bekommen<lb/>
können.  Wer soll es nun erhalten?  Natürlich der, der das meiste als Ent-</p><lb/>
          <note xml:id="FID_27" place="foot"> *) a. a. O., ß 189, Anmerkung S.<lb/>
*"</note><lb/>
          <note xml:id="FID_28" place="foot"> ) a. a. O,<lb/>
'</note><lb/>
          <note xml:id="FID_29" place="foot"> ***) Dr. Otto Conrad, Kapitalzins a. a. O.</note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> I*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0047] Aapitalzins weil der Zins existiert, ist uns der gegenwärtige Besitz mehr wert, als der zu¬ künftige ... Die verschiedene Wertschätzung ist nicht den Menschen von Natur aus mitgegeben, sondern erst durch die Tatsache des Zinses hervorgerufen." Auch Röscher*) setzt der Theorie die Tatsache entgegen, „daß gerade arme und rohe Völker, die doch am wenigsten für die Zukunft sorgen, den höchsten Zinsfuß haben! Julius Wolf*") macht außerdem darauf aufmerksam, daß diese Theorie nur die Frage beantwortet, warum der Gläubiger Zins verlangt und nicht klar macht, warum der Schuldner den Zins auch wirklich bezahlt. In der Anwendung dieser Theorie, lediglich vom Gesichtspunkt der Gläubiger aus. scheint mir eine entfernte Ähnlichkeit mit der Abstinenztheorie zu bestehen. Wie dort der Zins als eine Vergütung für den Verzicht der Kapitalisten auf den Genußgebrauch angesehen wird, so kann auch hier von einer Vergütung gesprochen werden, die für den Verzicht des Gläubigers auf den höheren Gegen¬ wartswert gezahlt bzw. gefordert wird. Keine der angeführten Theorien ist nach obigen Ausführungen einwandfrei. Es gibt aber eine neue Theorie, die allen Einwänden standhält. Sie ist von Dr. Otto Conrad***) aufgestellt worden und leitet den Zins aus der Unent- behrlichkeit und gleichzeitigen Monopolstellung des Kapitals her. Weil das Kapital mit seinem hohen Gebrauchswert unentbehrlich zur Güterherstellung ist, und weil bei weitem nicht so viel Kapital vorhanden ist, daß alle Nachfrage nach ihm, alle seine Verwendungsmöglichkeiten gedeckt werden können, deshalb wirft das Kapital Zinsen ab. deshalb muß derjenige, der Kapital braucht. Zinsen zahlen. Diese Theorie ist fraglos richtig, denn der Grund, weshalb für irgendeine Sache oder eine Leistung überall im Wirtschaftsleben ein Preis bezahlt wird, ist das Vorhandensein zweier einem Gute oder einer Leistung gleichzeitig anhaftenden Eigenschaften, nämlich die des Gebrauchswertes und die der Begrenztheit der von dem Gut vorhandenen Menge unter der Grenze des Bedarfs. Diese Theorie — ich möchte sie „Preistheorie" taufen — ist weiter nichts, als eine Folgerung aus dem Gesetz von Angebot und Nachfrage, die auf alle Güter und auf alle Preisvorgänge im Wirtschaftsleben ebensogut paßt, wie auf das Kapital. Daß das Gesetz von Angebot und Nachfrage die Höhe des Preises regelt, ist eine unumstößliche Tatsache. Der Mensch „fragt" eine Sache oder eine Leistung an. weil er das betreffende Gut braucht, brauchen muß. brauchen will oder brauchen kann. Er kann das Gut, wenn es überhaupt existiert, bekommen, <iber nur gegen Bezahlung. Warum? Weil nicht eine so große Menge von den „gefragten" Gütern vorhanden ist. daß alle Nachfrager davon bekommen können. Wer soll es nun erhalten? Natürlich der, der das meiste als Ent- *) a. a. O., ß 189, Anmerkung S. *" ) a. a. O, ' ***) Dr. Otto Conrad, Kapitalzins a. a. O. I*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/47
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/47>, abgerufen am 23.12.2024.